Neues vom Bundesillusionsfonds.

300 Millionen, um die Stellschrauben auszublenden.

„Als sie das Ziel aus den Augen verloren hatten, verdoppelten Sie ihre Anstrengungen“
Mark Twain.

Das Spreestadtforum der TU Berlin entwickelt sich zu einem Ort, an dem man in Ruhe, und zunehmend auch mit Debatten über die gesundheitspolitischen Zeitläufte (DIE ZEIT) räsonieren kann. Am 2.6. zum Beispiel über den Innovationsfonds der Bundesregierung. 300 Mio. €, ein Füllhorn für Gesundheitsforschung, ein Großanliegen auch des Bundesverbandes Managed Care (BMC), der unter der Führung von Prof. Volker Amelung beginnt, viele Dinge neu und quer zu denken.
Was Innovation ist, Schein, Schritt, Sprunginnovation, disruptive Innovation, hat Amelung schön dargestellt, auch daß ein Innovationsfonds nur ein Plan B für Systeminnovation ist. Der Überblick über die aktuellen Entwicklungen, die BMC-Geschäftsführerin Susanne Ozegowski gegeben hat, war „State of the art“.
Und doch blieb eine Frage offen (und wurde lebhaft diskuiert): Kommt durch den Fonds mehr Innovation ins System?
Ein paar Gegenimpulse
Sprechen wir es aus: Wenn 300 Mio. € von den Säulen des Bestandssystems, den G-BA Mitgliedern administriert werden, gibt das viele schöne Broschüren, einige gute Nachbildungen ausländischer Innovationserfahrungen (Amelung kann als Experte für Internationale Systeme sehr anschaulich berichten, wenn man ihn danach frage), viele könnte, sollte, möchte.
Aber wenig umgesetzte Innovation. Das ist nicht die Folge von Dummheit der Forscher, Ignoranz der Politiker oder sonst welchen unterstellten persönlichen Eigenschaften. Das ist die Folge einer Denkhaltung, die in einem immer wieder geäußerten Satz seinen Ausdruck findet: „Im Gesundheitswesen finden Veränderungen immer nur schrittweise statt“.
Und diese Denkhaltung entsteht so:
Schon in der DDR war es einfacher, die Statistiken zu fälschen als die Wahrheit auszusprechen. In der Gesundheitspolitik besteht mit einem 300 Mio. schweren Innovationsfonds die Gefahr, die Realität ganz gründlich wegzuforschen.
Unser Gesundheitssystem ist ja ein eigentümliches Konstrukt. Es paart die Nachteile planwirtschaftlicher Systeme, zentrale Steuerung und Administration, mit denen dezentralen Umsetzung. Deswegen, darauf hat die nachfolgende Diskussion dann hingewiesen, sind viele echte Veränderungen (Ich weigere mich, das Innovation zu nennen), DRG, Fallpauschalen etc., einfach Rezepte planwirtschaftlicher Systeme. Die Zeit, die das gebraucht hat, solche Elemente hier in unserem Gesundheitssystem durchzusetzen, sind keine Forschungszeiten, sondern lediglich Zeiträume, die man benötigt hat, um bestehende Interessen zu überwinden. Ständische Interessen, lobbyistische Interessen, traditionale Verhaltensweisen, etc.
Ja, es gab Veränderungen in unserem Gesundheitssystem, ich meine, Prof. Henke war es, der darauf hingewiesen hat. Meine These: Veränderung kann immer dann stattfinden, wenn sie bestehenden Interessen nicht entgegen steht. Aber ein stärker prozessuales Herangehen, die Zusammenarbeit der Anbieter im Gesundheitssystem, ständige Bottum-Up-Innovationen aus dem System mit Veränderungen im System, die sind in Deutschland ausgeschlossen.
Meine These: Wer die zweite Natur unseres Gesundheitswesens, sein Regulierungs- und Honorierungssystem, nicht gleich mitdenkt, riskiert, dass 300 Mio. € wirkungslos im System versacken. Alimentierung für notleidende Hochschulen und Wissenschaftler, Spielgeld für gesundheitspolitische Beschäftigungstherapeuten, usw.
Deswegen spontan die Idee, für die Evaluation der Ergebnisse ein neues Roll-Out-Denken verbindlich zu machen. Jede Evaluation hat sich mit folgenden Fragen zu beschäftigen: Welche Hindernisse stehen der Einführung dieser Innovation besonders entgegen (Obstruktionshierarchie)? Und wie wären diese Hindernisse zu beseitigen (Realisierungsstretegie).
Das wäre ein erster Schritt, die Scheuklappenmentalität eines administrativen Systems zu überwinden: Systematisches Nachdenken über die Wirkung der Scheuklappen. Und wildes Spekulieren der Scheuklappenträger, wie die Welt hinter den Scheuklappen aussähe.
Wie gesagt, keine Kritik, jeder tut nur seinen Job. Jeder versucht, seinen Teil vom Kuchen abzukriegen, die Akteure im Gesundheitssystem wollen Bestandsschutz, die Politik die mediale Bestätigung („Yes, we can“) und die Wissenschaft, smart, schlank und intelligent, greift die Schlagworte auf, die die Herren an den Fleischtöpfen, Gesundheitspolitiker, G-BA Administratoren und –einflüsterer, allesamt ein persönliches Geflecht von Gefälligkeiten und Interessen, aussenden.
Deswegen braucht das Gesundheitssystem so viele Kongresse. Es geht um die Feinjustierung dessen, was potentielle Auftraggeber so ausstreuen. Wer die Begriffe und Kulissen als erster aufschnappt, der kann punkten.
Ich verstehe ja, dass man als Wissenschaftler 300 Mio. € nicht einfach ausschlagen kann. Der Soziologe Richard Münch hat am Beispiel der Exzellenzinitiative und der Pisa-Geschichte gezeigt, wohin solche politischen Strategien führen: Statt belastbaren Karrierewegen für Wissenschaftler gibt es Leuchtturmprojekte und ein Rat Race um Forschungsmittel. Und am Ende, das zeigt er auch empirisch, gewinnt derjenige mit der größten Nähe zu den begutachtenden Wissenschaftlern. (Und er produziert, das nur der Vollständigkeit halber erwähnt, mehr wissenschaftliches Proletariat.)
Statt Showchases zu schaffen, geht es auch im Gesundheitssystem darum, den systemtischen Alltag besser zu machen.
So ist das auch im Gesundheitsbereich.
Meine Schlussfolgerungen:
1) Eine verbindliche Evaluation der Innovationsergebnisse in der ersten Dimension (Hat’s was gebracht) und eine Szenarieneinschätzung für die Ergebnisimplementation. (Was sind die größten Hemmfaktoren für eine Einführung ins System, wie wären diese zu überwinden). Das wäre eine Art „Design Thinking“ fürs Gesundheitssystem.
2) Eine alternative ordnungspolitische Denke für das Gesundheitssystem. Die Gefahr des inzwischen großkoalitionären administrativen Einheitsdenkens (und, sind wir ehrlich, auch grün und „ganz rot“ denkt nicht anders) ist längst, dass sich niemand mehr ein anderes System vorstellen kann. Aber die Isolation des Gesundheitssystem, die regulative Abschottung, seine zweite Natur, in der Veränderung erst politisch gewollt werden muss, bevor sie realisiert werden kann, ist seine größte Gefahr: Die Überreizung politischer Verantwortlichkeit.
3) Zu erkennen, dass „Gut gemeint“ nicht „gut gemacht“ ist. Einer der Diskutanten hat es auf den Punkt gebracht. Im Gesundheitswesen agieren längst alle Akteure (Die forschende Pharmaindustrie ist davon übrigens ausgenommen, die muss es in ihre 30-Jahre Strategien aber einbauen), nur noch im 1-Jahres Zyklus. Zugespitzt: Nächstes Jahr wird wieder eine andere Sau durchs Dorf getrieben. Unternehmerisch verlässliche Perspektiven lassen sich auf dieser Kurzfristigkeit und Unzuverlässigkeit (man kann das auch politische Opportunitäten nennen, dann klingt es besser) nicht aufbauen. In der Konsequenz bedeutet das, dass Innovation in einem so politisch motivierten „sprunghaften“ System nur von Playern zu bewältigen sind, die groß genug sind, politische Widrigkeiten zu überstehen (qua Kapitalausstattung und/oder Verbohrtheit). Erst dann gibt es Sprunginnovationen. Aber dann, das sollte man auch aussprechen, durch den Verlust der politischen Hoheit, oder realistisch, durch den endgültigen Gesichtsverlust der Politik.
4) Und dann: Sprunginnovation ist immer Innovation, die sich gegen substanzielle Interessen durchsetzt. Informationstechnologie ist dafür ein gutes Beispiel. Solange Politik das System vollständig von seinen Umweltanforderungen abschottet, kann es keine Sprunginnovation geben. Die Gesundheitskarte ist dafür ein gutes Beispiel. Das wird die Gesundheitskarte nicht verhindern. Aber so lange verzögern, bis die Generation der Bedenkenträger ausgestorben ist.
Was und diese gesundheitspolitische Alternativlosigkeit kostet und wie sie zu ändern wäre, das könnte das Thema einer alternativen ordnungspolitischen Diskussion unter dem Stichwort „Bottom Up-Strategien“ werden.
P.S. Ein Nachwort. Es geht in diesem Beitrag nicht darum, jemanden, sei es Bundesregierung, Politik oder G-BA zu denunzieren. Es geht aber darum, mal den gesundheitspolitischen Alltag von außen zu reflektieren und in seiner Gänze zu beschreiben.
Eines muss man der Bundesregierung ja lassen: Meiner Meinung nach geht vieles, gerade im gesundheitspolitischen Bereich, in die falsche Richtung. Zu viel Zentralität, zu viel Konsensualität, zu viel einheitliche Evaluation. Aber fleißig sind sie, die Umsetzung der Regierungsvereinbarungen wird schneller und reibungsloser erfolgen als sich manche heute denken.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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