Es sind dann ja immer einzelne, faszinierende Menschen, die mit ihren Fähigkeiten, -und manchmal mit ihre Sturheit-, die Welt weiter bringen. Howard-Yana Shapiro hat sich seinen Ruf als notorischer Weltverbesserer hart erarbeitet. Aber er wirkt keineswegs verbissen, sondern souverän und gelassen. Dem Wissenschaftler geht es um die Sache, nicht um Äußerlichkeiten. Silvia Liebrich in der Süddeutschen.
Süddeutsche Zeitung, Wirtschaft, 24.07.2013
Mittwochsporträt
Der Glaubenskrieger
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Von Silvia Liebrich
Howard-Yana Shapiro hat sich seinen Ruf als notorischer Weltverbesserer hart
erarbeitet. Aber er wirkt keineswegs verbissen, sondern souverän und gelassen.
Dem Wissenschaftler geht es um die Sache, nicht um Äußerlichkeiten. Zum
Gespräch in München erscheint der 66-Jährige in einer ausgewaschenen Jeanshose
und schwarzem Shirt. Anzug und Krawatte sind nicht sein Ding. Fester
Händedruck, weiße wallende Haarmähne und ein beeindruckender Bart. Auch als
Mitglied der legendären Altrocker-Band ZZ Top würde dieser Mann eine gute Figur
abgeben. Fehlt nur der Hut. Aus seiner Leidenschaft für Motorräder macht der
international anerkannte Biologe keinen Hehl. Auch sie sind Teil seiner
Sammelleidenschaft.
Aber wegen der Motorräder ist Shapiro nicht gekommen. Im Hauptberuf sammelt
er Pflanzen, genauer gesagt, deren genetischen Code. Der Wissenschaftler hat
eine große Vision: Er will den Hunger auf der Welt bekämpfen, vor allem die
Mangelernährung bei Kindern, die zu schweren Missbildungen führen kann. Eine
bessere Pflanzenzucht – transparent und ohne Patente – ist für ihn dazu der
Schlüssel. Dafür kämpft er. Wenn es sein muss mit unkonventionellen Methoden.
Für Aufsehen sorgte Shapiro vor einigen Jahren, als er das Erbgut der
Kakaopflanze entschlüsselte. Auftraggeber ist sein Arbeitgeber, der
Schokoriegelkonzern Mars. Doch der Forscher stellt eine ungewöhnliche
Bedingung: Niemand dürfe Kapital aus dem Gencode schlagen – keine Patente,
keine Nutzungsgebühren. Das Projekt kostet zehn Millionen Dollar. Der
amerikanische IT-Konzern IBM liefert das komplexe Computerprogramm. Als Shapiro
mit der Arbeit fertig ist, stellt er den Gencode frei verfügbar ins Internet –
und verblüfft damit die Fachwelt. Nur wenige Minuten danach werden die Daten
erstmals abgerufen: vom staatlichen Kakao-Institut in Ghana. Das afrikanische
Land ist einer der größten Kakaoproduzenten.
Züchter und Forscher in der ganzen Welt können seitdem mit dem Gencode
arbeiten. Warum ausgerechnet Kakao? „Ganz einfach, die Menschen lieben
Schokolade“, sagt Shapiro, „aber in den vergangenen 100 Jahren hat es im
Kakaoanbau keine Verbesserungen gegeben. Die Zucht hat versagt.“
Pilzkrankheiten und Schädlinge dezimieren die Ernten in Afrika, Südamerika und
Asien. Die Armut der Kakaobauern wächst. „Der Gencode ermöglicht eine gezielte
Züchtung, und zwar auf dem klassischen Weg, ohne Gene zu manipulieren“, erklärt
der Pflanzenexperte. „Mit den Erbgut-Informationen brauchen wir nicht mehr bis
zu zehn Jahre, um robustere Kakaobäume zu züchten. Schon nach drei Monaten
können wir erkennen, wie widerstandsfähig und ertragreich eine neue Kreuzung
ist.“ Mit besseren Sorten können Kakaobauern Erträge in kurzer Zeit steigern
und ihre Familien leichter ernähren. „Nur wenn die Menschen gesund leben,
können sie auch Wohlstand schaffen“, meint Shapiro.
Bei der Kakao-Entschlüsselung soll es nicht bleiben. Das nächste Projekt hat
Shapiro bereits in Angriff genommen. Es geht um die Entschlüsselung des Genoms
der 100 wichtigsten afrikanischen Nahrungsmittelpflanzen, darunter
Süßkartoffeln, Auberginen oder Maniok – „orphan crops“, wie er sie nennt. Was
so viel bedeutet wie verwaiste oder aufgegebene Pflanzen. Auch diese Ergebnisse
sollen frei zugänglich gemacht werden. „Das wird eine der umfangreichsten und
schwierigsten Studien, die es auf diesem Gebiet bisher gegeben hat“, sagt
Shapiro.
Sein Ansatz der Open-Source-Forschung könnte die gesamte Pflanzenzucht
revolutionieren. Es ist das Alternativprogramm zum Geschäftsmodell der
Agrarindustrie. „Öffnet eure Tresore und teilt mit uns eure Schätze. Damit wir
die Zuchtgeschwindigkeit beschleunigen können“, fordert er. Namen nennt er
nicht. Doch es ist klar, dass er damit Saatgutriesen wie Monsanto oder DuPont
Pioneer meint, die ihre Züchtungen mit Patenten schützen, sodass diese für
andere Züchter nicht zur Verfügung stehen. Für Shapiro führt dieser Weg jedoch
geradewegs in eine Sackgasse.
„Wenn es uns gelingt, das Erbgut der wichtigsten afrikanischen
Nahrungspflanzen zu entschlüsseln, können wir Millionen von Leben retten.“
Davon ist er überzeugt. 80 Prozent der in Afrika eingesetzten Samen wird immer
noch von Kleinbauern vermehrt. „Mit gezielter Zucht können wir den Ertrag
erheblich steigern, ohne ein einziges Gen verändern zu müssen“, erläutert er.
„Wenn wir es nicht machen, wer wird es dann tun?“, fragt er. Die großen
internationalen Agrarfirmen hätten kein Interesse daran, weil sie damit kein
Geld verdienen können.
Das Orphan-crops-Projekt ist die wohl größte Herausforderung seiner
Karriere. Zeit zum Ausruhen bleibt da kaum. „Schlafen macht mich nur nervös“,
grinst er. Von Müdigkeit keine Spur. Richtig Urlaub genommen habe er nur einmal
in seinem Berufsleben, als seine Tochter zur Welt kam. „Meine Familie ist daran
gewöhnt, ohne mich Urlaub zu machen.“ Gerade erst ist er aus London angekommen.
Seine nächste Station ist Lindau am Bodensee. Dort will er sein Vorhaben bei
einem Treffen von Nobelpreisträgern vorstellen. Die Zeit drängt. Er zieht
seinen Laptop aus der Tasche, auf dem Deckel prangt ein großer Totenkopf. Als
er den Computer hochfährt, taucht ein malerischer Seerosenteich als Hintergrund
auf dem Bildschirm auf. Harte Schale, weicher Kern. Einer wie Shapiro passt in
keine Schublade.
Seit mehr als 40 Jahren setzt er sich für eine umweltfreundliche und
ressourcenschonende Landwirtschaft ein. Immer wieder wechselt er dabei die
Perspektive. Er lehrt als Professor einige Jahre Agrarwissenschaft an der
University of California. Er berät Umweltschutzorganisationen, Firmen und
Regierungsstellen. Als Unternehmer ist er ebenfalls erfolgreich. Er ist 1989
Mitgründer von Seeds of Change und baut die Firma zu einem der größten
Ökosaatgutanbieter in den USA auf. Später kommen Biofertiggerichte dazu. Als
Mars seine Unternehmen 1997 übernimmt, geht Shapiro mit. Heute leitet er dort
die Abteilung für Pflanzenforschung.
Es hat eine Weile gedauert, bis sie dort mit ihm warm geworden sind.
„Anfangs wussten sie nicht so recht, was sie mit mir anfangen sollten. Dann
haben sie mich einfach machen lassen“, sagt er grinsend und meint damit den
Mars-Clan, eine der reichsten und verschwiegensten Familien der USA, die den
gleichnamigen Weltkonzern besitzt. Mit Süßwaren, Tiernahrung und anderen
Produkten setzt der stille Riese 33 Milliarden Dollar pro Jahr um und
beschäftigt weltweit 72 000 Mitarbeiter. Der Gewinn ist unbekannt. Shapiro und
seine Arbeitgeber verbindet ein großes Ziel. Bis zum Jahr 2020 will der
Schokoladenhersteller nur noch Kakao aus nachhaltigem Anbau einsetzen. Das
bedeutet, Bauern sollen ein besseres Auskommen haben und ihre Plantagen
umweltschonend bewirtschaften. Dafür gibt der Konzern 30 Millionen Dollar aus.
Shapiro soll dafür sorgen, dass dieses Geld gut angelegt ist.
Es ist sein unerschütterliche Glaube, der den Forscher antreibt: Alles ist
machbar, wenn man nur will. Dass es oft die gewundenen Wege sind, die zum Ziel
führen, lernt er früh. Aufgewachsen ist er nach dem Zweiten Weltkrieg in New
York. „Das war eine harte Zeit. Für mich als Kind aber auch sehr spannend“,
erzählt er. Mit fünf Jahren fängt er an, in den Ferien auf der Farm seine
Onkels auszuhelfen. „Das war eine gute Schule für mich. Ich habe gelernt, wie
eine Pflanze wächst, wie man Tiere behandelt.“ Zu Hause kann er seinen
Forscherdrang ausleben. Sein Vater ist Wissenschaftler, seine Mutter
Opernsängerin und leidenschaftliche Mathematikerin. Während andere Kinder vor
dem Fernseher sitzen, löst Shapiro mit seiner Mutter Mathematikaufgaben , „ohne
Papier“, wie er betont, einfach so zum Spaß. Als Jugendlicher arbeitet er
nachts in einer Stahlfabrik, tagsüber geht er zur Schule. „Da habe ich gelernt,
mit Leuten unterschiedlichster Herkunft zu arbeiten.“ Auch als Professor gibt
er sich mit Erreichtem nicht zufrieden. „Ich war unbequem, wollte das
Lehrsystem weiter verbessern.“
Am Anfang ist das Orphan-crops-Projekt für ihn nur eine vage Idee. Ein
Treffen am idyllischen Comer See, in Bellagio, bringt die Sache ins Rollen.
Shapiro trifft sich mit langjährigen Wegbegleitern. Bei Pasta und Rotwein wird
aus der Idee ein Projekt. Die Suche nach Sponsoren beginnt. Eine kurzfristig
improvisierte Veranstaltung 2010 in New York ist hochkarätig besetzt. Der
frühere amerikanische Präsident Bill Clinton, der Schauspieler Jim Carrey,
Vertreter der US-Regierung, von UN-Organisationen und aus Afrika sagen ihre
Unterstützung zu.
Auf die Forscher wartet eine Herkulesaufgabe. Die Analyse der 100 Pflanzen
ist ein Kraftakt, an dem 250 Wissenschaftler und 500 Techniker in den nächsten
Jahren arbeiten werden. Das Erbgut wird vor allem von chinesischen
Wissenschaftlern am Beiing Genomic Institute (BGI) entschlüsselt. Das BGI gilt
international als erste Adresse der Genanalyse. Züchter in afrikanischen
Ländern werden gleichzeitig geschult. Sie sollen die Zucht später vorantreiben.
Partner des 40-Millionen-Dollar-Projekts sind unter anderem das wirtschaftliche
Entwicklungsprogramm der Afrikanischen Union (NEPAD), das Beijing Genomic
Institute (BGI), der WWF, die University of California sowie die Firmen Mars
und Life Technologies.
Silvia Liebrich
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Silvia Liebrich ist Redakteurin im Wirtschaftsressort der Süddeutschen Zeitung
seit dem Jahr 2000. Sie schreibt über Gentechnik, Lebensmittel, Energie,
Umwelt, Rohstoffe, Welthandel, Afrika und was sonst noch kommt. Sie hat
Wirtschaftswissenschaften und Journalistik studiert und unter anderem für die
Deutschen Presse-Agentur und das Handelsblatt gearbeitet.