Die meisten von uns denken ja, sie wissen, wie Demokratie funktioniert. Aber wenn man genauer hinsieht, ist es dann doch ganz anders. Eine Tour durch den Westen.
Deutschland ist eines der wenigen Länder, in denen nicht dynastisch gedacht wird. Albrecht/Von der Leyen oder die Familie Lambsdorff geben keine Dynastiegeschichte ab. Da können andere Länder schon ganz andere Geschichten erzählen. Herrschaft ist auch in demokratischen Gesellschaften nicht nur Res Publica, also Austausch von Argumenten, sondern immer auch Mobilisierung von Zustimmung, man könnte sagen, Rudelbildung. Der Mensch funktioniert nicht nur über den Kopf.
In Frankreich ist das alles relativ einfach. Das zentralistische Land hat bereits früh eine politbürokratische Herrscherkaste ausgebildet. Sie geht in dieselben Schulen, Science Po oder Ecole Normale, noch ein paar andere, ausgewählte Eliteschulen und dann wird das Land zentral administriert. Und wenn jetzt der Premier seine Ex wieder ins Kabinett holt, ist das nur das letzte Sahnehäubchen auf das für Europa entscheidende Herrschaftsdrama.
Die Folgen oligarchischen Verhaltens sind ebenfalls längst sichtbar: Weil Politik dominiert und es eine politik- und großunternehmensübergreifende Administratorenklasse gibt, stagniert das Land. Das Land schirmt sich ab, will seiner Bevölkerung nicht die Wahrheit sagen, dass sich nämlich alle europäischen Länder einem verschärften Wettbewerb stellen müssen. Die kreative Kraft der Zerstörung, die im kalten Kapitalismus herrscht, wird so lange offiziell ausgeblendet, bis sie über große Jugendarbeitslosigkeit, die Abdrängung von Migranten in Getthos nicht mehr länger unsichtbar geredet werden kann.
In Italien fragt man sich manchmal, ob es sich im Lande der Res Publica tatsächlich um eine Demokratie im klassischen Sinne handelt. Es ist eher eine Art Oper (oder Operette), manchmal Tragikomödie. Die Ära Berlusconi lässt sich überzeugten Demokraten oder überzeugten Europäern nicht wirklich erklären. Außer natürlich neomarxistisch: Rücksichtsloser Aufsteiger lässt sich von niemandem etwas sagen, reißt die Medien an sich, gewinnt so die Hoheit über die Biertische (auf denen dort Wein kredenzt wird), über den Einstieg der Mafia in dieses Herrschaftssystem wollen wir jetzt gar nicht spekulieren. Einig dürften wir aber in einem sein: Um Demokratie im aufgeklärten Sinne handelt es sich da nicht. Die Reinigungsprozesse dauern an, ein Ende ist nicht in Sicht.
Die Mutter der Demokratien, die USA, sind ein Land, in dem man alles kaufen kann. Jüngst haben die obersten Gerichte wieder mal die Superfunds, mit denen Milliardäre Geld in die Politik schaufeln können, für rechtens erklärt. Schon das amerikanische Gesundheitswesen zeigt, dass eine demokratische Gesellschaft mit marktwirtschaftlicher Ordnung tatsächlich einen Regulierungskraft braucht und nicht diese Wagenburgmentalität, bei denen schnell gewählte Friedensrichter eine Nacht für Ruhe sorgen, bevor sie am nächsten Tag wieder weiter ziehen. Das amerikanische Gesundheitssystem ist auch dasjenige, bei dem mit den meisten Pro-Kopf-Ausgaben die geringsten Effekte erzielt werden. Die einen sind unter, die anderen sind überversorgt. Beiden geht es nicht gut. Die dynastische Frage buchstabiert sich dann so: Kennedy, über die moralische und sonstige Qualität wollen wir besser nichts sagen, die Clintons sind sozusagen die Aufsteigerdynastie, wenn es jetzt so aussieht, als ob Hillary ihrem Mann nachfolgen könnte. Und jetzt will auch noch einer der Bushs in den Ring steigen. Der dritte Busch innerhalb von dreißig, vierzig Jahren (Die Zeit zieht so schnell vorbei).
Und: Um in USA Präsidentschaftskandidat zu werden, muss man Millionär oder besser noch Milliardär sein. Der letzte Präsidentschaftswahlkampf kostete zwischen 2 oder 4 Mrd. $, die genaue Zahl weiß ich nicht mehr, aber die Größenordnung ist atemberaubend. Und: Beschämend.
Das ist es, was mir Sorgen bereitet: Der Westen spricht von „Dem Modell“ Demokratie. Wenn er sich aber selbst in den Spiegel schaut, müsste er längst mal darüber reden, was zu tun ist, damit Demokratie wie Demokratie funktioniert. In Europa ja ohnehin, da wollen die „proeuropäischen“ Politiker ein Europa installieren, was wie ein Nationalstaat funktioniert. Problem: Der funktioniert aber nur manchmal und ganz unterschiedlich. Deswegen wäre es angebracht, mal die Luft anzuhalten, mal wahrzunehmen, in welch schlechten moralischen und institutionellen Zustand die nach Deutschland größten Länder sind. Aber Einmischung ist nicht.
Es fehlt an einer Zivilgesellschaft, die sich europäisch für ein funktionierendes Gemeinwesen engagiert. Und solange es das nicht gibt, wird mehr Europa vor allem mehr Kuhhandel sein.
Man soll sich ja nicht selbst loben: Aber gegen die Zustände in anderen Ländern stehen wir Deutschen ganz gut da. Unsere Politiker sind provinziell, der Föderalismus, die schwache Hauptstadt Berlin schützen uns davor, sich selber besoffen zu reden. Eine zwar nicht sehr politische, aber moralisch integere Angela Merkel ist dafür ein gutes Symbol. Aber auch das sonstige Personal bis hin zur Linkspartei (auch wenn man deren Programmatik nicht schätzt), ist überdurchschnittlich sachlich.
Das soll auch mal gesagt werden. Und damit zurück ins Funkhaus.