Viele meiner grünen Realofreunde sind jetzt ganz erleichtert. Endlich sind sie weg, die VertreterInnen der Grünen Jugend, die sich in Talkshows tummeln und von einem quasisozialistischem Deutschland träumen. Aber so einfach ist es nicht. Wir Grünen müssen uns streiten, darüber, wie Deutschland in der Welt dasteht, wie wir die Schaffenskraft unserer Gesellschaft wiederbeleben können, wie wir die Stärke einer marktwirtschaftlichen Ordnung besser aktivieren können und wie unser Narrativ auch einen strategischen Unterbau erhalten könnte. Denn daran krankt es aktuell.
Die Ausgangslage: Von hehren Prinzipien verbaut!
Niemand ist gegen Gerechtigkeit. Niemand lässt die Welt gerne leiden. Niemand will den Planeten den Bach runtergehen sehen. Die Frage ist nur, auf welchem Wege man Gerechtigkeit, Klimaschutz und Wirtschaftswachstum, neben allen anderen Fragen, erreichen kann.
Hat Jens Spahn recht? Oder Wir? Oder beide nicht!
Auf dem Standortkongress der Wirtschaftsvereinigung der Grünen hat der geladene Jens Spahn seine Position so formuliert: Erst das Wirtschaftswachstum, dann Klimaschutz. Eine Steilvorlage, denn nichts ist so polemisierbar. Erst die Ölheizung, dann alles rausreißen und die Wärmepumpe etwa? An dieser Zuspitzung zeigt sich der Irrsinn politischer Debatten. Lange hieß es, die Grünen wollen alle Grenzen niederreißen, dabei hatten sie nur keine Ideen und keine Mut, wie Zurückweisung geht (ein Zustand, der genauer betrachtet, heute noch anhält). Klar hat das auch die CSU instrumentalisiert. Scheinbar genutzt hat es beiden, weil sich beide Streitpartner damit bei ihrer Klientel profilieren konnten. Tatsächlich genutzt hat es aber der AfD, weil keiner sich damit beschäftigt hat, wie Grenzsicherung tatsächlich ginge. Das merken über die Jahre auch diejenigen, die sich wenig mit Politik beschäftigen; – und setzen ihr Wahlkreuz entsprechend.
Komplexität heißt Unvorhersehbarkeit
Politik heute ist agieren in einer komplexen Situation. Komplex bedeutet, nicht nur kompliziert, also vorhersehbar, wenngleich verzwickt, sondern insgesamt unberechenbar. Letztlich hängt alles mit allem zusammen. Ob man die Ukraine weiter in ihrem Freiheitskampf unterstützt, hängt auch vom Ausgang der amerikanischen Wahl ab. Ob eine Klimapolitik erfolgreich ist, hängt auch davon ab, wie nationale Strategien mit der europäischen Strategie zusammenpasst und die mit der Weltlage. Schließlich fociereen Russland und China eine Gegenposition zur Dominanz des Westens auf die Welt, die “unabhängigen Länder”, Indien, Brasilien als Beispiel, nutzen das, um mehr Beinfreiheit zu gewinnen.
Und zuhause sägen AfD und das Marketingprojekt Sarah Wagenknecht an der Legitimation der etablierten Parteien.
Die CDU hat sich in dieser Situation vorübergehend, weil in der Opposition stabilisiert, die Ampel, in Verantwortung, marginalisiert. Was tun? Was tun als Grüne?
Sind wir nicht alle Populisten?
Die Antwort ist, anders als manche “stramme Realos” meinen, nicht so einfach. Ergänzend: Ich bin auch einer. Aber einer, der nicht meint, mit dem Ausstieg grüner Jugendlicher, die vom Sozialismus träumen, aber die Linkspartei verschmähen (die Marginalisierung der Linken kennen wir doch aus unserer Jugend) wäre alles erledigt. Die Herausforderung steckt nämlich darin, wie wir ökonomische Tatbestände in das Weltbild mancher grüner Politiker, aber auch eines großen Teils unserer Unterstützerinnen und Unterstützer, einpflegen können. Denn viele von Ihnen, viele von uns, sind in staatsnahen Bereichen unterwegs. Die Elite der Wissensgesellschaft, deren Spitze wir qua Diskursfähigkeit bilden, nannte Schelsky 1975 in seiner Polemik “Die Arbeit tun die Anderen. Klassenkampf und die Priesterherrschaft der Intellektuellen”, die sinnstiftenden Klassen. Und er prophezeite, sie würden über kurz oder lang die Macht ergreifen.
Wir Grünen haben Gipfel unserer Deutungshoheit erreicht.
So ist es gekommen. Der Aufstieg der Wissenschaften, gepaart mit einer hohen Staatsgläubigkeit der Deutschen, hat zum Siegeszug der Grünen, ihrer kulturellen Herrschaft geführt. Sie, also wir, haben die Agenda bestimmt. Klimaschutz einerseits, Gerechtigkeit andererseits, Selbstbestimmung für jede Minderheit, Transparenz etc. etc. Entstanden ist daraus eine positivistische Wissenschaftsgläubigkeit, die in dem Spruch “Folgt der Wissenschaft” selten dämlich endet. Wissenschaftliches Wissen ist nur so lange wahr, wie eine neue Theorie bessere Ergebnisse zeitigt. Und wissenschaftliche Ex-Post Evidenz taugt nichts, wenn es darum geht, Linien in die Zukunft zu erkennen. Kompexe Situationen lassen sich zwar veranschaulichen, wenn man sie auf weniger Einflußfaktoren reduziert, aber jede Reduktion bedingt auch eine Fehleranfälligkeit. Also, wenn Wissenschaft, dann nicht mit dem Duktur der Objektivität, sondern dem Bewußtsein der Fehlbarkeit.
Beim Abstieg zeigen sich neue Schwierigkeiten
So ist auch unser wenig geschätztes Heizungsgesetz ein Opfer der aktuellen Situation (der Mindestlohn, um das mal zu erwähnen, profitierte bei seiner ersten Festsetzung dagegen davon, dass er die richtige Maßnahme zur richtigen Zeit war, was nicht beinhaltet, dass eine Erhöhung des Mindestlohnes heute, in einer anderen Lage, wieder die richtige Maßnahme wäre). Also das Heizungsgesetz hat in einer Zeit maximaler Anspannung nach Corona und durch Putins Krieg eine ganz andere Wirkung erzielt, als die Autoren der Agora Energiewende prognostiziert haben. Denn demütig müssten wir sagen, ok, wir hatten die Unterstützung von Wissenschaft und Wirtschaft, haben alles dafür getan, eine solide Vorarbeit zu leisten. Aber dann kam eben alles anders. Und scheinbar familiäre Kumpanei hat dann zu den üblichen Bauernopfern geführt.
Politik ist ein Vielfrontenkrieg. Und politische Debatten fokussieren sich oftmals auf Grundsatzpositionen, die in der Realität dann keine Rolle mehr spielen. Jens Spahn, den ich, um Missverständnisse zu vermeiden, aufgrund seiner rhetorischen Klarheit sehr schätze, generiert sich als Marktwirtschaftler, in seiner Rolle als Gesundheitsminister hat man davon oftmals wenig gespürt. Da marschierte er stramm auf der Linie der aktuellen Machthaber des gesundheitspolitischen Diskurses, der mittelalterlich verfassten “freien Berufe”. Die FDP mäandert da ähnlich.
Es geht also darum, fachpolitische Debatten stärker darauf zu fokussieren, wie man Bürokratie abbaut, den verregelt vernagelten Gesundheitsbereich veränderbarer macht, die Schulen von überbordenden Vorgaben der Politik frei macht und zum Leben erweckt, kurz verändert, veränderbar macht in einer gegebenen Situation. Und gleichzeitig, um die geistige Führung im politischen Meinungskampf zu behaupten, müssen wir unsere Narrative verändern, um das Vertrauen bei Mehrheiten zu gewinnen.
Nicht einfach!
Man sieht nur, was man weiß
Es geht also darum, wie wir als Grüne unseren Blick auf die Wirklichkeit freilegen können. Wir wissen eben nicht alles besser, Pläne und zentrale Vorgaben funktionieren in einer komplexen systemischen Aufstellung eben nicht. Das verhindern schon die komplizierten binnenpolitischen Verhandlungsmuster zwischen Koalitionspartnern, Bund, Länder und Europa. Stattdessen sollten wir daran arbeiten, die Selbstwirksamkeit in der Gesellschaft wieder stärker freizulegen. Die Klimafrage haben in Deutschland alle Unternehmer, Forscher und Ingenieure ganz oben auf dem Schirm, also, welcher Ansatz, welche Lösung stetzt sich dann durch. Das ist immer wieder konkret zu beantworten: Beim Thema eMobilität sind die Weichen gestellt, das hat China für uns entschieden, wer jetzt wieder so tut, als wäre der PKW-Verkehr technologieoffen, verunsichert die Unternehmen. Andere Frage ist, ob man die “Strafen” für Nichteinhaltung der Flotten-Emissionsziele, aussetzt, denn die Unternehmen haben sich auf den Weg gemacht und müssen jetzt den technologischen und Skalierungsvorsprung chinesischer Hersteller (und der drohenden Blockadepolitik unter Trump) aufholen.
Nicht so einfach also, das Ganze. Und wenn wir Grüne in dieser Situation unter Robert Habeck und Franziska Brantner wieder die intellektuelle Führung, das Framing und das Agendasetting übernehmen möchten, können wir das nur dann tun, wenn wir die notwendigen Diskussionen nach innen, mit unseren zahlreichen papiergeschulten Mandatsträgern ohne hinreichend praktische Erfahrung und den Wissenschaftsgläubigen, auch offen führen. Wirklichkeit ist komplex. Narrative sind einfach. Und die Aufgabe ist so herausfordernd wie einfach: Wie schließen wir den Raum dazwischen.
Na, dann mal los!