Ein Debakel für die Volksparteien, das war diese Europawahl. Die SPD spinnt weiter interne Intrigen, während die traditionelle Klientel, der Malocher, von dem Sigmar Gabriel so beherzt in Talkshows spricht, sich AfD und CDU zuwendet. Die CDU, soweit steht es jetzt fest, die CDU ist die Partei fürs Fremdschämen. Sorry, Jungs und Mädels. Und Fremdschämen fängt bei der Vorsitzenden an.
Wer kandidiert hat, spielt keine Rolle. Manfred Weber, dieser sanfte CSU Mann, der jetzt in Sachen Nordstream II gegen seine Partei punktet (wozu haben wir eigentlich auf europäischer Ebene Parteien, wenn sich nationale Festlegungen dann europäisch in Luft auflösen?) hätte für jede Partei kandidieren können. Mainstream. Alle warten auf AKK. Aber die einzig markante Initiative aus ihrem Munde war und ist der Flugzeugträger. Darauf wartet nun niemand. Die CDU, die dachte, sie könne mit einem jungen Generalsekretär und einer politikerfahrenen Vorsitzenden Punkte machen, hat komplett versagt. Nur Söder hat seinen Laden im Griff.
Warum eigentlich? AKK bringt alles mit, was für eine Kanzlerschaft notwendig ist: Politikerfahrung, Regierungserfahrung, einen erfolgreichen Wahlkampf auf eigene Rechnung, intensive Kontaktnahme mit der Basis, alle bescheinigen, dass sie aufgeschlossen ist im direkten Kontakt.
AKK nach der Wahl. Das ist, als ob die DDR noch nicht untergegangen wäre
Aber diese Medienauftritte? Unglaublich. Sprachlich fühlt man sich an die DDR erinnert. Politsprech vom schlimmsten. Phrasendreschmaschine.
Und dann noch der Umgang mit Rezo. Gibt es da niemanden in der CDU, der auf Augenhöhe mit der jungen Generation kommunizieren kann? Uns hätten die Videos des frühvergreisten Jungpensionärs Phillip Amthor doch interessiert. Das 12 seitige PDF jedenfalls hat es nicht.
AKK Ist es also nicht. Entgegen der innerparteilichen Meinungsbildung wird es aber auch nicht Friedrich März werden. Mag er analytisch noch so stark sein (und ich teile viele seiner Positionen), der Gestus, den er ausstrahlt, die Unbeholfenheit, mit der er sich zur Mittelschicht zählen möchte (Hinweis: Der Riss der Gesellschaft geht mitten durch diese Mitte, Mittelschicht bleibt man nicht qua Geburt), all das zeigt: Er kann keine Themen setzen, er kann keine Trends erkennen, er kann nur Freistil.
Die Europawahl war eine national dominierte Richtungswahl
Wenn wir einen Augenblick zurücktreten und reflektieren, warum jetzt so gewählt wurde, stellen wir fest: Es war, stärker als alles andere, eine nationale Richtungswahl. Und die Richtung heißt, weltoffen, Europa zugewandt einerseits, die Zukunftsfrage adressierend, Klimawandel zuerst, mit einer Ausstrahlung, “das Ganze”, was immer es ist, nicht zu vergessen. Und andererseits das vergebliche Flehen, es solle wieder “werden, wie es niemals war” (Joachim Meyerhoff).
Zwischendrin Wischiwaschi.
Erst wenn wir die Wahrnehmung und das Denken ändern, werden wir verstehen, welcher Abgrund sich zum Ende der Dienstzeit von Angela Merkel auftut.
Die Implosion der Mitte.
Für die SPD fällt mir kein Rezept ein.
Für die CDU ein Hinweis: Der einzig bekannte CDU Minister, der beides bewiesen hat, Regierungsfähigkeit, Mut zum Klartext und zur entschiedenen Administration UND Kommunikationsfähigkeit mit der Jugend, der heißt Jens Spahn!
Diejenigen, die jetzt wieder mäandern, es ginge um die Frage, ob die CDU konservativer oder weltoffener sein solle, den frage ich ganz offen: Wo bitte ist zwischen Spahn und AKK der Unterschied? Schwulenehe, Organspende, was gibt es noch für Gewissensentscheidungen?, einen klaren Unterschied kann ich nicht erkennen.
Personen schaffen Vertrauen. Oder eben nicht.
Ein Blick auf den Nachbarn Österreich lehrt uns anderes: Nach der Phase institutioneller Lösungen verschiebt sich der Rahmen: Vertrauen bildet sich über Personen. Und unabhängig von der Politik im Einzelfall, über seinen Weg, sich die Partei gefügig zu machen, hat Kanzler Kurz Profil gewonnen.
Die Grünen haben das ebenfalls, ein frisches Pärchen an der Spitze, bei denen eben doch viele stolz sind, dass sie so sind, wie sie sind. Weil sie auf Augenhöhe reden können.
Jens Spahn könnte das auch. Es wäre schade für die Gesundheitspolitik, das schon. Aber was ihn im Gegensatz zu anderen CDU Spitzen-Politikern auszeichnet, ist, dass er sowohl die kommunikative wie auch die administrative Ebene beherrscht. Jens Spahn hätte kein Problem, mit Rezo umzugehen. Da unterscheidet er sich von den jungen und alten Karrieristen in der CDU.
Wie weiter?
Von der FDP redet ja niemand mehr. Die Grünen sollten aufpassen, damit der Wahlsieg nicht zum Pyrrussieg wird. Auf sie zahlt das Umwelt- und Klimathema ein. Aber nach der Wahl ist vor der Wahl. Deswegen kommt es jetzt darauf an, dass die Partei die Antworten auf die Fragen findet, die mit ihr verbunden werden. Und die erfolgreiche Fortführung der Energiewende (“Die Mühen der Ebene”) steht ebenso infrage wie die Einleitung der Mobilitäts- und der Agrarwende. Beantwortet ist, dass etwas zu tun ist. Bleibt jetzt die Frage, wie es zu tun ist (auch, wenn es vor der Wahl niemanden interessiert).
Die CDU braucht eine Art Reset. Die SPD löst sich auf. Eine Hälfte erben die Grünen, die zweite die Linkspartei.
Es wird wieder spannend. Wenn die Blaupausen versagen, kommt es auf die Menschen an.