Weil meine These ja immer ist, dass sich die Dinge anders entwickeln als geplant (oder als Politik denkt), hier ein Beispiel. Afrika wächst. Sponsert by Deutsches EEG. Besser als Entwicklungshilfe.
Süddeutsche, Wirtschaft, 24.07.2013
Solarstrom
Energie im Nirgendwo
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Von Michael Bauchmüller
Kabunyata – Die Sonne sengt im Busch, langsam erst legt sich die Staubwolke auf
der Piste. Sie gibt den Blick frei auf den Mast. Mitten in der Einöde ein
Mobilfunkmast. Das Tor zur Welt, wie in so vielen Gegenden Afrikas. Ein
Mobilfunkmast, das ist nicht nur Kontakt jenseits der Staubpisten, das ist auch
der Zugang zu Geld, verschickt per SMS, ausgezahlt am Handyshop. Nirgends auf
der Welt hat Mobilfunk so viel mit neuen Perspektiven zu tun wie in solchen
Winkeln der Erde. Und ganz genau hier, an einem stählernen Mast in praller
Sonne, beginnt die Geschichte von Lars Kirchner. Mitten in Uganda.
Daheim im hessischen Alheim hat Kirchner, 42, jeden Quadratmeter
gepflastert. Sein ganzes Firmengelände ist voll mit Solarzellen, die Gegend
rundherum auch. Alles Kirchner. Die Installation von Solarparks, von
Dachanlagen, das war jahrelang sein großes Geschäft, inmitten des teuren
deutschen Solarbooms. Dann kam der Knick. „Irgendwann war mir klar, dass wir
ein Geschäft brauchen, das von Subventionen unabhängig ist.“ Masten etwa,
irgendwo in Afrika.
Mag es an vielem fehlen in Staaten wie Uganda, an sauberem Wasser, Strom,
Schulen, Krankenhäusern – ein Mobilfunknetz gibt es fast überall. 176 000
Sendemasten finden sich, grob überschlägig, südlich der Sahara, 4000 davon
allein in Uganda. Nur braucht so ein Mast auch Strom, und Stromleitungen gibt
es nicht. Also tuckern überall kleine Generatoren, die alle paar Tage mit
Diesel befüllt werden müssen. Auch an Kirchners erstem Mobilfunkmast riecht es
noch nach Diesel. Nur tuckert hier nichts mehr. Stattdessen steht da jetzt
diese Stahlkonstruktion mit den Solarmodulen obendrauf, darunter eine Batterie,
groß wie ein Container. Und das Telefon funktioniert.
Er habe, sagt Kirchner und sperrt das Tor zum Mast auf, ein paar Jahre Mut
fassen müssen für die Idee. Ein ugandischer Freund hatte ihn auf die Sache mit
dem Mobilfunk gebracht, das war 2005. Alles klang einfach und doch unendlich
kompliziert. Seit 1991 hatte Kirchner mit Solarzellen experimentiert, zuerst in
seinem Elektroladen. Anfangs hat er Campingbusse mit Solarzellen ausgestattet,
Segelboote. Immer ging es um die Kraft der Sonne, um Unabhängigkeit von
Stromnetzen. Kirchner Solar zählte später zu den Pionieren. „Als der Boom
losging, hatten wir fünf Jahre Vorsprung“, sagt er. „Der hat sich dann
aufgebraucht.“ Jetzt sengt die Sonne, es wird unerträglich heiß. Aber Kirchner
sagt noch: „Für den Rollout in Afrika ist das hier der genau richtige Ort.“ Am
Ende irgendwelcher Staubpisten, fernab von allem. Von fast allem.
Es gibt nämlich auch bei Kirchners Mast ein kleines Dorf, es heißt
Kabunyata. Eine lange, staubige Straße, einfache Häuser, kein Strom. Jedenfalls
bisher. Insofern ein ganz normales ugandisches Dorf, denn nicht einmal jeder
zehnte Ugander auf dem Land hat daheim eine Steckdose. Stattdessen rußen abends
die Kerosinlampen die Zimmer voll, und wer sein Handy aufladen will, muss
stundenlang in die nächste größere Ortschaft radeln, sie liegt gut 30 Kilometer
entfernt. Aus großen Kisten lässt sich dort Strom kaufen, Holzkisten mit
Dutzenden Steckdosen und einem Gewirr schwarzer Ladekabel.
Das ist das andere Kapitel von Kirchners Geschichte. Es spielt an einem
Freitag im Juni, unter anderem in dem kleinen Laden von Verna Kirikuwa. Seit
Jahren verkauft sie an der Hauptstraße gekühlte Getränke, die Flasche für ein
paar Cent. Der Kühlschrank hat sogar einen Stecker, aber auch einen Tank. Denn
bisher lief der Kühlschrank nur mit Kerosin, der ganze Raum riecht noch danach.
Untersuchungen der Weltgesundheitsbehörde WHO zufolge sterben in Afrika mehr
Menschen an den Folgen rußiger Abgase als an Malaria.
An diesem Freitag aber fließt erstmals der Strom in Kirikuwas Haus. Eine
kleine Lampe brennt im Laden, sie selbst hat sie eben angeschaltet. „Ich fühle
mich zum Tanzen“, sagt sie. Und alles nur mit Sonne am Mobilfunkmast und einer
Leitung, mit Solarzellen und einer Batterie, installiert – von einer kleinen
Firma in Alheim, Hessen. Ein ganzes Dorf fühlt sich zum Tanzen an diesem Tag.
Strom kann eben eine ganze Menge verändern, wenn er einmal fließt.
In den Ländern Ostafrikas gäbe es noch 670 Dörfer, die in der Nähe eines
Mobilfunkmasts sind und noch keinen Strom haben. Experten der deutschen
Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit haben das ausgerechnet, sie
unterstützen Kirchners Projekt. Insgesamt 1,2 Millionen Menschen könnten so
Strom bekommen. Die Gespräche mit einem der großen ostafrikanischen
Mobilfunkkonzerne laufen. Verhandlungsgegenstand: 2000-mal Solarstrom statt
Dieselgenerator.
In Kabunyata stehen nun die nächsten neuen Strommasten wie schwarze
Zahnstocher, an vielen hängt noch keine Leitung. Wer aber wie Ladenbesitzerin
Kirikuwa schon ein Stromkabel hat, der kauft Elektrizität wie Guthaben auf dem
Handy: vorab und per SMS. Es gibt einen Premium-Tarif für Strom rund um die Uhr
und einen billigeren, flexiblen: Er verspricht Strom nur, solange noch genug in
der Batterie ist.
Für den großen „Rollout“ bereitet Kirchner derweil eine Zweigstelle in
Ruanda vor, ebenfalls in der Mitte von Nirgendwo, zwei Stunden nördlich der
Hauptstadt Kampala. „Unsere Kunden sind schließlich auch im Outback“, sagt
Kirchner, es ist ein gewagtes Argument. Abgesehen davon lasse sich hier draußen
am ehesten demonstrieren, wie unabhängige Stromversorgung funktioniert. Nur mit
Sonne, ohne Stromnetz. Völlig autark. Ein bisschen verrückt muss man schon sein
für die Aktion. 4,2 Millionen Euro hat Kirchner in Afrika investiert. „Noch
drei oder vier Jahre, dann machen wir hier Gewinn“, sagt Kirchner. „Das Projekt
ist so gut, das lässt sich nicht mehr aufhalten.“ Und das hat dann wieder mit
dem deutschen Solarboom zu tun.
Kirchner geht in einen Nebenraum seiner Uganda-Dependance, er kommt zurück
mit einer Lampe und einem kleinen Solarmodul. Die Lösung für den Busch ohne
Mobilfunkmast. „Ohne die Entwicklung in Deutschland“, sagt Kirchner, „würde
diese Lampe 250 Euro kosten.“ Stattdessen kostet sie nun 60 Euro. Aufstieg und
Niedergang der deutschen Solarindustrie – in Uganda zeigen sich alle Facetten.
Der Boom hat Leute wie Kirchner reich gemacht und den Wettbewerb angestachelt.
Heute lässt die wachsende Konkurrenz aus Fernost Solarunternehmen fast keine
andere Chance mehr, als irgendwo anders ihr Glück zu suchen. Und weil in der
Zwischenzeit die Preise für die Module so stark gefallen sind, ist das Glück
mitunter gar nicht so fern. Für alle Beteiligten. Es macht das Solargeschäft
profitabler. Sonnenstrom ist nun viel billiger als Kerosin.
In sechs Stunden ist der Akku tagsüber aufgeladen, damit gibt die Lampe
einen ganzen Abend lang Licht – ohne Ruß. Was der Mobilfunkmast in groß ist,
das ist die Lampe in klein: Energie im Irgendwo.
Michael Bauchmüller
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Michael Bauchmüller kam 2001 als Absolvent der Kölner Journalistenschule zur
Süddeutschen Zeitung. Der Diplom-Volkswirt war zunächst in der
Wirtschaftsredaktion in München tätig, ehe er 2005 nach Berlin wechselte. Von
dort aus berichtet er für die SZ über Umwelt-, Energie- und Verkehrspolitik.
Außerdem verfolgt er die Geschicke der Grünen.