Alles klarmachen! Bloß nicht zum Entern.

Einige Bemerkungen zur Situation der Grünen

Die Grünen, gerade noch Everybodies Darling, sind in Verteidigungsposition. Während sie, kaum ein Jahr zuvor, als die neue Volkspartei gehandelt und durch Stuttgart 21 und Fukushima (und eigenes Zutun) an die Macht gespült wurden, erscheinen sie plötzlich sturmreif geschossen.

Hilfe, die Piraten kommen. Alles klarmachen. Aber ganz tröge, zur Verteidigung des eigenen Dampfers.

Nun also, lesen wir in der Zeitung, planen die Grünen eine Anti-Piraten Kampagne. Das kann nicht klappen. Es geht nämlich längst nicht mehr darum, die Piraten zu bekämpfen. Die Frage ist, welchen Kurs die Grünen steuern, um einerseits zwischen Scylla, dem Ungeheuer der Volkspartei und Charybdis, dem Traum vom unbeschwerten Piratendasein, erfolgreich hindurch zu segeln.

Das offene Meer liegt also hinter uns, wir haben durch eine Meerenge zu navigieren, durch die auch die Konkurrenz sich bewegen will. Und noch liegt die Engstelle, September 2013 vor uns, deshalb scheint es klug, jetzt den Streit vom Zaun zu brechen, der später, wenn es hart auf hart kommt, zum Scheitern führen würde.

Einige Bemerkungen dazu:

1) Die letzten Jahre sind die Grünen im Konsens gut gesegelt. Eine faktische Viererspitze, die alle Macht und Themenfragen miteinander austariert haben. Aber diese innere Balance ist, spätestens seit dem Scheitern in Berlin, aus dem Ruder gelaufen. Und zwar nicht alleine, weil Renate den falschen Wahlkampf, rechthaberisch, anbiedernd, volksparteilich, gemacht hat, sondern weil zwei Parteien in einer zwei Wahlkämpfe geführt haben. Da sind die einen, die Kreuzberger Retrotraditionalisten, die Bürgerkinder bis ins Mark, die sich weiterhin sich vor Gentrifizierung bekreuzigen und die früheren Zustände wieder herbeisehnen wollen. Und da sind die anderen, die, inzwischen ihres Vormannes beraubt, schon länger ziemlich vereinzelt und tastend, auf die Suche gemacht haben. Wo ist der Weg, der nicht zum Gestern zurück, sondern zum Morgen hinführt? Und wie gelingt es, alle mit auf den Kurs zu nehmen?

2) Was auch ich nicht gedacht hätte: Wie stark Angelas Merkels Anti-Atomkraft Coming Out die politische Agenda umpflügt. Denn plötzlich sind alle Parteien Anti-Atom-Parteien. Und klar, können die Grünen immer noch sagen, wir sind das Original, wir machen das besser, aber wen interessiert die Feinnavigation, wenn alle auf demselben Kurs segeln. Den Grünen ist binnen eines Jahres ihr Alleinstellungsmerkmal verloren gegangen. Sie befinden sich, objektiv, in derselben Lage wie die Altparteien, nämlich nicht die Frage des Ob, sondern nur die Frage des Wie thematisieren zu können. Und da ist, sorry, für den sympathisierenden Beobachter nicht so viel herausgekommen.

3) Für mich war ja schon der Umgang mit dem Atomausstieg der Anderen der Sündenfall. Jetzt, wo Angela Merkel den Kurs gewechselt hat, mussten die Grünen beschließen, dass sie noch schneller zum Ziel kommen können. Das Verschärfen der Zielsetzung war albern, weil es bedeutet, dass man die eigene Weltsicht von der der anderen abhängig macht. Wer als erstes am Ziel ankommen wird, kann man nicht beschließen, es wird sich erst beim Zieleinlauf heraus stellen. Das war die erste vertane Chance, frei nach dem Motto, wir wollen wieder ein bißchen radikaler daherkommen. Weil die Zeit drängt.

4) Das sind noch die Regierungsbeteiligungen. Rheinland Pfalz, geräuschlos, Nordrhein Westfalen, ordentliche Handwerksarbeit, Baden-Württemberg, ein Mann, den viele von Outfit und Gestus als Mann von Gestern bezeichnen würden, ein Mann von Morgen. Weil er politische Führung begriffen hat, sagt, was zu sagen ist und nicht glaubt, er könne von Baden-Württemberg aus die Welt bekehren. Wer die Welt verändern will, braucht langen Atem. Und er braucht auch die Korrektur einer Grundkonstellation deutscher Nachkriegspolitik. Die Dominanz der Politik über die Gesellschaft. Das bisherige Politikmodell, und dem neigen viele Grüne, bis tief in Realokreis zu, bedeutet, kostspielig Leistungsgesetze und Programme aufzulegen, um den Umbau (schon das Wort ist Größenwahn) der Gesellschaft zu bewältigen. Botschaft: Wir, die Politik, bauen die Gesellschaft, nämlich euch, Bevölkerung, um. Mit euerem Geld, das sagt natürlich keiner, aber da bewegen sich die Grünen inzwischen im Mainstream der etablierten Politik (ein Verweis auf die Staatsfixierung von der Leyens scheint hier angebracht).

5) Die Gesellschaft braucht nicht ein Mehr an Politik, nicht mehr Politikstudenten, die ihr Lehrbuchwissen und ihre Karriereplanung auf die politische Laufbahn ausrichten, die Gesellschaft braucht eine Politik, die sich auf ihre wesentliche Aufgabe besinnt: Den Rahmen so zu gestalten, dass alle, egal, ob sie dem schnöden Mammon nachrennen oder Gutmenschen sind, das im Interesse der künftigen Generation tun. Und die darauf achtet, dass der ganze Laden nicht auseinander fliegt. Neudeutsch, auf den Zusammenhalt der Gesellschaft achtet. Die Ausrichtung auf Nachhaltigkeit, und zwar eine gesellschaftliche Ausrichtung auf Nachhaltigkeit, nicht eine oberflächlich politische, die Programme auflegt, die viel kosten, aber wenig wirken. Ein Fehrenbach, ein Löscher, die ihren Konzern auf die Lösungen von Morgen ausrichten stellt mehr Weichen als alle Förderprogramme zusammen. Die Unternehmen sind es, die die Ideen der Politik hebeln können. Und sie tun es, deshalb geht es darum, mit denen, die diese Herausforderung annehmen, in den Austausch zu kommen, was Not tut und nicht dassselbe wie immer zu fordern. Politik im Dialog, Politik, Winfried Kretschmann ist der einzige in der Grünen Führungsriege, der das verstanden hat, im Kräftefeld von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft.

6) Gesellschaft will Führung! Warum haben die Grünen nicht die Lehren aus der von ihnen vorangetriebenen Wahl von Gauck zum Bundespräsidenten gezogen. Ich lese in linksgrünen Foren, wie man über Gauck schreibt, weil er kein Grünes Programm vertritt. Die Hybris der politischen Klasse. Wie kleinkarriert ist das denn, er hat ja schließlich nicht als Parteivorsitzender, sondern als Bundespräsident kandidiert. Gaucks Thema, Freiheit, ist deshalb die richtige Idee zur richtigen Zeit, weil es die deutsche Interpretation des Kennedy Satzes, frage nicht, was Dein Land für Dich tun kann, frage, was Du für Dein Land tun kannst. Die Grünen sind die letzte der Nachkriegsparteien, haben die Widersprüche der Adenauerzeit aufgegriffen und haben die Demokratie als streitbare Demokratie zum Leben gebracht. Daneben haben sie auch die Zukunftsfragen, Energie, Ressourcen, globale und innergesellschaftliche Teilhabegerechtigkeit auf die Tagesordnung gebracht. Sich für einige Lösungen verkämpft, oft jahrzehntelang, manchen Kampf gewonnen, manchen verloren. Aber die Frage des ökonomisch Prekären inmitten der Gesellschaft, das haben sie nicht zum Thema gemacht. Die Grünen sind in großen Teilen wie die anderen Parteien auch, eine Partei des staatsnahen Mittelschichten, der Lehrer, Beamten und quasi öffentlichen Dienstler (wozu, zumindest im Moment, auch die Gesundheitswirtschaft gehört). Die Grünen sind eine Partei der politischen Mitte, die Fragen der ökonomischen Existenz sind ein Tabu geblieben, ausgeblendet, obwohl sie in der Mitgliedschaft und den Wählerinnen und Wählern sehr wohl ein Thema sind. Die Grünen haben frei nach dem Motto gehandelt, was interessiert mich meine eigene Existenz, wenn es um die Zukunft unserer Kinder, und unseres Planeten geht. Vor diesem Hintergrund entsteht das Bild der Grünen als Konzeptpartei. In manchen Teilen real, in manchen Teilen ein Wunschbild, das mehr scheint, als es ist.

7) Wir nähern uns den Piraten. Aber jetzt erst! Die Piraten sind die erste Partei, die das Lebensgefühl der im Echtzeitkapitalismus aufgewachsenen Menschen aufnimmt. Die produktive Kraft der Zerstörung, die Schumpeter beschreibt, ist aktuell voll am Wirken. Die Neubestimmung von Wert und Preis vor dem Hintergrund technologischer Umbrüche, der globalisierten Freisetzung der Arbeitsmärkte, der Mobilisierung gebildeter Wissensarbeiter in China, Indien und Brasilien, um nur drei ganz große zu nennen, die mit dem alten Europa (und mit der Mixt-Society USA) in Konkurrenz gehen.

Die Piraten nehmen das Lebensgefühl einer Generation auf, die fasziniert von ihrer Zeit, aber ohne Illusionen ist. Die schwärmt von der Kostenloskultur des Internets und im Hinterkopf doch weiß, dass diese längst zu Ende geht. Die Führung zeigt, weil sie sich den Mund nicht verbieten lässt, auch wenn sie keine Konzept hat (Und die hat sie nicht). Die Piraten sind die politische Mobilisierungsbasis der jüngeren Generation, jeder kann mitreden (nicht jede, ja, jede Revolution fordert ihre Opfer). Und wird dann begreifen, dass Wünschen im politischen Alltag nix helfen wird.

8) Die Piraten sind deshalb das glatte Gegenteil der Grünen. Grüne Konzept- und Gewissheitspartei gegen frech und enterbereiter Neugier, es mal auszuprobieren. Das Konzept, Grundeinkommen etc. ist nicht der Rede wert, viele reradikalisierte grüne Grundgedanken, vom Grundeinkommen bis zur freie Fahrt für jeden, aber im ÖPNV, ein Konzept fehlt, es ist die Aufbruchsstimmung, die zählt. Es wird folgen, eine Phase des sich selbst finden, in der manche, die mit hohen Erwartungen eingestiegen sind, wieder aussteigen, andere sich etablieren und den Gang durch die Institutionen gehen. Die Piraten sind ein Vexierbild. In vieler Hinsicht die echte Nachfolgepartei der FDP als liberaler Partei, in anderen Fragen aber staatswünschiger als alle anderen Parteien zusammen. Sie werden ihren Weg finden müssen.

9) Und was heißt das für Grüne? Ich meine, nichts! Es geht nicht, und hier komme ich zum Anfang zurück, es geht nicht darum, eine Kampagne gegen die Piraten zu starten. Es geht darum, zu zeigen, wie die Grünen als politischer Wegbereiter für eine bessere Zukunft Vertrauen mobilisieren können. In einer Phase, in der meines Erachtens nicht politische Radikalität gefragt ist im Sinne radikalen politischen Eingreifens, sondern in dem Sinne, dass Haltung notwendig ist, Haltung, wie sie ein Gauck zeigt, wie sie ein Winfried Kretschmann zeigt, wenn er nicht so tut, als wenn er auf jede Frage eine Antwort hätte, wohl aber Zuversicht ausstrahlt. Haltung, die auch bedeutet, die Fragen aufzugreifen und zu besprechen, die grünen Wunschvorstellungen entgegen stehen (z.B. die Frage bezahlbarer Energiekosten), weil das die Fragen sind, von denen die Menschen von regierungsfähigen Grünen eine Antwort erwarten. Da helfen Piraten nicht weiter und da ist ein sonst sehr gut aufgestellter Jürgen Trittin auf dem Holzweg, wenn er die Kulturflatrate wieder aufs Parkett bringt, um mit den Grünen zu konkurrieren. Die Kulturflatrate ist der Alptraum der Kulturtechnokraten, in der politisch besetzte Kommissionen über den Wert von Kunst und Kultur entscheiden. Nein, wir wollen nicht mehr Verteilungsbürokraten, sondern einen Rahmen (wo man ihn setzen kann), in dem Kunst- und Kulturkäufer definieren, was ihnen was wert ist. Dabei kann im Sinne einer dualen Entwicklungslogik auch ein gemeinwohlorientiertes Verteilungsmodell eine Rolle spielen, im Sinne eines öffentlich rechtlichen Institutionengeflechtes. Aber nur, wenn die Zöpfe altgedienter Altfunktioniere abgeschnitten, die Idee gesellschaftlicher Selbstverwaltung wieder Einzug hält. Ein Thema, das übrigens auch die Sozialbeiräte in Arbeitsagentur, bei Krankenkassen und anderen politisch entschleunigten Institutionen eine Rolle spielt.

Die Grünen als die Partei, die der Gesellschaft hilft, ihre Kräfte wieder selbst einzusetzen. Das wäre eine Vision. Dabei wäre klar, dass es nicht darum geht, zum ewigen Partner der SPD zu werden. Regiert wird mit dem, der es ermöglicht mit Grünen gemeinsam die Gesellschaft stärker zu machen. Dabei rückt die Frage, wie man das zu machen gedenkt, stärker in den Fokus der Diskussion, Kosten-Nutzen-Fragen, die bisher in der Politik keine Rolle spielen. Aber die Diskussion um solche Fragen, wie Gesellschaft dieses Übermaß an Fragen löst, kann ich bei Grünen, weder bei Realos, noch bei Fundis, noch zwischen beiden erkennen.

Insofern ja zu den Umfragewerten, sie zeigen, dass sich die Grünen den gesellschaftlichen Anliegen nicht stellen, sondern nur darüber debattieren, mit wem sie künftig regieren wollen. Das interessiert keinen Menschen, weil niemand spürt, was er von Regierungsgrünen im Bund erwarten könne. Da sind die enterbereiten Piraten schon mal interessanter. Weil sie den etablierten Politikbetrieb so schön durcheinander wirbeln.

Piraten, alles klar zum Entern! Grüne, alle Mann und alle Frauen an Bord! Die Zeit des Kuschelns geht zu Ende, wir blicken nach vorne und wollen wissen, wie wir die nächste Etappe unserer Odysee bewältigen können!

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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