Alles richtig gemacht. Die #bdk22 war für die Grünen ein echter Erfolg. Der Zusammenhalt ist gestärkt. Die Partei steht geschlossen hinter ihrer Führungsmannschaft. Robert Habeck hält sich weitere Nachbesserungen offen. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen: Wenn die Bündnisgrünen nicht ihre grundsätzlichen Webmuster überprüfen, könnten sie schneller scheitern als uns allen lieb sein kann.
Die grüne Stärke, Politik mit der Tonalität der Mitte der Gesellschaft trifft auf eine inhaltlich ausgeblutete FDP
Während die Grünen ihre Politik aus einer Haltung und Tonalität heraus entwickeln, die das Ganze in den Mittelpunkt stellt, die Entwicklung der Welt, die Werte des Westens, das Wohlergehen Deutschlands, doktert die FDP im Klein Klein. Verschuldungsgrenze,dann versucht sie’s mit dem Freiheitsbegriff, den sie maskenhaft der Coronabekämpfung überstülpt. Und immer Lindner, Lindner, Lindner…. Ist da noch jemand? Die FDP hat sich nicht nur ihrer Punkte entledigt, sondern auch ihrer Rolle und Mission. Nur Merz würde den Freiheitsbegriff noch so borniert, porschefahrermäßig anwenden wie Lindner, aber der ist ja in einer anderen Partei. Und so bleibt Lindner alleine, assistiert von einem Einzelgänger Wolfgang Kubicki, Motto „Je älter, desto wilder“. Und einer wackeren verteidigungspolitischen Sprecherin, Strack Zimmermann. Aber alles Solitäre. Schnittmengen weiter gesucht.
Schade eigentlich, denn eine echte liberale Partei könnten wir gebrauchen, eine, die freiheitlich ist im doppelten Sinne, für westliche Werte, den Meinungsstreit und die Fähigkeit freiheitlicher Gesellschaften und ihrer Bürgerinnen und Bürger, ihre Probleme selbst lösen zu können. Und nicht immer auf den Standard, mehr Geld für öffentliche Haushalte, Sondervermögen und staatliche Intervention zu setzen. Denn mit der Brille „normaler“ Bürgerinnen und Bürger betrachtet, könnte jeder Algorithmus den Instrumentenkasten rotgrüner Politik bestücken. Mehr Geld, mehr Staat, mehr politische Selbstgewissheit, wie die Dinge zu lösen sind.
Noch immer sind die Grünen intellektuell konkurrenzlos. Der Mangel an ernsthafter Konkurrenz avanciert zum Systemfehler.
Aber zurück zum Webfehler grüner Politik, der qua der Kraft der Grünen, die die heimlichen Agendasetter deutscher Politik geworden sind, zum Webfehler deutscher Politik geworden ist.
Der „Rettungsimpetus“ der Politik, durch Corona und den Überfall Putins auf die Ukraine weiter beschleunigt, zieht ständig neue Verantwortung für die Probleme aller Welt an sich, bündelt sie; – und schafft so erst das Klumpenrisiko, von dem Nassim Nicholas Taleb in „Antifragilität“ schreibt und gegen das er eine Strategie der Dezentralisierung und Flexibilisierung empfiehlt: Anstatt eine „große“ Lösung, die alle Fragen auf einmal lösen soll, zu suchen, plädiert er für eine Strategie der Vielen. Jeder sucht in seinem Verantwortungsbereich neue Wege, neue Lösungen. Wenn eine gemeinsame Problemwahrnehmung existiert, dann, das klingt plausibel, können Viele eben schneller einen Beitrag zu einer Gesamtlösung leisten weil jeder mit seinen Ressourcen, seinen Möglichkeiten, sich neue Wege erschließt, neue Geschäftsmodelle entwickelt.
Die grüne Führungsmannschaft genießt größtes Vertrauen bei ihrer stark verjüngten Mitglieder-und Funktionärsmannschaft
Zurück zum Parteitag: Dass die Abstimmungen klar gehen würden, zeichnete sich bereits nach der Rede von Ricarda Lang ab. Erstaunlich, wie die erst 28jährige, schnell von der Position der linken Sprecherin der Grünen Jugend zu einer staats- und parteitragenden Säule der Regierungspartei entwickelt hat. In 30 Minuten rejustierte sie manches linke Weltbild darauf, was ansteht, was wichtig ist, was man als Regierung erreicht hat und worauf es jetzt ankommt.
Robert Habeck hat dann alles klar gemacht. Er schafft es, die ganze Partei mitzunehmen und eine Tonalität zu treffen, die auch das ganze Land mitnimmt. Obwohl er keinen Hehl daraus gemacht hat, wie mühsam das alles ist, dass natürlich Fehler passieren und passiert sind. Und dass man auch als Grüne damit leben müsse, die Weisheit nicht mit dem Löffel gefressen zu haben und deswegen immer wieder die eigenen Lösungsansätze überprüfen und neue Ideen aufnehmen können müsse.
Insofern: Niemand muss sich wundern, wenn Schritt für Schritt alte grüne Gewissheiten, alte Umbaukonzepte bald neuen Prioritäten weichen müssen. Auch wenn es dann, wie jetzt passiert, der Kanzler richten muss, den grünen Idealismus, man könne, quasi im Alleingang, Kohle und Gas abschalten und die Atomenergie dazu, ohne dass das zu massiven Verwerfungen in der substanziellen (genug Energie in den kommenden Wintern) und ökonomischen Folgen (Kostenanstieg in der Beschaffung) führen würde.
Es fehlt weiterhin an einer realistischen Weltwahrnehmung, Spätfolgen des deutschen Idealismus und dem Glauben an den herrschaftsfreien Diskurs (J. Habermas)
Worin liegt jetzt der in der Überschrift angeteaserte Webfehler in grüner Selbst- und Weltwahrnehmung?
Es ist der unerschütterliche Glaube an die in Papier geronnenen Umbaupläne, die sie sich selbst, in Zusammenarbeit mit NGOs, Umweltbewegung und Zivilgesellschaft erarbeitet haben. Frei von Unternehmens- und Wirtschaftsinteressen, vulgo “Lobbyismus”, eben “herrschaftsfreier Diskurs” im Sinne Jürgen Habermas.
Schon im “Normalbetrieb” würde es der grünen Partei gut tun, hinsichtlich der von ihnen gewählten Instrumente (zur Zeit steht die Idee der “Sondervermögen” für alles und jedes ganz oben) eine Hinterfragung ihrer Konzepte durch wirtschaftliche Akteure zuzulassen.
Aber diese “Überzeugtheit” macht sie besonders verletzlich, wenn, wie jetzt durch Putins Krieg, die Rahmenbedingungen ihrer konsequent an notwendig erachteten Zielen ausgerichteten Pläne, insbesondere zum Klima- und Energieumbau, außer Kraft gesetzt werden. Robert Habeck scheint dieses Dilemma bewußt, deswegen hat er auf der BDK entsprechende Andeutungen gemacht. Aber weil die Partei nicht fähig ist, ihr wichtigstes Instrument, ihre Intellektualität, in aller Radikalität “gegen sich selbst”, gegen ihre Weltwahrnehmung anzuwenden, und sich argumentativ mit anderen gesellschaftlichen Akteuren, gerade aus Unternehmen und der Wirtschaft auseinander zu setzen, drohen sie, der Realität nachzulaufen, anstatt sie mit voller Kraft anzunehmen und die Pläne entsprechend anzupassen. Ulrich Beck, der heimliche Vordenker grüner Weltwahrnehmung (Risikogesellschaft, Weltinnenpolitik, Patchwork-Familie) nannte das übrigens “Reflexive Modernisierung”. Auch in Taleb’s Narren des Zufalls ließen sich einige Ideen dazu finden. Aber im Zeitalter der Sozialen Medien, in denen sich Hordenbildung und Likes gegen differenzierte Meinungsbildung, das Narrativ gegen die Strategie, das scheinbar Dringliche gegen das Wichtige durchsetzt, verengt sich der Blickwinkel auf ein grundsätzliches und operatives “Weiter So”. Man will ja schließlich dem politischen Gegner, der in dieser Regierung ja gleichzeitig der Partner ist, keinen Punktsieg gönnen.
Grüne und FDP könnten vor diesem Hintergrund eine wunderbare politische Kombination bilden. Wenn einerseits die Grünen ihre politischen Ziele, an denen es ja niemals mangelt, propagieren, die FDP ihre Korrekturrolle aber so wahrnimmt, dass sie die oftmals sehr über Staatsdirigismus, Förderprogramme und durch Taxonomiekonzepte konstruierte Märkte hinterfragt und die Kreativität offener Märkte zur Lösungsfindung in den Vordergrund stellen würde. “Reflexive Modernisiserung” könnte dann quasi in einer Regierung angesiedelt werden. Aber das würde erfordern, dass Parteien ihre “dienende Rolle” für die Gesellschaft in den Vordergrund stellen.