Anne Will und der Blödsinn mit der Brandmauer

Manchmal bin ich schockiert, wie naiv Journalisten (geschlechtsübergreifend) über das Thema Brandmauer parlieren. Diesmal Anne Will mit der Zeit online Journalistin Anne Hähnig. Man fragt sich inzwischen, ob Journalisten sich tatsächlich nur noch am Mainstream des von ihnen adressierten Meinungsspektrums orientieren. Oder ob sie tatsächlich Debatten anstoßen wollen.

Die Debatte ist getragen von der Frage, warum eigentlich Jens Spahn über Ostern die Debatte über die Brandmauer losgetreten habe. Wäre doch ein schlechter Zeitpunkt, wo sich gerade die Koalition finden will. Dann kommt das übliche Argument ins Spiel: Er will sich ins Spiel bringen, weil er befürchten könnte, sonst keine Berücksichtigung zu finden.

So geht die Debatte hin und her, getragen von der unhinterfragten Haltung, die Brandmauer wäre richtig. Und auf der Suche nach der Antwort, warum Spahn das tue? Ob er tatsächlich mit der AfD koalieren will. Oder ob er Angst hat, dass er bei der Postenvergabe nicht berücksichtigt wird. Oder, oder oder, bei Jens Spahn werden immer Argumente aus der untersten Schublade hervorgeholt.

Wer zur Brandmauer schreibt, muss sich ja bekennen: Ich bin Grüner, finde die Haltung der AfD rassistisch, menschenfeindlich, nationalistisch. Aber finde, die Debatte um die Brandmauer muss deswegen stattfinden, weil sie ja offensichtlich nicht gewirkt hat.

Schockierend, dass zwei führende Journalisten das nicht thematisieren.

Dass es anders geht, zeigt der Cicero Podcast mit dem sehr klugen Philipp Manow, der die Frage von Verfassungspatriotismus, liberaler Demokratie und Artikulation des Volkswillens wesentlich punktgenauer adressieren kann.

Meine Antwort: Die Brandmauer ist doch inzwischen zu einem Instrument eines platten Linksliberalismus geworden, sich nicht mit der Frage beschäftigen zu müssen, warum immer mehr Menschen die AfD und, in anderem Ausmaß, Populisten der Linken und der Markenpolitikerin Sara Wagenknecht wählen. Und warum eigentlich die Brandmauer nicht genutzt hat.

Die Antwort scheint mir klar: Die Brandmauer funktioniert nicht, weil immer mehr Menschen keine direkte Wirkung von Politik der etablierten Parteien mehr wahrnehmen.

Viele Menschen können den Debatten sprachlich und inhaltlich nicht mehr folgen. Die etablierten Parteien befinden sich in einem Versprechenswettbewerb, von dessen Realisierung sie nichts spüren. Und von dem sie auch nichts mehr erwarten.

Sie möchten mehr Stabilität, weniger ungesteuerte Migration, weniger öffentlich debattierte Minderheitsthemen. Und mehr, dass sie sich in der Politik repräsentiert fühlen.

Dagegen, und da liegt Spahn richtig, hilft eben keine Brandmauer.

Dass darüber hinaus die Brandmauer eine taktische Variante ist, den öffentlichen Diskurs nach „rechts“ künstlich zu begrenzen, müssen Linke, SPD und Grüne anders bewerten als die CDU/CSU. Es beschränkt ihre Möglichkeiten, eine andere Politik zu formulieren, weil sie eben keine Bündnisse mit Akteuren rechts von ihnen formen können. Insofern ist es über kurz oder lang notwendig, dass CDUCSU eine Strategie der Spaltung der AfD betreiben müssen, um nach rechts mehr Handlungsoptionen zu erhalten.

Die Schlußfolgerung: Die Wirksamkeit von Framings und Narrativen ist begrenzt.

Wir erinnern uns an den Aufstieg der Grünen in den 90er Jahren. Wir erinnern uns an Front National, die Lega in Italien. Die Schlußfolgerung: Rechtspopulisten auf dem Weg zur Macht werden systematisch vor die Alternative gestellt, Appeasement mit der Wirklichkeit zu betreiben. Die Schwelle, eine Partei mit 30 Prozent der Wähler überr das Verfassungsgericht zu verbieten, ist zu hoch. Und würde nicht mehr funktionieren: Man kann über Institutionen nicht einfach die Anliegen einer inzwischen relevanten Minderheit zu ignorieren. Es geht darum, die Debatten in die AfD hineinzutragen und dadurch radikalen Kräfte auszugrenzen. Von innen heraus.

Das alles ist sehr unschön. Aber andere Möglichkeiten sehe ich nicht!

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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