Und eine Lösung für die Politik ist das auch nicht. Lediglich der Rahmen, in dem man über Lösungen nachdenken kann……
Heute im Handelsblatt….
Niedrigerer Lebensstandard
Die internationale Sparpolitik hat die Wirtschaftsentwicklung vielerorts im Nordatlantikraum ausgebremst. Die mickrigen Wachstumsraten bilden nur die halbe Wahrheit ab. Ohne politischen Kurswechsel steht eine lange Phase der Enttäuschung bevor, warnt US-Nobelpreisträger Joseph E.Stiglitz.
Joseph E.Stiglitz | Dienstag, 18. Februar 2014, 20:00 Uhr
Für mich waren die USA in einem grundlegenden Sinn bereits 2008, also vor der Finanzkrise, krank. Lediglich eine Vermögenspreisblase, hervorgerufen durch lasche Regulierung und niedrige Zinssätze, ließ damals die Volkswirtschaft gesund erscheinen.
Unter der Oberfläche lauerten etliche Probleme: wachsende Ungleichheit, verschleppte Strukturreformen, anhaltende globale Ungleichgewichte und ein Finanzsystem, das mehr auf Spekulation ausgerichtet war als auf Investitionen, die Arbeitsplätze schaffen, Produktivität steigern und Überschüsse so verteilen, dass sich der gesamtgesellschaftliche Nutzen maximiert.
Die Politik hat es in ihrer Reaktion auf die Krise versäumt, diese Probleme in Angriff zu nehmen; schlimmer noch, sie verschärfte einige davon und schuf neue – und zwar nicht nur in den USA. Das Ergebnis waren in vielen Ländern steigende Schulden, weil der Einbruch beim BIP die Staatseinnahmen schrumpfen ließ.
Auf beiden Seiten des Atlantiks dürfte das BIP in diesem Jahr deutlich stärker steigen als 2013. Doch bevor jene politischen Führer, die sich für die Sparpolitik entschieden, den Champagner aufmachen und sich zuprosten, sollten sie sich den fast irreparablen Schaden vergegenwärtigen, den diese Politik angerichtet hat.
Jeder Aufschwung geht irgendwann zu Ende. Das Kennzeichen guter Politik ist, dass sie den Abschwung erfolgreich kürzer und weniger tief macht, als er es sonst gewesen wäre. Das Kennzeichen der von vielen Regierungen verfolgten Sparpolitik ist, dass sie den Abschwung ohne Not deutlich vertieft und verlängert hat, mit lang anhaltenden Folgen.
Das reale (inflationsbereinigte) BIP pro Kopf ist in den meisten Teilen des Nordatlantikraums heute niedriger als 2007: Die griechische Volkswirtschaft ist um schätzungsweise 23 Prozent geschrumpft, und Deutschland, das europäische Land mit der besten Wirtschaftsentwicklung, wies während der letzten sechs Jahre ein armseliges Wachstum von 0,7 Prozent pro Jahr auf. Die US-Wirtschaft ist noch immer rund 15 Prozent kleiner, als sie es wäre, wenn das bescheidene Trendwachstum von vor der Krise weitergegangen wäre.
Doch selbst diese Zahlen erzählen noch nicht in aller Härte, wie schlecht es steht, weil das BIP kein guter Erfolgsmaßstab ist. Viel relevanter ist die Entwicklung der Haushaltseinkommen. Die mittleren Realeinkommen in den USA liegen heute unter dem Niveau von 1989 und die mittleren Einkommen vollzeitbeschäftigter männlicher Arbeitnehmer sind heute niedriger als vor 40 Jahren.
Ohne eine andere Politik steht uns eine lange Phase der Enttäuschungen bevor. Märkte korrigieren sich nicht selbst. Die oben skizzierten grundlegenden Probleme können sich verschärfen, und viele tun es bereits. Ungleichheit führt zu einer schwachen Nachfrage; zunehmende Ungleichheit schwächt die Nachfrage weiter – und in den meisten Ländern (einschließlich der USA) hat die Krise die Ungleichheit verschärft.
Während sich die chinesischen Handelsüberschüsse abgeschwächt haben, haben sie sich in Nordeuropa sogar noch erhöht. Vor allem aber waren die Märkte noch nie besonders gut dabei, aus eigener Kraft schnell einen strukturellen Wandel hinzubekommen; der Übergang von der Landwirtschaft zur Fertigungswirtschaft etwa brachte erhebliche gesellschaftliche Verwerfungen und die Große Depression.
Diesmal ist es möglicherweise sogar noch schlimmer: Die Sektoren, die entsprechend den Bedürfnissen und Wünschen der Bürger wachsen sollten, sind Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheit, die traditionell (aus gutem Grund übrigens) von der öffentlichen Hand finanziert werden. Doch der Staat hemmt diesen Wandel durch seine Sparpolitik.
Die Schwierigkeiten, vor denen wir nun stehen, sind nicht das Ergebnis der unerbittlichen Gesetze der Ökonomie, an die wir uns eben anpassen müssen wie an Naturkatastrophen. Vielmehr sind unsere derzeitigen Probleme das Ergebnis einer falschen Politik. Es gibt Alternativen. Aber wir werden sie nicht in der Selbstzufriedenheit der Eliten finden, deren Einkommen und Aktienportfolios einmal mehr steil wachsen.
Nur bestimmte Leute, so scheint es, müssen sich an einen dauerhaft niedrigeren Lebensstandard gewöhnen. Unglücklicherweise ist das die Mehrheit.
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