Aufwachen. Lesen. Mit einer Frage: Ist der Westen noch das, was er meint?

Bevor der Westen weiterhin andere Länder, Kontinente und Autokraten belehrt, sollte er mal in seinem eigenen Stall aufräumen. USA, NSA, Snowden. Drei Worte, an denen der Westen seine eigenen Werte überprüfen kann. Das Buch von Glenn Greenwald scheint noch einmal alles detailiert zu beschreiben. Schlussfolgerung: Der Westen, die westliche Demokratie ist nur eine billige Kulisse, die von anderem ablenkt. Die Politik, auch in Europa, macht mit, weil die tatsächlichen Fakten wahrnehmen hieße, sich selbst in Frage stellen zu müssen. Putin sei Dank, dass es nach Al Kaida jetzt neue Ablenkung gibt. Ironischerweise sitzt Snowden in Moskau fest, weil sich von den aufrechten Demokraten Europas niemand findet, der mal sagt, dass USA Demokratie und freie Meinungsäusserung längst ad absurdum geführt haben. Orwell hat beschreiben, wie es geht, die USA haben die politische Kraft und ökonomische Macht dazu.

Und manchmal kommt es einem so vor, als ob nur ein einziger Abgeordneter, Hans-Christian Ströbele, den Mumm und die Chuzpe hat, daraus eine grosse Nummer zu machen……

FAZ, DIENSTAG, 13. MAI 2014
FEUILLETON
Es geht jetzt um Edward Snowden
Glenn Greenwalds Buch über den Fall Snowden erläutert uns unser Schicksal in einer Gesellschaft, die nichts mehr verzeiht. Werden wir der Überwachung überhaupt noch entkommen?
Das Buch des Journalisten Glenn Greenwald über seinen Informanten Edward Snowden wartet mit wenig Neuigkeiten auf; es ist sehr gut geschrieben, liest sich aber nur mit Erschrecken. Inhaltlich ist es eines der wichtigsten Enthüllungsbücher überhaupt. Nur ist inhaltlich eben auch vieles schon bekannt. Folglich gab der Droemer-Verlag für Vorabdrucke eine Szene aus Hongkong frei: Als das Video entstand, mit dem sich Snowden im „Guardian“ der Weltöffentlichkeit so ruhig erklärend offenbarte, wusste er, dass ihm nur noch ein Tag bis zu seiner Flucht ohne Ziel blieb. Zwei NSA-Mitarbeiter, das bekam er in Hongkong mit, versuchten bereits, ihn in seiner Wohnung auf Hawaii aufzusuchen. Drei Tage zuvor begannen der „Guardian“ und die „Washington Post“ mit den Enthüllungen.

Interessanter aber noch ist die Szene zuvor, das erste Treffen von Glenn Greenwald und der Dokumentarfilmerin Laura Poitras mit Edward Snowden. Greenwald kannte da schon die Dokumente, er chattete viel mit Snowden, er wusste, dass dieser bereit war, alles zu opfern und den Rest seines Lebens im Gefängnis zu verbringen. „Ich habe mit der Entscheidung meinen Frieden gemacht“, schrieb Snowden ihm Wochen vorher. Doch Snowden war nicht der gestandene Geheimdienstagent am Ende seiner Karriere, den Greenwald erwartete. Er war neunundzwanzig und schien noch einiges jünger. Fünf pausenlose Stunden redeten sie bei der ersten Begegnung miteinander. Snowden sprach über seine Zeit bei der NSA, der CIA, Dell, Booz Allen Hamilton; über die Berufsjahre in Genf, wie er Präsident Bush 2008 zum Nato-Gipfel begleitete und vom unstudierten Geheimdienstrekruten zum Ausbilder im Kampf gegen chinesische Hacker aufstieg. Und sie sprachen darüber, dass Snowden „in Echtzeit beobachtete, wie Drohnen potentielle Zielpersonen überwachten, um sie gegebenenfalls zu töten“.

Snowden wurde in seiner rasanten Karriere erst zum Spezialisten und dann zum Störenfried. Frustriert über die wirkungslosen Versuche, sich intern darüber zu beschweren, dass die CIA „für nichts und wieder nichts“ mit den Schicksalen ihrer Zielpersonen spielte, verließ er 2009 den Geheimdienst. An eine Enthüllung der von ihm als illegal angesehenen Tätigkeiten seiner Arbeitgeber dachte er zu diesem Zeitpunkt nicht. Zu groß sei die Hoffnung des damals Fünfundzwanzigjährigen gewesen, dass der neue Präsident Barack Obama „einige der schlimmsten Missstände beheben würde“. Doch Obama setzte die Programme nicht nur fort, er intensivierte sie. Snowden ging zurück zur NSA, er verzichtete auf einen hohen Lohn, um sich zu dem privaten Unternehmen Booz Allen Hamilton, seinem letzten Arbeitgeber, versetzen zu lassen. Dort bekam er Zugriff auf die wichtigsten Dokumente, mit denen sich die Missstände öffentlich belegen lassen sollten. Snowden wollte nicht länger nur an eine bessere Welt glauben, schreibt Greenwald, sondern handeln und den „unschätzbaren Wert“ des Internets „um jeden Preis“ verteidigen. Es ging Snowden, schreibt Greenwald weiter, um „die Welt, die er liebte“, und um den „Augenblick“, in dem er offenlegen könne, „welches Konglomerat aus geheimen Absprachen, willkürlich gewährten Straffreiheiten und überbordenden Exekutivbefugnissen“ tatsächlich herrschte.

Das habe Greenwald begeistert, „überrascht und tief berührt“. Es sei Snowden von Anfang an nicht darum gegangen, die NSA zu zerstören, sondern „der Öffentlichkeit die Möglichkeit zu geben, zu entscheiden, wie es weitergehen soll“. Die Bevölkerung sollte erfahren, „was sie betrifft“. Snowdens Mut war ansteckend, schreibt Greenwald. Er habe selten einen so „glaubwürdigen, wohlüberlegten und aufrichtigen“ Menschen erlebt. Ist es also das Buch eines Journalisten, der seinem Informanten, dem er Weltruhm und Hunderte Millionen von Dollar Kapital für seine Arbeit verdankt, ein Heldendenkmal setzt? Nein. Ganz und gar nicht.

Glenn Greenwalds Buch besteht aus drei Teilen. Im ersten geht es um Snowden, der größte handelt von elektronischer Überwachung, und am Ende steht eine Anklageschrift gegen das amerikanische Mediensystem. Es ist kein Buch mit Enthüllungen, sondern ein Versuch der Erläuterung. Es handelt davon, dass der Kampf um die Privatsphäre längst verloren ist. „Die globale Überwachung“ — so der Titel — abzuwenden ist derzeit noch technisch aussichtslos und politisch hoffnungslos. Greenwald, der durch seine Hoheit über die Dokumente Edward Snowdens die Debatte antreibt, nutzt das Buch für Klarstellungen. Er beschreibt, was die NSA kann, was sie tatsächlich tut und wie ihr geholfen wird.

Der Geheimdienst habe mit 30 000 Festangestellten und doppelt so vielen Vertragspartnern das Internet in ein Schlachtfeld und jedes mit ihm verbundene Gerät in eine Waffe verwandelt, schreibt Greenwald. Die Stichworte lauten „Prism“, „Upstream“ oder „TAO“ (Tailored Access Operations). Die NSA arbeite dabei gegen ihre Ziele. Greenwald bezieht sich auf Abgeordnete, die behaupten, die Massenüberwachung habe nie zur Entdeckung von Terroristen geführt. Er zitiert den renommierten Sicherheitsexperten Bruce Schneier, der betont, dass jede von der NSA genutzte technische Sicherheitslücke auch allen Amerika feindlich gesinnten Organisationen und Staaten zur Verfügung stehe. Die NSA kämpft gegen jeden. Seit acht Jahren helfe sie amerikanischen Polizeibehörden dabei, jedes Telefon in eine Wanze umzufunktionieren. Bevor Snowden mit Greenwald darüber sprach, bat er ihn, den Akku aus seinem Telefon zu nehmen und es in den Kühlschrank zu legen. Das sollte die Überwachung des Telefons zumindest „erschweren“.

Die NSA nutzt ihre Möglichkeiten. Beispielsweise im „Blarney“-Programm, das sich mit Terrorabwehr beschäftigt, aber auch mit „Diplomatie und Wirtschaft“. Ihre Tätigkeit versteht die NSA als „Dienst am Kunden“, belegen Dokumente. Bei „Prism“ gehe es auch um „Energie, Handel und Öl“. Der Geheimdienst sei eine „Behörde außer Rand und Band“, die als politisches Mittel verwendet werde. Susan Rice, die nationale Sicherheitsberaterin unter Obama, habe als UN-Botschafterin Amerikas ganz selbstverständlich die NSA um die Überwachung ihrer Verhandlungspartner gebeten, schreibt Greenwald. Mit „XKeyscore“ werde ähnlich mit der Weltbevölkerung umgegangen. „Welches Land möchte die Welt nicht zu einem besseren Ort machen . . . Für sich?“, spottet die NSA-Belegschaft auf ihren Konferenzen. Die NSA habe alle ihre selbstgesteckten Ziele erreicht.

Sie hatte Hilfe. Den Argumenten, mit denen sich private Unternehmen als Opfer der Spähpraxis sahen, widerspricht Greenwald explizit: Die NSA kann „direkt auf die Server der neun größten Internetfirmen zugreifen“. Beim Rest half der Staat. Das lange an das Justizministerium angegliederte geheime Fisa-Gericht habe bis 2002 nie ein Gesuch der NSA abgelehnt, seitdem zumindest elf von 20 000 Anfragen. Im Grunde gehe es allerdings nur noch darum, dass das Gericht einmal jährlich eine „Blankovollmacht“ ausstellt, mit der die NSA „alles, was sie will“, tun kann.

Die Massenüberwachung sei schon immer ein politisches Instrument gewesen, schreibt Greenwald. Das Internet bedeutete nur eine „wirklich neue Dimension“. Es droht, die „schrecklichste und repressivste Waffe staatlicher Einmischung zu werden, die es in der Geschichte der Menschheit je gegeben hat“. Der Schlüssel sei die Geheimhaltung, vermengt mit einer „Illusion der Freiheit“. Greenwald argumentiert hierbei mit der politischen Praxis J. Edgar Hoovers und politischen Theorien Michel Foucaults: Bei einem Leben unter geheimer Beobachtung, ohne Rückzugsräume, stehe in jeder Sekunde, bei jedem Verhalten immer die gesamte eigene Biographie auf dem Spiel, ohne ein Recht auf Rechtfertigung. Wenn die Hoheit über das eigene Schicksal aber ständig zu entgleiten droht, bleiben als Auswege nur Konformität und Stillstand.

Deswegen wirbt Edward Snowden für Verschlüsselung. Sie ist der letzte Weg elementarer Selbstbehauptung. Thomas Jefferson antwortete auf die „Frage der Macht“ mit „Verfassung“. Snowden verwendete Greenwald gegenüber dasselbe Zitat, nur mit „Verschlüsselung“. Letztlich, schreibt Greenwald, geht es um die Frage, ob die digitale Gesellschaft Individualität, Kreativität und Mut noch zulässt. Das macht die große Schicksalsfrage zu einer ganz einfachen: Was passiert mit Edward Snowden? Stefan Schulz

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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