Hans-Jürgen Jakobs hat es im heutigen Handelsblatt auf einen schönen Nenner gebracht:
Auf Englisch klingt vieles gleich viel besser als auf Deutsch. „Muddling through“ zum Beispiel. Die Wortwahl deutet auf eine raffinierte Strategie und nicht auf gedankliche Not wie etwa der hässliche Begriff „Durchwursteln“. Zu einer deutschen Bundeskanzlerin passt dieser Anglizismus naturgemäß auch viel besser. Der Spannungsbogen in Angela Merkels politischem Konzept kann in kurzen Hauptsätzen referiert werden: Es gibt viel zu tun. Es ist eine spannende Zeit. Die Karten werden neu gemischt. Mein Blatt bleibt verdeckt bis zum Schluss.
Mehr muss man eigentlich gar nicht sagen. Und trotzdem, obwohl das alles stimmt, auch wenn man eigentlich der Meinung ist, dass die Politik sich zu sehr im Gestern und Heute und nicht im Morgen aufhält, auch wenn das es stimmt, dass die Europastrategie ein Minimalkonsens ist, der keine Ziele hat (ausser zu verhindern, dass alles wahlweise zusammenkracht oder auseinanderfliegt), kann auch mich diese Regierung eher beruhigen.
Warum ist das so?
Für mich gilt, dass ich mich vor nichts so sehr fürchte wie vor einem neuerlichen Grössenwahn der Politik. Wenn ich rote und grüne Wahlkampfskizzen lese oder gelesen habe, wird mir schwindelig, Politik kann nicht so viel wie sie glaubt. Letztlich kann sie im Ernst ja nicht mal einen Flughafen bauen. Und da ist eine offen zugegebene Planlosigkeit, ein nüchternes Muddling Trought besser als die tollsten Politikentwürfe.
By the way: In der Taz stand vor ein paar Tagen ein Beitrag über Willi Brandt. Aus dem konnte man, wenn man auch gegen die Zeilen lesen kann, erkennen, dass Brandt quasi im Amt schon entmachtet war von seiner eigenem Partei, faktisch erpresst wurde von Helmut Schmidt, es liefen verschiedene Filme parallel nebeneinander.
Der „Mehr Demokratie wagen“ Film fürs linksintellektuelle Publikum, letztlich halbgelungene Einbindung von Linksintellektuellen in die SPD und die Politik.
Dann die wirklich großartige Ostpolitik. Ein kluger Freund meinte zwar vor wenigen Tagen, man müsse schon sehen, dass auch Kissinger und Nixon mit der Öffnung gegenüber China das vorexerziert hätten…. Das schon, aber ich erinnere mich noch an die unterirdische CDU zu dieser Zeit. Nein, die Ostpolitik war aus deutscher Sicht ein Meilenstein, auch die großartigen Bilder vom Kniefall in Warschau.
Daneben gab es ja auch diesen sozialdemokratischen Globalsteuerungsgrössenwahn, die sozialdemokratischen Schwimmbäder im Ruhrgebiet, die schon damals falsch verstandene Keynsianisierung der Wirtschaftspolitik, der Anfang vom Ende kluger, weil nachhaltiger Politik. Der Anfang von Politik als Königsgnadentum demokratisch legititimierter Fürsten.
Und jetzt im nachhinein? Ein faktisch ganz schnell gescheiterter Kanzler wird im Rückblick zu einer Ikone. Zu Recht, trotz allem, weil er in einigem doch den richtigen Ausdruck zur richtigen Zeit gefunden hat.
Er hat die Zeichen der Zeit erkannt und genutzt. Er hat die gesellschaftliche Agenda gestaltet und das politische Klein-Klein laufen lassen.
Change, we can believe in.
Und heute.
Zweierlei fällt mir ein und auf:
Nüchternes auf Sicht fahren ist ok, solange man das Gefühl hat, dass das Personal auch aufmerksam nach vorne schaut, was jetzt aus dem Nebel auftaucht. Da bin ich ganz beruhigt, auch in der großen Koalition, weil die Lebenserfahrung der Menschen größer scheint als bei der letzten Regierung (und die eine Hälfte ja dazugelernt hat).
Und dann blicke ich auf Hessen:
Ich finde ja, man hätte schwarz grün im Bund machen können, weil die Energiewende ein Thema wäre, bei dem das Land den Grünen etwas zugetraut hätte. In Hessen finde ich das wesentlich anspruchsvoller, wenn alle nur an den Flughafen denken, an dem eine ganze Reihe aus dem grünen Umfeld nur die Lärmbelästigung sehen, nicht die Wertschöpfung. Natürlich kann es da nur marginale Zugeständnisse geben. Sonst ist das Drehkreuz halt bald in Dubai. Wie Tarek das abräumen will, bleibt spannend.
Wenn ich das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen lese, fällt mir folgendes auf:
Das mit den Einsparungen ist echt ambitioniert. Der letzte, der das so wollte, war Stoiber, danach war er weg. (Ist das meine Feigheit?)
Wer, wenn nicht die Grünen, können diese „immer Dagegner“ Nummer endlich mal abräumen. Die Menschen, die nachdenken, wissen, dass der Flughafen ein Teil des lebendigen Standortes Frankfurt ist. also muss man es auch in die politische Identität einbauen, wenn man nicht als realitätsverleugnender Sozialdemokrat enden will.
Will heissen, dass die Grünen jetzt in Hessen üben, wie es ist, als Politiker nur einfach seinen Job zu machen, auch wenn da nix dran sexy ist?
Wir verfolgen die Menschwerdung der GRÜNEN. Und wie damals, weiss man nicht, wie es ausgeht. Auch Jesus ist ja in seinem ersten Leben gestorben, um später Grösseres zu bewirken.
Bewegt sich die Politik also doch? Oder: Bewegt sich unsere politische Wahrnehmung, dass wir von Politikern nicht länger erwarten, dass sie Götter sind? Können sie also doch etwas bewegen, auch wenn sie nicht mehr Geld ausgeben?
Wie immer: Die Hoffnung stirbt zuletzt!
Hier der Beitrag, der alles ausgelöst hat. Aus dem Handelsblatt.
Nicht einmal ein müdes Versprechen
Merkel III startet mit geschäftsmäßiger Routine: Es gibt es wenig Hoffnung, dass die Kanzlerin die Einheit Europas in ihrer dritten Amtsperiode entscheidend weiterbringt. Auch andere große Reformpläne sind nicht zu erkennen.
Hans-Jürgen Jakobs | Düsseldorf | Mittwoch, 18. Dezember 2013, 20:00 Uhr
Auf Englisch klingt vieles gleich viel besser als auf Deutsch. „Muddling through“ zum Beispiel. Die Wortwahl deutet auf eine raffinierte Strategie und nicht auf gedankliche Not wie etwa der hässliche Begriff „Durchwursteln“. Zu einer deutschen Bundeskanzlerin passt dieser Anglizismus naturgemäß auch viel besser. Der Spannungsbogen in Angela Merkels politischem Konzept kann in kurzen Hauptsätzen referiert werden: Es gibt viel zu tun. Es ist eine spannende Zeit. Die Karten werden neu gemischt. Mein Blatt bleibt verdeckt bis zum Schluss.
Im Jahr 2009, zu Beginn ihrer zweiten Regentschaft, war noch so etwas wie gutbürgerliche Ambition durchgeschimmert im Reden der CDU-Chefin. Die angebliche Liebesheirat mit der FDP ließ ihr Team bekanntlich den Refrain „Mehr Netto vom Brutto“ anstimmen. Es freute sich der Hotelier, und der Bürger wartete bis zum Schluss, dass die beschworene „kalte Progression“ endlich gemildert werde.
Diesmal, am Start ihrer Großen Koalition, verzichtet die eisern lächelnde Kanzlerin gleich mal ganz auf Versprechen, die sie nicht halten kann. Die Liebe zum Abbau der übermäßigen Steuerbelastung bei Mittelverdienern ist erkaltet. Angela Merkel hält lieber eine „coole Rede“ beim neuen Lebensabschnittsgefährten SPD, was schon Beglückung genug ist, und hat sich ansonsten schwerpunktmäßig auf die Rentner konzentriert. Die einen dürfen sich über die „Mütterrente“ freuen, die anderen über die Rente mit 63. Gezahlt wird später. Es geht ja nur um 23 Milliarden Euro, die dank einer günstig gestimmten Konjunktur und eines extrem niedrigen Schuldzinses auf die aufgenommenen Kredite quasi automatisch in die Kasse fließen. Nach diesem Gusto wird derzeit, anstrengungslos, in Berlin Politik gemacht.
So sind die ersten Tage von Schwarz-Rot von einer sich rasch ausbreitenden geschäftsmäßigen Routine beherrscht, vom Zustand einer postulierten „Balance“, über die Merkel in einem rasch einberufenen Zehn-Minuten-Fernsehberuhigungsgespräch am Dienstagabend geredet hat. Jüngere und Ältere würden gleich bedient, behauptet die neue alte Regierungschefin – und das ist natürlich ein Trugbild. Wer in all den gestanzten Erklärungen große Reformpläne finden will, kann auch in der Antarktis nach einer Palme suchen. Wo sind die Ideen, das sieche Schul- und Bildungssystem endlich umzustellen auf das Niveau anderer europäischer Staaten? Mit Ganztagsschulen und genügend Kita-Plätzen, mit Laptops und Computer für die Lernenden? Und warum wird, auf der anderen Seite, die erst vor wenigen Jahren eingeführte Rente mit 67 abgeschwächt, auch wenn jeder weiß, dass der demografische Wandel das Problem Altersversorgung verschärft?
Die Wohlfahrtspolitikerin im Kanzleramt handelt nach Opportunität, also nach den Terminen in ihrem Kalender. Große Zukunftskonzepte schreiben ja Berater oder Programmkommissionen. Für Angela Merkel sind das nicht mal die Streusel auf ihrem Kuchen.
Wohlmeinende bringen an dieser Stelle hervor, die gelernte Physikerin denke die Dinge vom Ende her. Wenn das so ist, würde man gern wissen, was ihre Finalanalyse für den Kontinent ergibt. Ein Vereintes Europa? Eine Konföderation? Oder Einzelbündnisse mit europäischen Lieblingspartnern? Vielleicht wechselt ihr Wunschbild ja mit den Wahltagen.
Jedenfalls gibt es wenig Hoffnung, dass Frau Merkel die Einheit Europas in ihrer dritten Amtsperiode entscheidend weiterbringt, auch wenn sie dem Thema die erste Regierungserklärung widmete. „Mehr Europa“ scheint für sie „weniger Brüssel“ zu sein. So streitet sie hochmotiviert mit der EU-Kommission, die ein Beihilfeverfahren einleitet, weil das deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz mit seinen Ausnahmen für energieintensive Betriebe den Wettbewerb verzerre.
Schon bei der Bankenunion drängten die Deutschen darauf, dass am Ende erst einmal jedes Land selbst über die Abwicklung von maroden Geldhäusern entscheide. Die EU-Strategen in Brüssel ärgern sich inzwischen über „Intergouvernementalismus“, wie sie Absprachen großer Einzelstaaten wie Frankreich und Deutschland untereinander nennen. Merkel kontert mit dem Verweis aufs Nichteinhalten versprochener Reformen in einigen Ländern – und will deshalb die EU-Verträge ändern lassen.
Im Übrigen sagt die Kanzlerin: Die Staatsschuldenkrise ist noch nicht vorüber, aber sie kann überwunden werden. 2009 hat sie erklärt, die internationale Wirtschaftskrise ist nicht überwunden, sie wird uns noch eine ganze Weile beschäftigen. Wer will, kann hier einen Fortschritt sehen. Die Antworten auf die drängenden Probleme stehen aber aus. Bis dahin rufen sie sich in Berlin zu: „Muddling through.“
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