Auch Minkmar fiel das auf: Blair möchte Blair!
FAZ, MITTWOCH, 04. JUNI 2014
FEUILLETON
Tony-Nostalgie
Warum wir so gern auf Blair hereinfallen, es aber nichts nutzt
Auf dem G-8-Gipfel in Heiligendamm 2007 hatten die Organisatoren eine gutgemeinte, aber auch etwas kitschige Idee: Die Kanzlerin und die sieben anderen Mächtigen sollten sich mit je einem Schüler oder einer Schülerin aus ihrer Heimat zusammensetzen, und gemeinsam sollte man in der Runde über die Jugend sprechen. Damals war George W. Bush Präsident der Vereinigten Staaten. Als die dunkelhäutige amerikanische Schülerin neben ihm das Wort ergriff, suchte er umständlich nach dem Kopfhörer für eine Simultanübersetzung, weil er das Prinzip nicht verstanden hatte. Es klappte alles nicht besonders gut, das Gespräch stockte, da seufzte die Kanzlerin leicht verzweifelt: „Tony, willst du . . .?“ Und Tony wollte natürlich und moderierte und inspirierte, und man vergaß, dass es so ein Kitsch war, sondern erfreute sich am Monolog des britischen Premiers und daran, dass er immer so ein kunstvolles Zögern einbaut, um authentischer zu klingen. Heute ist die Freude verflogen, denn die Vorbereitung eines Angriffskriegs ist seit den Nürnberger Prozessen ein Straftatbestand, und Tony Blair müsste sich, wenn alles mit rechtsstaatlichen Dingen zuginge, deswegen mit Bezug auf den Irak-Krieg verantworten. Doch wenn er redet, wünschte man, wie die nostalgischen Opfer eines Heiratsschwindlers, alles wäre anders. Nun hat Tony Blair eine wunderbare Rede über Europa gehalten – gegen die Verzagtheit, gegen den primitiven Nationalismus der rechten Parteien und gegen die von solchen Parteien eingeschüchterten europäischen Regierungen, die nur noch matt auf das Bockshorn starren. Blair erklärte seinem Publikum freundlich, aber bestimmt, dass es kein Zurück mehr gibt in die Zeit der ethnischen und kulturellen Homogenität und dass der Geist einer Nation deren Identität bildet, nicht die Hautfarbe oder die Optik seiner Bürgerinnen und Bürger. Ja, Europa brauche Reformen; aber das sei ein Grund für mehr Leidenschaft und Begeisterung, nicht für Furcht und Verzagtheit. Man war nach Lektüre kurz verführt, ihm jede wichtige Rolle in Europa zu wünschen, und kann sich vorstellen, wie es auch der Kanzlerin wieder auf der Zunge liegt: „Tony, willst du . . .?“ Es geht aber nicht. In Großbritannien betreibt der „Guardian“-Autor George Monbiot die Website Arrestblair.org, in der dazu aufgerufen wird, Blair in einem „citizens arrest“ symbolisch zu verhaften. Jedem, der das vor Zeugen versucht, wird eine kleine Prämie ausgeschüttet. Die Personenschützer des Politikers müssen diese beherzten Bürger – Kellner sind darunter, Leser, Passanten – dann von Blair entfernen; fünf Mal war das jetzt schon so, und es wird noch oft vorkommen. Blair mag das Richtige sagen, aber er ist der guten Sache keine Hilfe mehr. Erst muss er vor Gericht. mink