Corona; – und jetzt?

Je länger man den Ausführungen von Wissenschaftlern zuhört, desto unklarer werden die Tatsachen. Und das ist kein Vorwurf, lediglich eine Feststellung.

Ein paar Schlaglichter:
Alle Zahlen sind ungewiss. Zwar wirkt es so, als ob Deutschland mit einer niedrigen Totesrate durch die Krise kommt, aber niemand kann schlüssig erklären, ob es an der besseren Luft, an der Präventionsstrategie, an der Disziplin der Menschen oder an allem ein bißchen liegt.

Die Presse meldet, dass Belgien deswegen so hohe Todesraten hat, weil sie jeden Verdacht als Coronatoten zählen. Unvergleichbare Zahlen werden also in einer Tabelle auf Vergleichbarkeit gebracht.

Erst im Nachgang wird man Klarkeit haben. Dann nämlich, wenn die registrierten Coronatoten mit den im selben Zeitraum gestorbenen Menschen in Beziehung gesetzt werden.

Der Blick ins Ausland zeigt auch: Die Art der Eindämmungsstrategie hat kaum einen Zusammenhang mit der Sterberate. Schweden mit seiner „lässigen Strategie“ liegt gleichauf mit Deutschland. Lediglich die Länder, die die Herausforderung nicht ernst genommen haben, Großbritannien und die USA, verzeichnen höhere Todesraten.

Zudem gibt es keine dauerhaften Unterschiede in den Strategien mehr: Die USA und Großbritannien, aber auch die anderen Länder mit einer „Ignoranzstrategie“ haben ja doch schnell eingelenkt und die Notbremse gezogen.

Der Blick ins Ausland, diesen Satz muss man allerdings relativieren. Denn wir blicken auf die Länder des Westens, dazu einige asiatische Länder, Russland und die Türkei. Und wir niemand spricht darüber, wie sich die Dinge in Indien entwickeln. Oder im Nahen Osten. Oder in Flüchtlingslagern oder den Brasilianischen Slums. Dort, wo die Enge und die Armut Quarantäne unmöglich machen. Also: Eigentlich müssten da die Zahlen doch explodieren.

182.000 Tote wurden, Stand 23.4.2020, weltweit gezählt. 7,75 Mrd. Menschen leben auf diesem Planeten. Die ungeklärte Frage ist: Wie breitet sich das Virus ohne, wie breitet sich das Virus mit Maßnahmen aus. Das kann niemand wirklich beantworten.

Ungeklärt ist auch, wie wir vom Ausnahmezustand aus wieder auf Normalzustand kommen. Die Ansätze: Durchseuchungsstrategie, Antikörper, um mehr zu verstehen (und damit einen Indikator für die reale Auswirkung zu haben), Impfstoffe, die einzig finale Lösung. Oder Übergangsmaßnahmen, beispielsweise Pneumokokken-Impfungen, um die Widerstandsfähigkeit der Menschen erhöhen.

Was man auf jeden Fall feststellen kann: Altenheime sind auch in der Krise die „ausgeblendeten Institutionen“ geblieben: Im Hochrisikobereich standen und stehen zu wenige Schutzmasken und -anzüge zur Verfügung. Unterbezahlte Kräfte haben dort, noch stärker als im Gesundheitsbereich, Hochrisikoaufgaben übernommen. Wenn es ein Thema gibt, dem die Politik, die Medien und die Gesellschaft zu wenig Aufmerksamkeit gezollt haben, dann dem Bereich der Alten als den Hauptbetroffenen.

Ach ja, dann noch der Föderalismus: Mit etwas Distanz betrachtet, kann man sagen, dass diese Unterschiede der Bundesländer etwas nerven. Das hin und her, ob Masken oder nicht, ob Verbot oder Empfehlung hat etwas Unwürdiges. Denn es ist doch so: Zwar werden Verbote ausgesprochen, aber wer will eigentlich flächendeckend Verbote kontrollieren? Sie sind soziale Inszenierungen, die, wie eben Empfehlungen, die Menschen zu verhalten motivieren sollen. Echte Verbote sehen anders aus.

Und trotzdem: Die Eitelkeit der Politiker hält sich noch in Grenzen. Einzig Armin Laschet hinterlässt eine nervend sichtbare Kandidatenspur. Das werden wir auch noch aushalten.

Und nun: Die Wirtschaft

Meine These: Die echten Probleme fangen jetzt erst an. Kollabiert das gesamte Wirtschaftssystem? Wie können wir den Wirtschaftskreislauf wieder hochfahren? Wie viele Insolvenzen, gerade unter kleinen Unternehmen wird es geben? Wie lassen sich die in alle Eile ausgegebenen Gelder konsolidieren? Wir wissen alle, dass in den zurückliegenden Wochen staatlicherseits dreimal so viel Geld ausgegeben wurde als in der Finanzkrise. Ein Ende ist nicht absehbar. Und die Bilanzen der öffentlichen Haushalte noch nicht erstellt.

Was man auch weiß: Der Einbruch der Wirtschaft führt zu einem direkten Einbruch in den Staatsfinanzen. Auch das ist noch nicht eingepreist.

Ich fürchte mich vor dem inzwischen „normalen“ Reflex: Die Verantwortung auf die Politik zu schieben. Schon jetzt ist mehr Rettung denn je. Was wir nicht brauchen, ist noch mehr Politikrettungsprogramme. Was wir brauchen, sind Rahmenbedingungen, die es den Menschen, Unternehmen, ermöglichen, altes abzuschreiben. Und neues aufzubauen. Rahmenbedingungen für eine sich konsolidierende Marktwirtschaft.

Vorschläge?

Und dann noch die europäische und internationale Dimension. Die Eurobonds-Diskussion, die jetzt als Coronabonds-Diskussion fortgeführt wird, ist eine Sackgasse. Europa entsolidarisiert sich unter den Bekenntnissen von Solidarität. Das Einzige, was jetzt helfen würde, ist doch, dass man nicht über Bonds oder Nichtbonds diskutiert, sondern darüber, wie Bonds ein Teil einer nachhaltigen Restrukturierungsstrategie für Italien und die anderen, vor allem südwesteuropäischen Länder werden könnten. Europa müss insgesamt stärker werden im WEttbewerb mit den USA und Asien. Und nicht darüber diskutieren, wie man in einem schwächer werdenden Europa mehr umverteilt. Aber weil der Blick auf die anderen europäischen Länder vor allem von Vorurteilen und nicht von Fakten geprägt ist, bleibt man in den alten Schützengräben.

Europa braucht eine neue Strategie, die sich zu den Unterschieden in der Kultur der einzelnen Länder bekennt und dennoch gemeinsame Ziele verfolgt. Europa braucht eine gemeinsame, konstruktiv kritische Öffentlichkeit jenseits vordergründiger politischer Lager.

Und ich meine auch: Die Welt braucht einen Multilateralismus, der diese Unterschiede in den Mentalitäten und Kulturen anerkennt. Eine der Voraussetzungen: Der Westen verabschiedet sich von seiner Selbstgewissheit, dass das westliche System immer das bessere System ist. Der verdeckte Imperialismus des Westens, der mit Freihandel, Bürgerrechten human bemäntelt ist, sollte mal eine ehrliche Bilanz seines Handels insbesondere im Nahen Osten diskutieren. Spätestens Afghanistan zeigt doch, dass auch gut gemeinte, humanitäre Interventionen zu unkalkulierbaren Ergebnissen führen.

Unterschiedliche Kulturen haben unterschiedliche Traditionen. Und Multilateralismus muss die Unterschiedlichkeit der Kulturen und Traditionen anerkennen und sie zum Ausgangspunkt einer globalen Weltentwicklung machen.

Zukunft bleibt offen. Das Faszinierende an unserer Zeit: Fast alles ist transparent. Und am Ende werden vor allem die Fragen größer. Und die Ungewissheiten. Meine These: Für die Komplexität der Welt, die Ungleichzeitigkeit, die Überlagerung unterschiedlicher Entwicklungen hat der westliche Geist, die Kognition des Westens, der immer suggeriert, dass alle Gleichungen aufgehen, keinen Sinn entwickelt.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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