Das Elend wissenschaftlicher Politikberatung

Wissenschaftliche Politikberatung verfährt nach einem eingefahrenen Modell: Sie sieht sich eine Aufgabenstellung an, analysiert die wichtigsten Faktoren, verallgemeinert sie und spielt sie als Empfehlungen an die (potentiellen) Entschieder zurück. Einige Überlegungen über die Grenzen, die sich aus dieser Form der Politikberatung ergeben. Und wie ein neuer Ansatz aussehen könnte.

Die Politik frägt nach Rezepten, die Wissenschaft antwortet im Prinzip mit einem Ordnungssystem, das wichtige von unwichtigen Faktoren trennt und so zu allgemeinen Aussagen kommen will. Mit diesen Rezepten legt die Politik dann los; – und landet, insbesondere in unruhigen Zeiten wie den jetzigen, regelmäßig in Sackgassen. Die Arbeitsmarktpolitik ist nur ein Beispiel dafür.

Gibt es andere Modelle qualifizierter Politikberatung? Ja, aber sie sind komplizierter, reflexiver. Und sind werden deshalb weder angeboten, noch nachgefragt.

Ich will die Grundüberlegungen für eine andere Beratungspraxis skizzieren.

Das Problem liegt an der Schnittstelle von Politik und Wissenschaft. Denn Wissenschaft, deren Tätigkeit zuerst darin liegt, sich mit den Zusammenhängen im Einzelfall zu beschäftigen, daraus ein Modell zu konstruieren und dann empirisch zu verallgemeinern, beschäftigt sich erst mit der Komplexität im Einzelfall, versteht diese und verallgemeinert, dh. vereinfacht diese dann, um zu klaren Aussagen und Empfehlungen zu kommen. Die Ergebnisse werden abgeliefert, die Analytiker verabschieden sich vom Prozess, der Verantwortung und die Politik werkelt weiter vor sich hin. (Wir sprechen jetzt nur vom Fall, dass Politikberatung wirklich Politikberatung ist und nicht der Legitimationsbeschaffung dient).

Tatsächlich könnte die qualifizierte Begleitung eines Veränderungsprozesses aber eine Form der Politikberatung sein, die neue und andere Wege zulässt. Politikberatung, die Pionierleistungen ermöglicht, weil sie sich, mit dem Erfahrungswissen im Hintergrund auf den spezfischen Fall, die Vielfalt und Dynamik im entsprechenden Fall einläss und die handlungsleitenden Orientierungen überprüft und korrigiert.

Wir nennen das „Wissenschaft für die Praxis“. Dabei geht es darum, im strategischen Zentrum der Entscheidung die Handlungskompetenz in der Entschiedenheit und Tiefe herzustellen, dass das notwendige Wissen für weitere Schritte dann zur Verfügung steht, wenn man es braucht.

Elemente einer entsprechenden wissenschaftlich qualifizierten Beratung sind:

  • Fundierte Kenntnisse über analoge Fälle und Konsequenzen, die daraus zu ziehen sind
  • Praxiswissen über die Rahmenbedingungen politischen Handelns in komplexen gesellschaftlichen Umfeldern.
  • die Fähigkeit, das eigene Handeln auf wesentliche Aussagen zu reduzieren und dadurch Orientierung für alle Beteiligten zu geben
  • die Fähigkeit, explorativ und projektiv Denken und Handeln anderer zu antizipieren und deshalb einbauen zu können
  • die Fähigkeit, in losen Zusammenhängen Kurs halten zu können, also nachhaltig Kurs halten zu können.

Theoretisch gesprochen: Der Prozess der Reflexiven Modernisierung, in dem unsere Gesellschaften stecken, lässt keinen Stein auf dem anderen. Deshalb ist es trügerisch, sich auf „alte“ Rezepte zu verlassen. Es geht darum, Analysefähigkeit und kreative Handlungsorientierung miteinander zu kombinieren.

Praktisch gesprochen: Wer sich auf hoher See befindet, tut gut daran, zu wissen, wo er hin will. Aber um dieses Ziel zu erreichen, muss er zahlreiche Herausforderungen bewältigen: Die Mannschaft bei Laune halten den geknickten Mast notdürftig zu reparieren. Und manchmal beides zusammen. Handeln in unsicherem Umfeld bedeutet, sich von falschen Sicherheiten zu verabschieden und den Blick nach vorne zu richten. Columbus hatte einen Traum, eine neue Route nach Indien zu finden. Er landete schließlich in Amerika. Will heißen: Zwar hat er nicht erreicht, was er wollte, aber zumindest konnte durch seine und andere Pionierfahrten gezeigt werden, dass es die andere Passage nach Indien dann doch nicht gibt. Das ist schon mal ein Ergebnis. Aber nur, wenn man nicht dauernd darauf herum hackt, dass er doch unrecht hatte. In unsicheren Umfeldern zu handeln, bedeutet Erfahrungen zu machen. Aber zuweilen scheint es in der Politik so, dass diese sich weigert, die neuen Erfahrungen zur Kentnis zu nehmen. Dann könnte sie nämlich neue Wege beschreiten. Stattdessen beharrt sie weiter auf alten Debatten und Kursbestimmungen. Sie führt deshalb einen doppelten Kampf. Zumindest einen, den in der Realität oder den in ihrer eigenen Vorstellungswelt, muss sie verlieren. Schade drum. Anders könnte es besser sein.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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