Und nicht jeder Konflikt lässt sich mit nett drüber reden, lösen. Mehr gibt es dazu eigentlich nicht zu sagen.
Aus der Berliner Zeitung:
28.11.2013
FLÜCHTLINGE AM ORANIENPLATZ
Kollision der Welten
Von Sabine Rennefanz
Die Bürgermeisterin während der außer Kontrolle geratenen Sitzung am Mittwochabend. Als zupackend und forsch galt sie einst. Diesen Ruf hat sie durch ihr Lavieren verloren.
Foto: Björn Kietzmann
BERLIN –
Die Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann wollte das Flüchtlingsproblem in Kreuzberg lösen. Lange galt sie als zupackend und forsch. Ihre Strategie ist allerdings gescheitert.
Die Parlamentssitzung der Bezirksverordneten am Mittwochabend in Kreuzberg war natürlich in großen Teilen ein Witz.
Eine Anarcho-Show, die man als Politiker nur auf die Bühne bringt, wenn man extrem masochistisch veranlagt ist. Im Mittelpunkt des Tumults: Monika Herrmann, Kreuzberger Bezirksbürgermeisterin. Sie sieht sich Problemen gegenüber, deren Ursachen weit entfernt von ihrem Bezirk zu suchen sind. Es geht um die Flüchtlinge am Oranienplatz, von denen viele aus Afrika über die Insel Lampedusa nach Europa gekommen sind. Zumindest sollte es eigentlich um sie gehen.
Was war das für eine irre Woche für Monika Herrmann. Erst wird sie von linken Gruppen als Verräterin beschimpft, dann droht ihr der Innensenator mit Entmachtung, am Mittwoch stürmen Autonome ihr Amt. Wenn sie mit ihnen reden will, rufen sie: „Monika, halt die Fresse.“
Ganz in Schwarz
Als die Bürgermeisterin am Abend dann den Saal des Bezirksparlaments betritt, fällt es zunächst kaum jemandem auf. Sie ist eine kleine forsche Frau, 49 Jahre alt, offen lesbisch, hat lange Jugendarbeit gemacht. Sie trägt schwarze Funktionskleidung, legt ihre Tasche vorn am Tisch ab und schaut sich um. Sie sieht ernst aus. Was sich vor ihren Augen abspielt, stellt auch die üblichen lebhaften Kreuzberger Diskussionen in den Schatten.
250 überwiegend linksautonome Demonstranten haben den Saal gekapert. Auf der Zuschauertribüne werden Banner mit der Aufschrift „Wir bleiben“ und „Freiheit für alle“ entrollt, Haschisch-Schwaden wabern durch den überfüllten Raum, Slogans werden gebrüllt: „Nazis morden, der Staat schiebt ab, das ist das gleiche Rassistenpack.“
Autonome stürmten am Mittwoch das Kreuzberger Bezirksamt.
Foto: Björn Kietzmann
Ein paar Plätze von Monika Herrmann entfernt bittet die BVV-Vorsteherin darum, wenigstens das Rauchen einzustellen. Darum, dass es sich bei den als „Rassistenpack“ Angegriffenen in diesem Saal um gewählte Volksvertreter handelt, geht es schon gar nicht mehr. In diesem Augenblick ist es auch nicht einmal mehr sicher, ob es hier heute überhaupt eine Versammlung geben wird und in wessen Hand die Diskussionsleitung liegt. Ein Antrag der CDU, die Sitzung abzubrechen, findet allerdings keine Mehrheit.
Nach einer Stunde beginnt im Bezirksamt eine Art Diskussion. Monika Herrmann sagt ein paar Worte, sie spricht langsam, jeder ihrer Sätze wird ins Englische übersetzt, so haben es die Demonstranten durchgesetzt. Das führt immer wieder zu kuriosen Situationen, wenn zum Beispiel der Übersetzer aus „Akteuren“ Schauspieler macht – „Actors“ – oder wenn er sich sehr bemüht, Begriffe wie „Sondernutzungsgenehmigung“ ins Englische zu übertragen.
Bald zeigt sich, wie sehr die Welten kollidieren: hier die Maximalforderungen der Demonstranten, dort die Sachzwänge des Bezirks. Es wird über das Camp geredet, als würden die paar Zelte etwas an der Tragödie der Flüchtlinge in Lampedusa ändern oder an der Drittstaatenregelung, auf deren Grundlage diese Menschen hin- und hergeschoben werden, bis ihnen nur noch Verzweiflung bleibt.
Als Monika Herrmann erklärt, dass sie die Forderungen der Demonstranten teilt, wird sie unterbrochen. „Wo denn? Auf Facebook?“, ruft jemand. Es wird klar, dass sie hier kein Verständnis erwarten kann. Dabei ist sie wie kaum jemand sonst von den politisch Verantwortlichen der Stadt auf die Flüchtlinge eingegangen. Während andere weggeschaut haben, hat sie sich wenigstens bemüht, eine Lösung zu finden. Sie hat jetzt auch versprochen, dass auf dem Platz ein Infozelt stehen bleiben soll.
Keine Furcht vor Autoritäten
Das Zeltlager im Zentrum von Kreuzberg besteht seit über einem Jahr, gegründet wurde es von Asylbewerbern, die am Brandenburger Tor gegen die sogenannte Residenzpflicht – die Auflage, an einem Ort zu bleiben – und gegen das Arbeitsverbot kämpften. Bald zogen sie weiter zum Oranienplatz, Monika Herrmanns Vorgänger Franz Schulz gab ihnen die Erlaubnis zu bleiben. Doch im Laufe der Zeit kamen immer mehr Menschen aus Lampedusa hinzu, die keine Chance auf einen offiziellen Status in Deutschland haben.
Frank (CDU) Henkel stellte der Bürgermeisterin ein Ultimatum: Am 16. Dezember soll das Flüchtlingscamp aufgelöst sein.
Foto: dpa
Eine Zeit lang war das Camp das Lieblingsprojekt der Kreuzberger Grünen, eine Bezirksabgeordnete übernachtete sogar mit in den Zelten. Bei ihrem Amtsantritt hatte sich Monika Herrmann für das Camp ausgesprochen, in der taz sprach sie vom „politischen Mahnmal“, das am Oranienplatz steht. Die damalige Bundesvorsitzende der Grünen, Claudia Roth, kam vorbei und deklarierte: „Lampedusa ist in Berlin.“ Dabei wusste niemand, wer genau sich in dem Camp aufhält.
Als dann immer mehr Drogendealer im Görlitzer Park auftauchten, brachte Monika Herrmann einen Coffeeshop ins Gespräch, in dem legal Cannabis verkauft werden sollte. Sie wollte ein Problem lösen und hatte ein neues geschaffen. Dass Drogenhandel in Deutschland verboten ist, störte sie offenbar nicht. Am Mittwoch wurde nun beschlossen, dass der Bezirk ein Antrag auf Zulassung der Droge beim Bundesamt für Arzneiwesen stellt.
Monika Herrmann hatte noch nie Angst vor Autoritäten. Schon als Kind hatte sie den Drang, alles in Frage zu stellen, keine Grenzen zu akzeptieren. Aufgewachsen ist sie in Neukölln, als Tochter von CDU-Abgeordneten. Bald merkte sie, dass sie nicht wie die anderen Mädchen ist. Nach der Kommunion hörte sie auf, Kleider zu tragen. Mit der Entdeckung ihrer sexuellen Orientierung brach sie endgültig aus dem konventionellen Milieu ihrer Eltern aus, sie arbeitete in einem Frauenzentrum, gelangte über die Frauenbewegung zur Politik.
Dass sie schon aus ihrer eigenen Familie weiß, wie man mit CDU-Leuten redet, schien lange ein Vorteil bei der Lösung des Konflikts um den Oranienplatz zu sein. „Sie kann durchaus die brave Bürgerstochter heraushängen lassen, wenn sie will“, sagt ein Parteifreund.
Eine Zeit lang sah es so aus, als ob Monika Herrmann die Situation mit dem Flüchtlingscamp in den Griff bekommen würde. Ihr war klar, dass die Schlafzelte am Platz geräumt werden mussten. Es hatte Ärger mit den Anwohnern gegeben, eine Messerstecherei. Sie kümmerte sich um eine Alternative.
Keine Freundin der leisen Töne
Doch dann machte sie Fehler. Der Umzug der Flüchtlinge nach Wedding endete im Chaos, weil sie es versäumt hatte, die Gruppe vom Oranienplatz mit Ausweisen auszustatten, die ihnen das Betreten des neuen Domizils erlaubten. Und dann standen statt der sechzig bis achtzig Menschen, die sie angekündigt hatte, plötzlich hundertzwanzig vor dem Haus. Derweil saßen in den Zelten am Oranienplatz schon wieder neue Bewohner. Polizei rückte an, ein paar hundert Protestierer waren auch gleich vor Ort, es gab Ausschreitungen. „Hätte ich jeden einzeln wegtragen sollen? Das mache ich nicht“, rechtfertigte sich die Bürgermeisterin später.
Doch der Ärger war da. Und er wurde nicht geringer, als sie sich später auf Twitter auch noch von der Polizei distanzierte. Hätte eine Bürgermeisterin nicht Leute aus dem Ordnungsamt anfordern können, die die Zelte wegräumen, bevor sie wieder besetzt sind? Oder hat sie etwa Angst davor, ihre Macht zu nutzen, weil sie eigentlich nicht an Autorität glaubt? Weil sie eigentlich viel lieber bei den Demonstranten auf den Zuschauerrängen sitzen möchte.
Parteifreunde erklären Monika Herrmanns Verhalten mit ihrer Unerfahrenheit. „Wenn sie Leute sieht, die ihre Hilfe brauchen, dann stürzt sie sich hinein, manchmal auch naiv“, sagt einer, der sie lange kennt. Flüchtlingspolitik sei nicht ihr Thema. Ein anderer findet, ihr Problem liege darin, dass sie ihre Meinung oft zu schnell herausposaune. „Die Kunst der leisen Töne, Diplomatie ist ihre Sache nicht.“
Bei der Versammlung am Mittwoch helfen weder leise noch laute Töne. Es ist alles vergebens. Die linken Gruppen können nicht verstehen, warum der Bezirk keine EU-Gesetze ändern kann. Vielleicht hatte Monika Herrmann ja auch falsche Erwartungen geweckt mit ihren Solidarisierungen. Die Träume der Leute aus Lampedusa, deren Asylanträge in Italien laufen und die jetzt in Deutschland bleiben wollen, kann sie nicht erfüllen.
Während sie spricht, wird die Bürgermeisterin immer wieder unterbrochen. Ein Mann, der sich Turgay nennt, ergreift das Wort und erklärt jetzt, dass der Oranienplatz der deutsche Gezi-Park sei. Man werde kämpfen, notfalls bis zum Tod. Auf solche dreiste Erpressung reagiert Monika Herrmann hilflos. Sie sagt nur, sie fände das zynisch.
Den schwarzen Peter an den Innenminister abgeben
So laviert sie sich durch eine Affäre, in der es längst nicht mehr nur um die Flüchtlinge, sondern immer mehr auch um sie geht. Wieder und wieder erklärt sie, dass in den Zelten zwar nicht mehr geschlafen werden solle, räumen lassen will sie diese allerdings auch nicht.
Schließlich bleibt der Bezirksbürgermeisterin nur die Hoffnung, dass der Berliner Innensenator Frank Henkel von der CDU ihr die Entscheidung abnimmt – und das Camp nach dem Ablauf des Ultimatums selbst räumen lässt. Dann hätte er den Schwarzen Peter.
Vor der Tür steht am Mittwoch Götz Müller. Er ist Fraktionschef der CDU, hier eine Splitterpartei. Müller hat aus Protest den Saal verlassen. Er sagt, er habe Hoffnungen in Monika Herrmann gesetzt, sie schien ihm pragmatischer als ihr Vorgänger. „Doch jetzt habe ich den Eindruck, sie will Franz Schulz noch links überholen“, klagt Müller.
Nach vier Stunden Debatte beschließt das Bezirksamt, die Diskussion mit den Flüchtlingen fortzusetzen. Monika Herrmann lobt auf Twitter später die Veranstaltung als „kreuzbergisch diszipliniert“. Immerhin der Humor ist ihr geblieben.