Das Kreuz der öffentlichen Debatte und das Debakel des Deutschen Gesundheitswesens

Christian Schwager hat in der Berliner Zeitung vom 22.1.2021 einen Beitrag unter dem Titel “Kliniken werden geschlossen, obwohl das Gesundheitssystem vor dem Kollaps steht” veröffentlicht, der schlaglichtartig die Schwächen der deutsche gesundheitspolitischen Debatte bloßlegt. Die Botschaft: Eine heimliche Allianz der Lobbyisten, gesteuert von der allseits bekannten Bertelsmann-Stiftung, die dem deutschen Gesundheitswesen den Geist des Neoliberalismus einblasen will, ist im Begriff, dem guten deutschen Gesundheitswesen mit seinen zahlreichen, am Gemeinwohl ausgerichteten Kliniken das Licht auszublasen. Sie wollen Profit anstatt Gemeinwohl. Nur wenn wir, wie diese ehrenwerte “Initiative „Gemeingut in BürgerInnenhand“, die am 27.1.2021 Minister Spahn eine Petition übergeben will, das Gesundheitswesen vor den Haien des Finanzmarkts und der Profitgier wecken, können wir unser gutes Gesundheitswesen retten. 

Das Gegenteil ist richtig!

David hat unsere Sympathie. Trotzdem kann Goliath Recht haben!

Diese wie viele andere Initiativen gehen nach dem Prinzip “David gegen Goliath” vor. Klar schlägt man und frau sich da auf die Seite von David. Aber: Nicht jeder David hat Recht (auch Impfgegner und “Querdenker” berufen sich ja auf dieses Davidmomentum). Und die Inszenierung der “David gegen Goliath” Nummer dient, meine ich, nur dazu, ein tieferes Eindringen in die Faktenlage zu verhindern. Auch hier gilt das “Sankt Florians Prinzip”, jeder will sein Krankenhaus gleich ums Eck erhalten, fordert mehr Geld, um die notwendigen Investitionen zu leisten. Alles andere interessiert nicht. 

Ein paar Argumente: 

Marode Kliniken sind Folge politischen Handelns!

Die Krankenhausplanung und Investitionsfinanzierung, das wissen viele nicht, ist Ländersache. Die Entwicklung der Medizin führte in den vergangenen Jahrzehnten dazu, dass viele Eingriffe, die vor einigen Jahren noch stationär durchzuführen waren, jetzt ambulant durchgeführt werden können. Die Spezialisierung von Eingriffen führt dazu, dass “Krankenhaus” nicht gleich “Krankenhaus” ist, eine gute gesundheitliche Therapie ist also nur dann gewährleistet, wenn in den entsprechenden Kliniken die neuesten Erkenntnisse in die Therapie einfließen und umgekehrt auch die Informationen, welche Therapie bei wem wirkt, zur wissenschaftlichen Evaluation zurückgeführt werden können. Ärzte sind keine Götter, das medizinische Wissen wächst ständig, also kann nur der, der in bestimmten Bereichen en Jour hält und Erfahrung hat, “gute Arbeit” leisten. 

Auch wenn manche Davids das nicht wahrnehmen wollen: Die Ursache für den grottenschlechten Investitionszustand vieler Kliniken sind nicht die Krankenhauskonzerne, sondern – die Politik. Es war immer schöner, Geld für neue Projekte auszugeben, anstatt sich an die Arbeit zu machen, eine nachhaltige Finanzierung der bestehenden Kliniklandschaft zu gewährleisten, die Klinikplanung als Versorgungsplanung fortzuschreiben (denn nur, wenn wir ambulant und stationär miteinander betrachten, kommen wir zu einer im Sinne der Patienten optimalen Gesundheitslandschaft) und das notwendige Geld, notwendige Investitionsmittel bereit zu stellen. 

Warum gibt es in Deutschland Klinikkonzerne?

Qenn man die Geschichte der deutschen Krankenhauspolitik nach 1990 weiter schreibt (und wenn ich hier pauschal über “Politik” schreibe, dann bewußt, denn ob die Politik schwarz, rot, gelb oder grün ist, ist in diesem Falle weitgehend bedeutungslos), kann man zeigen, dass die Krankenhauskonzerne groß geworden sind, als sich auf der einen Seite abzeichnete, dass die kommunale Politik die Löcher, die defizitäre Krankenhäuser reißen, nicht mehr stopfen können. Die Krankenhauskonzerne  haben sich dieser Aufgabe angenommen: Sie haben Managementmethoden eingeführt, die oftmals übergroßen Egos von Chefärzten (und ihre Erlaubnis zur Privatliquidation kassiert), alte Gebäude abgerissen, Investionsmittel für neue Gebäude und eine neue technische Infrastruktur über den angeblich bösen Finanzmarkt mobilisiert und oftmals gut funktionierende Kliniken mit strukturierten Abläufen mal in den Ort, mal auf die grüne Wiese gepflanzt. 

Nur wer etwas tut, macht Fehler!

Ja, und es gab und gibt da auch Ausrutscher der “Steuerung”, über die man reden muss. Aber das Wirken der großen Klinikkonzerne ist kein Beleg dafür, dass finanzmarktgetriebene Kliniken prinzipiell schlechter arbeiten als andere. Im Gegenteil, sie können ihre Größe, richtige Rahmenbedingungen vorausgesetzt, dazu nutzen, in neue Therapieansätze zu investieren und mit neuen Versorgungsformen zu experimentieren. Und wer schon mal “auf dem platten Lande”, die Neustädter verzeihen mir, in Bad Neustadt, sich auf dem Rhön Campus informiert hat, der kann erkennen, dass hier mit sehr viel Engagement, Herzblut und finanziellen Mitteln eine Idee einer neuen Gesundheitsstruktur entsteht. 

Pflege in Deutschland. Ein trauriges Kapitel.

Und dann wäre da noch das Thema Pflege. Das Pflegepersonal, so die landläufige Meinung, würde sich in privaten Kliniken ausgebeutet, unter Wert bezahlt. Meine Antwort: Ja, Pflegekräfte sind unter Wert bezahlt, ja, die “untergeordnete” Haltung der Pflege gegenüber der Medizin, lässt sich durch nichts rechtfertigen. Aber Pflegekräfte sind in Klinikkonzernen nicht schlechter bezahlt als in öffentlichen und in gemeinnützigen Kliniken. In anderen Ländern sind Pflegekräfte längst auf Augenhöhe mit den Ärztinnen und Ärzten, auch finanziell. Aber diese Ungleichheit ist keine Folge von Klinikkonzernen, sondern eine Folge des vielfach noch ständischen Bewußtseins der Ärzteschaft und vor allem ihrer in die Jahre gekommenen institutionellen Vertreter. 

Wie ich die Lage sehe. Und welche Schlüsse ich ziehe!

Was ist also meine Schlußfolgerung? In jedem Gesundheitswesen geht es darum, die vorhandenen Mittel gut, also effizient und effektiv einzusetzen. Ein öffentliches Gesundheitswesen wie das englische NHS, hat andere, zumindest ebenso große Probleme. Die Frage ist: Wem gelingt es, in einer Zeit rapidem Erkenntniszugewinn der Medizin, einer altenden Bevölkerung mit zunehmend komplexen Fragestellungen, immer neuen und besseren Möglichkeiten der Digitalisierung und der Künstlichen Intelligenz, das derzeitige Gesundheitswesen weiter zu entwickeln?

Es geht dabei nicht darum, ob einer Lobbyist ist oder nicht. Sondern, ob er ein richtiges Bild von der Realität zeichnet, für mich ein Glaubwürdigkeitsbeweis, und ob er, wenn er Lobbyist ist, mit seinen Veränderungsszenarien nicht nur mit den Fingern auf andere zeigt, sondern auch sagt, welche Verantwortung für die Veränderung als Sprecher, Sprecherin der von ihm vertretenen Institutionen oder Berufsgruppen übernimmt. 

Die Kosten für das Gesundheitswesen werden weiter wachsen, daran besteht kein Zweifel. 12,5 % aller Beschäftigten in Deutschland arbeiten im Gesundheitswesen, der Anteil am Bruttoinlandsprodukt liegt in einer ähnlichen Größenordnung, beide Kennzahlen wachsen seit Jahren, von “kaputtsparen” kann da keine Rede sein. Worum es in Zukunft gehen muss, ist, eine Idee zu entwickeln, wer in einem sich künftig dauernd verändernden Gesundheitswesen wofür Verantwortung übernimmt, dass Politik den Rahmen verändert, mit gesetzliche und außergesetzliche Regulierungen Geld und Verantwortung dahin steuert, wo es am sinnvollsten eingesetzt werden kann. In der gesundheitspolitischen Debatte hören wir meines Erachtens zu viele politischen Kommentare, die den gesundheitlichen Garten Eden versprechen, aber höflich darüber wegsehen, wie die Wirklichkeit ist. 

Mut, sich dem Ungewissen zu stellen

Weichenstellungen bedürfen auch unangenehmer Entscheidungen. Und der deutschen Gesundheitspolitik würde es gut tun, wenn sie mehr auf diejenigen hören würden, die in der Versorgung vor Ort sind und das gut machen. Die gibt es überall, in der Charite, Vivantes, den “großen Öffentlichen”  ebenso wie bei Helios, Asklepios, (Reihe nach Größe), bei Pflegekräften und Ärzten. Wichtig ist, auf die Veränderungs- und Verantwortungbereiten zu hören. Und diese mit einzubinden, wenn ENDLICH die notwendigen Schritte getan werden. 

Und das zuweilen auch gegen die fast zwangsläufig entstehenden Davids vor Ort!

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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