Der Untergang der Grünen konnte trotz Paul Noltes Analysen noch einmal verschoben werden #gruene #bdk14

Paul Nolte hat im Cicero 11/2014 diagnostiziert, die hegemoniale Zeit der Grünen ginge zu Ende. Er könnte Recht bekommen, wenn die Grünen die Zeichen der Zeit nicht sehen. Und wenn sie die Botschaften, die ihnen ihre Wähler und Unterstützer bei der letzten Bundestagswahl mitgeben haben, nicht richtig deuten.

Was Nolte sagt
Paul Nolte führt folgende Argumente an:

Die Grünen haben ihre Agenda erfolgreich zur Agenda der Mitte der Gesellschaft gemacht. Das Ende der Atomenergie, Offenheit der Lebensformen, Nachhaltigkeit; von CDU bis Linkspartei sind diese Themen konsensuell.

Der deutsche grüne Weg ist ein Sonderweg. Nur in Ländern, die der Idee eines fürsorgenden Staates, eines sozialpolitischer Etatismus folgen, Deutschland, Österreich, Frankreich, Schweden, haben grüne und ökologische Parteien nachhaltig Wurzeln schlagen können. Deswegen sind die Grünen eine Übergangserscheinung.

Die Priorität des Ökologischen verliert im Weltmaßstab an Relevanz, solange andere Länder diese Impulse nicht aufgreifen.

Deswegen diagnostiziert Nolte, in Anknüpfung an Ralph Dahrendorfs „Ende des sozialdemokratischen Zeitalters” (1983) das Ende des „grünen“ Zeitalters.

Daneben beobachtet er innere Widersprüche und Verschleißerscheinungen innnerhalb der grünen Partei, die für ihn diese Tendenzen unterstützen: Der Widerspruch zwischen einer pragmatischen Führung, bewegter Basis und bürgerlichen Wählern wächst.

Und er vermisst ausdrucksstarke Biographien unter den Führungskräften der Partei.

Zusammenfassend stellt er fest: Vieles ist nicht vollendet, aber in Normalität übergegangen.

Was Grüne davon mitnehmen können

Hat Paul Nolte Recht, wenn er die Grünen als Partei der „neuen moralischen MIttelschichten“ bezeichnet und prognostiziert, dass die Partei diesen wachsenden Widerspruch zwischen neuen Mittelschichtswählern und linksalternativen, bewegten, protestgetriebenen Aktivisten nicht mehr bewältigen kann?

Das Gesamtbild von Paul Nolte teile ich nicht. Schon die Dahrendorf’sche Feststellung, das sozialdemokratische Zeitalter ginge zu Ende, griff zu kurz. Heute ist auch die CDU sozialdemokratisiert, wenn wir das Grundmuster sozialdemokratischer Politik, sozialstaatlicher Interessenensausgleich zum Maßstab nehmen, der, von der CDU über die SPD bis hin zu Grünen und Linkspartei, zum Kern deutscher Politik geworden ist. Modifiziert sozialdemokratisch freilich (und von der strammen Linken als neoliberal verunglimpft), da unterscheidet sich pragmatische deutsche Politik von der französischen. Sie stellt die veränderten Weltmarktbedingungen, die eine Öffnung der Unternehmen (Ende des rheinischen Kapitalismus) und eine Flexibilisierung der Rahmenbedingungen (Hartz IV) notwendig gemacht hat, durchaus in Rechnung.

Und dieser sozialdemokratische wurde durch einen grünen „Spin“ ergänzt: Berücksichtigung der ökologischen Bedingungen, Neuausrichtung der Wirtschaft und unserer Lebensweise an die ökologischen Rahmenbedingungen.

Dieses Bild im Hinterkopf kann man Nolte zustimmen: Grüner ökologischer Rigorismus, der Hang eine „ökologische Transformation“ zu planen und mit einer Gerechtigkeitsoffensive zu verbinden, das unbedingte moralische Verlangen nach schnell wirksamen Lösungen, die erhebliche politische Eingriffe und entsprechende Finanzierungsprogramme erfordern würden, hat den Zenit seiner Glaubwürdigkeit, seiner Wirksamkeit überschritten.

Jetzt neu: Fragen, die sich Grüne bisher nicht zu stellen trauen.

Für Grüne stellt sich eine doppelte Frage: Ist man eher seinem traditionellen, eher staatsfixierten Weltbild und den damit verbundenen Wählergruppen, hochgebildeten Wählern in gesicherten, staatsnahen Beschäftigungen, verpflichtet oder gelingt es, auch die ökologisch aufgeschlossenen Bürgerinnen und Bürger anzusprechen, die in verantwortlichen Positionen in Wirtschaftsunternehmen, in den natur- und ingenieurwissenschaftlichen Bereichen tätig sind?

Kann man die erreichen, die sich der gesellschaftlichen Herausforderungen bewusst sind und die sich in ihren Positionen in Forschung, Entwicklung, unternehmerischen Bereichen als Teil des gesellschaftlichen Veränderungsprozesses betrachten und diesen mitgestalten wollen?

Kann man also aus der Ökologisierung des politischen Denkens eine ökologische Haltung der Gesellschaft machen? Kann man damit grüne Ideen vom Firmament politischer Ideale zurück auf Erden bringen und mit den Fragen in Verbindung bringen, die sich Menschen im Hier und Jetzt stellen?

Und welche Denk- und Verhaltensänderungen würde das bei Grünen erforden?

Letzteres, die Öffnung gegenüber neuen, aufgeklärten Bürgerinnen und Bürgern in verschiedenen sozialen Milieus, könnte ein Ansatz sein, die paradigmatischen Veränderungen, also die Überlagerung der ökologischen Frage durch die Fragen im “Hier und jetzt” aufzugreifen, neu zu ordnen und aktiv anzugehen.

Grüne müssten dann also auf folgende Fragen ihre spezifische Haltung entwickeln:

Was sind die Werte des Westens (Freiheit, Zusammenhalt) und was seine Interessen (Kolonialisierung fremder Lebenswelten, dadurch Erhalt eines Geschäftsmodells)?

Wie bewältigen wir die Herausforderung, unsere Gesellschaft gleichermaßen wettbewerbs- wie überlebensfähig zu machen?

Wie kann unser Lebensmodell wieder zu einem Vorzeigemodell für die Welt werden?

Die Beantwortung dieser Fragen würde erfordern, dass die Grünen als Partei ihre Grundhaltung verändern. Dass sie nicht weiter darauf setzen, zu wissen, wie die Lösung aussieht, ein Konzept, ein Umbauplan vorlegen und suggieren, sie wüssten schon, wie die Lösung aussieht.

Ersetzt werden müsste es durch eine Haltung, die, ohne die Richtung zu verlieren, ein Gefühl dafür entwickelt, wann welche politische Maßnahme greift, den Dialog mit Wirtschaft und Gesellschaft ernst nimmt und zu einer neuen Ressource für ihre Politik entwickelt. Also, mal gegen widerständige Teile der Wirtschaft agiert, mal mit ihr. Und immer in dem Bewußtsein, dass Deutschland als Teil Europas seine Wettbewerbsfähigkeit erhalten muss. Und zwar nicht über Lohndumping, sondern technologischen Fortschritt, verantwortbare Flexibiliserung und einen “fair green new deal”. Ökologische, nachhaltige Wertschöpfung.

Ob die tatsächlich einzigartige Rolle der Grünen im Deutschen Politik dann ein Modell für die Welt ist oder eben nur ein Modell für einige Länder, muss uns dann nicht interessieren. Die deutsche Gesellschaft, die europäischen Gesellschaften befinden sich im Umbruch, soziale Milieus verändern sich und in diesem Veränderungsprozess gewinnen die Parteien, die sich ebenfalls ändern, weil sie verstanden haben, dass sich das gesellschaftliche Umfeld ändert. nicht sofort, sondern mittelfristig. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, wer zu früh kommt, den auch!

Wenn es den Grünen gelingt, diese Rolle eines aktiven und selbstbewußten Akteurs in einem andauernden Veränderungsprozesses zu besetzen, zu beleben und glaubhaft sichtbar zu machen, dann gibt es eine neue Chance für die Grünen.

Von außen betrachtet, ist auch die CSU eine politische Sonderheit. Trotzdem lebt sie gut damit. Es kann immer auch anders sein als Theretiker meinen. Und so können auch Institutionen, die in einer speziellen Situation zu einer besonderen Rolle gefunden haben, erfolgreich sein.

Es bleibt dann der Wissenschaft überlassen, diese erfolgreiche neue Rolle einer sich erneuerten grünen Partei neu zu interpretieren.

Wir sollten diese neue Rolle besetzen! Die Wähler und Unterstützer dazu hätten wir.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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