Wie ist, wurde ich vor einigen Tagen gefragt, die Ära Merkel politisch zu bewerten? Gar nicht so einfach. „Es kommt drauf an, von welchem Blickwinkel man es betrachtet“, wäre eine angemessene Antwort.
Ein Versuch.
Das Rezept: Innere Unabhängigkeit
Angela Merkel ist die Kanzlerin mit der nach Helmut Kohl längsten Amtszeit. Damit ist zweierlei gesagt: Die Deutschen, also, die Deutschen, die sich am politischen Leben beteiligen, lieben Stabilität. Und Angela Merkel hat diese Stabilität aufgrund ihres persönlichen Profils geliefert. Sie ist nüchtern, fast unpolitisch, gilt als unbestechlich, und hat das Muster wissenschaftlichen Denkens, kühle und rationale Abwägung, zur Grundlage ihres politischen Handelns gemacht; -nicht die schlechteste Voraussetzung, um in einer Zeit überbordender Probleme. Oder besser: In einer Zeit überbordender Sichtbarkeit der Probleme die innere Ordnung zu bewahren.
Die innere Unabhängigkeit vom politischen Alltagsbetrieb ist bemerkenswert. Von Helmut Kohl hat sie gelernt, dass Außenpolitik im Zeitalter der Globalisierung und Entgrenzung das wichtigste Feld der Kanzlerin, des Kanzlers ist. Und das wichtigste Rezept der Außenpolitik das Vier-Augen-Gespräch, die daraus resultierende Verbindlichkeit, das daraus resultierende Vertrauen ist.
In einer Zeit starker politischer Wechsel und Erschütterungen der Welt, in einer Zeit, in der „der Westen“ die Macht und die Deutungshoheit über die Welt zu verlieren droht, sind das wichtige Fähigkeiten. Die lange Amtszeit Angela Merkels gründet sich darauf, dass sie sich das Vertrauen geschaffen hat, die Dinge, die anliegen, „irgendwie“ anzugehen; -ohne, dass sich die Bürgerinnen und Bürger selbst darum kümmern müssten.
Geholfen haben ihr dabei verschiedene Eigenschaften. Langsamkeit, die keine Langsamkeit der Intellektualität ist, sondern eine Langsamkeit in der öffentlichen Inszenierung. Während alle anderen Politiker und Politikerinnen der Meinung scheinen, dass Politik „machen“, darin besteht, „upcoming“ politische Trends als erster aufzugreifen, handelt die führende deutsche Politikerin nach dem Muster, wir warten mal ab, ob sich das Thema nicht einfach von alleine wieder auflöst. Ihr als wirklich verantwortlich handelnder Politikerin bleiben ohnehin genügend Möglichkeiten, ihren Unique Selling Point auch medial in Szene zu setzen.
Anders als Helmut Kohl wurde man Angela Merkel auch nicht überdrüssig, wenn man sie nicht gewählt hat. Während in Reden von Helmut Kohl oftmals das biedere, geradezu überkommene Weltbild jederzeit sichtbar war und letztlich zum Generationswechsel (nichts anderes war die erste Rotgrüne Regierung) in der Politik geführt hat, nehme ich, mit Ausnahme der inneren Auseinandersetzungen in CDUCSU nichts entsprechendes wahr. Zwar sind die Werte von Angela Merkel im Rahmen der Pandemiebekämpfung immer wieder schwankend gewesen, aber letztlich haben sie sich wieder stabilisiert.
Die größte Leistung von Angela Merkel könnte man deswegen auf einen Nenner bringen: A Class of its own. Einzigartig, weil sie sich unabhängig von schnellen Meinungstrends gezeigt hat, aber jederzeit in der Lage war, die Situation der Welt angemessen und für alle anschlußfähig zu beschreiben.
Die politische Großtat: Die Zerstörung der alten West-CDU.
Die Palastrevolutiönchen gegen Angela Merkel, so berechtigt sie aus der inneren Wahrnehmung der CSU-Funktionärsgarde gewesen waren, hat sie alle vom Tisch gefegt. Das macht die zweite große Stärke der Angela Merkel sichtbar. Sie ist nicht nur in ihrer Weltwahrnehmung unbestechlich, sie ist auch in ihrem Alltagshandeln unerbittlich. Gegenüber Vertrauten hat sie im persönlichen Gespräch immer deutlich gemacht, dass die Bereitschaft, Opfer zu bringen, Menschen und gute Beziehungen zu „opfern“, um weiter mächtig zu bleiben, ein wichtiges Merkmal ist. Und trotzdem hat sie, obwohl sie, angefangen von Wolfgang Schäuble, über Horst Seehofer und Thomas de Maiziere bis hin zum mit den Hufen scharrenden Markus Söder viele politische Gegnerschaften im eigenen Lager generiert hat, es geschafft, mit diesen ein brauchbares bis hin zu verlässliches und belastbares Arbeitsverhältnis zu schaffen. Meine These wäre, dass dies genau mit der Fähigkeit zur schonungslosen Offenheit im persönlichen Vier-Augen-Gespräch zusammenhängt.
Kritiker wenden ein, Angela Merkel wäre die Schlächterin der CDUCSU-Identität. Das ist richtig. Aber ihr Kalkül war, eine Volkspartei muss vor allem anschlußfähig an die Weltwahrnehmung der Bevölkerungsmehrheit sein, nicht an die Deutungen der Parteifunktionäre. Deswegen war Angela Merkels „Mitte-Kurs“ der richtige, um nicht die Basis der CDU-Identität zu verlieren: Das Recht, zu regieren.
Die Bad Bank der Ära Merkel: Politische Anliegen, mit denen sie sich identifiziert hat
Man könnte die Bilanz Merkels übrigens auch anders aufziehen: Angela Merkel als die Kanzlerin, die mit allen Vorhaben, mit denen sie sich persönlich identifiziert hat, gescheitert ist. Das waren das Versprechen auf einfache Steuererklärungen, mit denen der Populist Schröder im Alleingang fast noch den Wahlsieg geraubt hat, das war die Wende von der Energiewende, mit der sie die Verlängerung der Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke mit einem Federstrich (und erheblichen Zahlungen) wieder rückgängig gemacht hat, das war die Flüchtlingsfrage, in der sie die Bilder vom Elend gestrandeter und mit Sack und Pack durch Ungarn ziehender Flüchtlinge durch eine eigentlich gestisch gemeinten Grenzöffnung beenden wollte.
Alle drei Vorhaben sind im Wesentlichen gescheitert. Und alle drei Vorhaben sind mit ihr verbunden. Und trotzdem hatten alle drei gescheiterten Vorhaben nur vorübergehenden Autoritätsverlust zur Folge. Angela Merkel ist und war sich der „Mühen der poltischen Ebene“ bewußt.
Der Fall für Historiker: Merkel und das Klima. Oder anders: Wie bitte geht politische Strategie
Bleibt die große politische Frage, mit der jede Politik konfrontiert ist: Wie lösen wir die Klimafrage. Die Klimafrage hat in allen Reden von Angela Merkel immer eine große Rolle eingenommen, als Umweltministerin hat sie erstmals Profil gewonnen. Und sie hat auch in den Klimafragen immer mit Menschen zusammengerarbeitet, die diese Frage ernsthaft angegangen sind. „Geliefert“ im grünen,oder auch im politisch substanziellen Sinne hat sie nicht. Ihr „Handlungsmaßstab“ war dabei, nicht der Stimmungslage der Bevölkerungsmehrheit verlustig zu gehen, was heißt, die Klimafrage nur „gefühlt“ anzugehen (und sich, These, stillschweigend wohlwollend von den Grünen treiben zu lassen).
Das ist meine ganz persönliche „Merkel-Bilanz“. Guten Morgen, Deutschland!