Den Habermas’schen Diskursgedanke habe ich schon immer als weltfremd betrachtet. Ulrich Beck hatte ich noch nie als so konsensorientiert begriffen, eher als jemand, der die Welt unvoreingenommen betrachtet. Gut gefällt mir derzeit Chantal Mouffe, Über das Politische. Wider die kosmopolitische Illusion, 2007, weil sie die Idee der Emotionalität in die Politik zurück bringt. es geht immer ums „wir“ und „die“, Identitätsbildung durch Identifikation mit Kollektiven.
Was das für die aktuelle politische Diskussion heißt, weiß ich noch nicht. Auf jeden Fall, dass wir unsere affektiven Bindungen verändern müssen (wir, das heißt jetzt, die Grünen), wenn wir unsere inhaltlichen Fragen vorantreiben wollen.
Die Grundgedanken von Mouffe, aus der taz:
Den Tod weglegen
Die Lust an der politischen Frontenbildung kann Kriege verhindern, erklärt Chantal Mouffe in ihrem neuen Buch. Die Sucht nach Harmonie ist fatal
VON INES KAPPERT
Wir kennen sie alle: die von den Berufspolitikern Reagan und Bush junior vorgenommene Sprachregelung vom „Reich“ (Reagan) oder der „Achse des Bösen“ (Bush). Ganze Regionen und ihre BewohnerInnen werden mithilfe dieser Floskel für wesenhaft böse befunden und daher als Feinde wahlweise der Freiheit oder der Menschheit zum Abschuss freigegeben.
Jemanden für moralisch als nicht satisfaktionsfähig zu erklären hat den Vorteil, dass weder seine politischen Vorstellungen noch seine Würde berücksichtigt werden müssen. Diese sprachliche Operation hat damit weitreichende und die Welt nicht erst seit dem 11. September umtreibende Folgen. Bereits der gute alte Carl Schmitt hat angemerkt, das Macht sich nicht zuletzt in der Durchsetzung von Begriffen und ihrer Syntax reproduziert: „Der Kaiser ist Herr auch über die Grammatik“, schreibt er in „Völkerrechtliche Formen des modernen Imperialismus“.
Chantal Mouffe ist eine der wichtigen Stimmen in der linken Theoriebildung. Gemeinsam mit Ernesto Laclau legte sie Mitte der 80er-Jahre eine Studie „Hegemonie und radikale Demokratie. Zur Dekonstruktion des Marxismus“ vor. Und sehr viele, die sich für die Frage interessieren, was Demokratie heute heißen und was sie leisten sollte, haben sie zur Kenntnis genommen. In ihrem neuen Buch, „Über das Politische“, beschäftigt sich die in London lehrende Professorin nun mit der eingangs skizzierten Fassung von Gegnern als Feinden. Was legitimiert diese heute so populäre Umdeutung von offensichtlich widerstreitenden Interessen und Traditionen, etwa einer US-amerikanischen Elite um Bush und der um das Netzwerk al-Qaida, in eine moralisch-anthropologische Angelegenheit? Eine Umdeutung immerhin, die die Welt kurzerhand in gut (Christen) und böse (Muslime) und vice versa sortiert.
Bemerkenswerterweise gilt Mouffes Interesse in dieser Frage den Theoretikern und Politikern, die für die Mäßigung oder rationale Konsensfindung argumentieren, wie Jürgen Habermas, Ulrich Beck, Anthony Giddens oder Tony Blair. Indem diese dem Ende der tradierten politischen Lager das Wort reden, bereiten just sie, so Mouffes Grundthese, das Feld für jene im ,Kampf gegen den Terror‘ anzutreffende Entpolitisierung des Politischen. Denn die von ihnen vertretene Vision von der Überwindung des „Wir-Sie-Gegensatzes“ verhindere, dass konfligierende Interessen und Auffassungen als politische Fragen aufeinanderprallen. Das wiederum führe dazu, so Mouffe weiter, dass fundamentalistische Konzepte nicht mit politischen Argumenten ausgehebelt werden, sondern Kampfansagen provozieren. Diese zeitigen dann – siehe Irakkriege – fatale Folgen.
Im Gegenzug muss es also darum gehen, Gegensätze wieder zu politisieren. Es muss darum gehen, sie auf ihre Vorstellungen von Gesellschaft hin zu überprüfen und zu diskutieren. Erst dann könnten Opponenten sich in Anerkennung des demokratischen Regelwerks bekämpfen, sich also niemals in Ruhe, aber am Leben lassen. Und niemand solle erzählen, dass Machtinteressen heute keine Rolle mehr spielten. Der Widerstreit zwischen Arm und Reich, konservativ und progressiv ist in der sogenannten zweiten Moderne alles andere als überwunden. Weshalb auch Bush und etwa der angebliche Vertreter von Bin Laden, der ägyptische Chirurg Eiman al-Sawahiri, mehr gemeinsam haben, als ihre Rhetorik glauben macht.
Elias Canetti umreißt in „Masse und Macht“ jene legitime Gegnerschaft am Beispiel von Abstimmungen im Parlament. An der Stelle der Schlacht stehe das Zählen der Stimmen. „Das Feierliche in all diesen Verrichtungen entstammt dem Verzicht auf den Tod als Instrument der Entscheidung“, schreibt er. Und fährt fort: „Mit jedem einzelnen Zettel wird der Tod gleichsam weggelegt.“ Denn – Mouffe kann das gar nicht oft genug wiederholen (und tut es leider auf nahezu jeder Seite): Feinde darf man töten, Gegner nur bekämpfen.
Im kleineren Maßstab führt die Sehnsucht nach Harmonie auch zur Politikverdrossenheit. Tilgt sie doch jede leidenschaftliche Identifikation mit politischen Positionen. Dieser gefühlsfeindlichen Attitüde hält Mouffe entgegen: „Um politisch zu handeln, müssen Menschen sich mit einer kollektiven Identität identifizieren könne, die ihnen eine aufwertende Vorstellung ihrer selbst anbietet.“ Niemals sei die Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Verfasstheit und der Frage, wie man das Zusammenleben anders organisieren könnte, nur ein rationaler Wettbewerb von Interessen. Auch wenn das die Neoliberalen beharrlich behaupteten. Folglich sind Bürger für Mouffe mehr als konkurrierende Konsumenten sind. Sobald sie die Frage nach den Machtverhältnissen stellen, so ihre Überzeugung, verlassen sie das Terrain des puren Konsums und der individualistischen Konkurrenz. Dann geht es um mehr. So sei es wenig erstaunlich, dass Beck und Giddens zu Machtfragen wenig zu sagen haben und lieber von „fluiden“ Verhältnissen und von Risiko als von gesellschaftlichen Barrieren sprechen.
Aber selbst der von beiden für extrem wichtig befundene Umweltschutz lässt sich nicht umsetzen, ohne die etablierten Machtrefugien von Konzernen und ihre Profitraten zu beschneiden. Und das wird ohne beharrliche Konfrontation divergierender Interessen nicht funktionieren. Angesichts der Diskussion um den Klimawandel mutet diese Feststellung natürlich trivial an. Allerdings sollte man nicht vergessen, dass der aktuelle Konsens, das Wetter künftig besser zu schützen, nur wenige Wochen alt ist, die Diskussion darüber hingegen schon seit Jahren geführt wird.
In ihrem Plädoyer für die Lust an der politischen Frontenbildung, eben um nicht töten zu müssen, kritisiert Mouffe auch die Idee von einer kosmopolitischen Entwicklungsnotwendigkeit. Hier gerät vor allem Habermas ins Visier. In der „postnationalen Konstellation“ sieht dieser etwa für die asiatischen Gesellschaften keine Alternative zur Anpassung an westliche Demokratiestandards. „[Sie] können sich nicht auf eine kapitalistische Modernisierung einlassen, ohne die Leistungen einer individualistischen Rechtsordnung in Anspruch zu nehmen. Man kann nicht das eine wollen und das andere lassen.“ Kann man nicht? Die internationalen Eliten in China oder Thailand sehen das bislang etwas anders.
Chantal Mouffe: „Über das Politische. Wider die kosmopolitische Illusion“. Aus dem Englischen von Niels Neumeier. Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2007, 170 Seiten, 9 Euro
Frieden bedarf des Streits und der Leidenschaft. Beides verweigern die Apologeten des Konsenses