Wieder so ein Fall politischer Überforderung. Technologieentwicklung. (Ich sage absichtlich nicht, Technologiepolitik). Was fehlt, ist klar: Mehr Risikobereitschaft, mehr Finanzkapital, um schnell zu wachsen. Wenn dann die Industrie kommt und sagt, mehr Infrastruktur, ist das Banane. Die USA waren, mit einer saumässigen Infrastruktur, auch weiterhin führend.
Zu befürchten ist, dass jetzt wieder die Politik Hand anlegt, europäisches Tröpfelwassser mit engstirnigen Auflagen, was richtige Technologie ist. Besser wird es dadurch nicht. Aber das verstehen Politiker nicht. Sie wollen Gutes tun.
Aus dem Handelsblatt:
Das digitale Debakel
Zuse, Meucci, Siemens und Co. gehören der Vergangenheit an. Europa ist schon längst nicht mehr die Wiege der High-Tech-Industrie. Die Industrie gibt der Politik eine Mitschuld und fordert Reformen.
Jens Koenen, Miriam Schröder | Mittwoch, 23. Oktober 2013, 20:00 Uhr
Bits und Bytes sind die Zukunft. Ohne Informationstechnik läuft in der Wirtschaft kaum noch etwas. Doch Europa ist auf dem besten Weg, diese Zukunft zu verspielen. „Wir schöpfen das Potenzial, das unser Binnenmarkt für Telekommunikations- und Onlinedienstleistungen birgt, nicht völlig aus“, mahnte EU-Kommissionschef José Manuel Barroso jüngst die Regierungen. Er hatte den EU-Gipfel im Blick, zu dem die Staats- und Regierungschefs am heutigen Donnerstag nach Brüssel reisen. Ein Schwerpunktthema ist die digitale Wirtschaft.
Nun schlagen große Konzerne Alarm – und wollen den groß gewordenen Rückstand zu den Vereinigten Staaten von Amerika verringern. „Die Politik verkennt die Bedeutung der Branche“, klagt Timotheus Höttges, Finanzvorstand und künftiger Vorstandschef der Deutschen Telekom, im Gespräch mit dem Handelsblatt: „Im Gegensatz zu den USA hat Europa bis heute nicht verstanden, dass ohne wettbewerbsfähige Telekommunikations- und Internetbranche auch der industrielle Kern Europas in seiner Wettbewerbsfähigkeit gefährdet ist.“
Mit dieser harschen Kritik steht Höttges nicht alleine da. „Die Uhr tickt. Es muss uns gelingen, in Europa Rahmenbedingungen zu schaffen, die es der IT-Industrie ermöglichen, ihr Potenzial in vollem Umfang zu entfalten“, mahnt auch Karl-Heinz Streibich, Chef der Darmstädter Software AG.
Europa, das war einmal die Wiege der High-Tech-Industrie. Der Deutsche Konrad Zuse erfand 1941 den Computer. Der in die USA ausgewanderte Italiener Antonio Meucci ist der Vater des Telefons. Firmen wie Nixdorf oder Siemens waren an der Spitze, wenn es um den Bau von Computern oder Telefonanlagen ging.
Heute ist Nachrichtentechnik made in Europe kaum mehr gefragt – und wird auch kaum noch angeboten. Es hat eine beispiellose Erosion stattgefunden. Sie ist messbar in harten Zahlen: Nur noch zehn Prozent des Umsatzes, den die Informations- und Kommunikationsindustrie (ITK) weltweit erzielt, werden in Europa erwirtschaftet. Und der Negativtrend hält an. Bis 2016 wird der ITK-Umsatz in Europa weiter sinken, prognostiziert die EU-Kommission. In Nordamerika und Asien hingegen wird er um 35 bis 40 Prozent steigen.
Dabei geht es längst um mehr als nur die ITK-Branche. IT ist eine Querschnittstechnologie, die alle anderen Branchen beeinflusst und damit bedeutsam ist für die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Landes oder einer Region. Ohne Bits und Bytes geht heute nichts mehr, weder im Maschinenbau noch in der Finanzindustrie.
Einige Politiker haben das Problem erkannt. Wirtschaftsminister Philipp Rösler schrieb Anfang August einen Brief an die zuständige EU-Kommissarin Neelie Kroes, in dem er eine europäische IT-Initiative forderte. Die Angeschriebene reagierte prompt: Sie teile Röslers Einschätzung, dass die digitale Wirtschaft wichtig für die künftige Wettbewerbsfähigkeit Europas sei. Man müsse sich auf eine Verbesserung der Infrastruktur und eine Stärkung der IT-Industrie einigen, schrieb Kroes zurück: „Aber wir haben wenig Zeit.“
Eine treffende Analyse. Denn derzeit läuft die Zeit eher gegen Europa. Ein Kernproblem ist der Investitionsstau im Netz. Viele Jahre galt Europa als Vorbild in Sachen Netzausbau, wurde dafür sogar von US-Internetunternehmern gelobt. Doch beim schnellen Mobilfunk der vierten Generation, bekannt als LTE, geht der Ausbau etwa in Nordamerika oder Asien deutlich schneller voran als beispielsweise in Deutschland. Bei der Verbreitung von mobilem Breitband steht Deutschland weltweit nur auf Platz 40. Auf den vorderen Rängen finden sich Singapur, Japan oder Korea. Von den Europäern mischen nur die drei skandinavischen Länder auf den vordersten Rängen mit, auf Platz 14 folgt dann Großbritannien.
Ob IT-Dienstleistungen, PCs, Smartphones, Tablet-Rechner, Software oder Netzbetreiber – gemessen am Umsatz dominieren mittlerweile amerikanische oder asiatische Konzerne den Weltmarkt. Selbst der Softwarekonzern SAP belegt in der Branchenrangliste nur Platz fünf.
Nach Zahlen der Boston Consulting Group steuerten die Internetunternehmen in den 27 EU-Staaten 2010 gerade einmal 3,8 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei. In Südkorea waren es 7,3 Prozent, in China 5,5 Prozent und in den USA immer noch 4,70 Prozent.
Aus der Sicht europäischer Netzbetreiber wie Vodafone, Deutsche Telekom oder Telefónica hat die EU an dieser Entwicklung eine Mitschuld. Die starke Regulierung erschwere es den Konzernen, in den Ausbau ihrer Netze zu investieren, klagt die Branche. Es fehle an Investitionsanreizen, weil den Ausgaben kaum Einnahmen gegenüberstünden. Doch der schleppende Netzausbau ist nur eine Ursache für den digitalen Rückfall Europas. Ein anderer Grund sind die Kleinstaaterei in der EU und die mangelnde Risikobereitschaft, auf neue Technologien zu setzen. Weil die Bildungspolitik nicht abgestimmt ist, fehlt es zum Beispiel an qualifizierten Fachkräften. Bei den Förderprogrammen für digitale Gründer wird nicht an einem Strang gezogen, es gibt einen kaum zu durchschauenden Fördergelder-Dschungel.
Entsprechend lang ist die Wunschliste der ITK-Branche. Auf der stehen Steuervorteile für Investoren, die in Start-ups investieren, auch um internationales Kapital anzulocken. Außerdem müsse ein eigenes Börsensegment für Start-ups her. Der Zuzug ausländischer Fachkräfte müsse erleichtert werden. Zudem sollten öffentliche Aufträge so ausgeschrieben werden, dass sie von vornherein Start-up-Firmen anlockten und offen für neue Technologien seien. J. Koenen, M. Schröder
Ideen gibt es, Kapital nicht
Deutsche Start-ups haben weltweit kaum eine Chance. Sie kommen nicht mal annähernd an das Silicon Valley heran.
Miriam Schröder | Mittwoch, 23. Oktober 2013, 20:00 Uhr
Silicon Allee, so haben die Menschen in Berlin eine Weile lang das Viertel rund um die Schönhauser Allee genannt, in Anlehnung an das berühmte Valley in Kalifornien. Es war eine Mischung aus Stolz und Wunschdenken. Sicher haben sich in der Gegend viele Start-ups angesiedelt, darunter bekannte Namen wie die Musikbörse Soundcloud oder auch der Onlinehändler Zalando. Doch die Mehrheit der jungen Menschen, die heute mit ihren iPads im Café St. Oberholz sitzen, hat nach wie vor mehr Ideen im Kopf als Geld in der Tasche.
Google, Facebook, Amazon – vom ganz großen Ding träumt die deutsche Hauptstadt noch immer. „Wir können nicht mal annähernd an das Silicon Valley herankommen“, sagt Thomas Bachem, Vorstand im Bundesverband Deutsche Start-ups. Im Vergleich zu den Vereinigten Staaten fehle es in Deutschland vor allem an Kapital – und an Fachkräften. „In Deutschland können selbst Firmen, die auf einem guten Weg sind, nicht schnell genug wachsen, um mit dem Tempo der Amerikaner mitzuhalten“, sagt Bachem.
Doch das Wachstum entscheide alles: In der digitalen Wirtschaft, in der es quasi keine regionalen Märkte mehr gibt, sei Größe aber der entscheidende Faktor.
Bachem hat es selbst erlebt: 2005 gründete er das Videoportal Sevenload, kurz darauf hörte er das erste Mal von Youtube. Für deutsche Verhältnisse konnte er mit 25 Millionen Euro eine stattliche Summe an Wagniskapital einsammeln. 2007 wurde Youtube an Google verkauft – für 1,7 Milliarden Dollar. Während Sevenload Werbung schalten musste, um Geld zu verdienen, durfte Youtube erst mal ein paar Jahre kostenlos Nutzer gewinnen. Inzwischen kommt niemand mehr an der Google-Tochter vorbei. Das Silicon Valley, erläutert Bachem, funktioniere wie eine Spirale: „Große Firmen ziehen gute Leute an, die selbst wieder Firmen gründen, verkaufen – und das Geld dann wieder in neue Ideen