Die Fälle Berggruen und Middelhoff. Oder wie rational ist der Westen.

Es gibt ja zwei Grossgauner in der westlichen Hemisphäre, die heissen Berggruen und Middelhoff. Grossblender, könnte man sagen. An der deren Beispiel kann man auch ermessen, wie weit es mit der Kritikfähigkeit unserer Freien Gesellschaften her ist. Nicht weit.

Die beiden Beispiele sollten uns eine Lehre sein, wenn wir jetzt besonders auf den Islam blicken und uns heimlich, klammheimlich, darüber erheben, wie steinzeitlich das islamische Denken ist. Ja, klar, die enge Verwebung von Religion und Staat kommt uns komisch vor, das Verhältnis von Mann und Frau auch. Die Frage stellt sich aber doch, ob wir nicht, weil wir alles durch unsere Westbrille sehen, uns damit blockieren und eben nicht sehen, was für Menschen, die in diesen Ländern leben, die positiven Perspektiven sind. Wenn wir in die Türkei blicken, ist das ganz einfach. Nach einer langen Phase der Herrschaft der westlich orientierten, gleichwohl militärisch inspirierten Elite mit und nach Atatürk hat jetzt die ländliche, religiöse anatolische Türkei ihre Teilhabe (nicht als Teilhabe, sondern als ganzen Kuchen) erobert.

In einem Klientelsystem gibt es nur den ganzen Kuchen und die Frage ist, ob jetzt Erdogan zwischen Scylla Grössenwahn (weltgrösster Flughafen etc) oder Charybdis Korruptionssumpf scheitert oder es gelingt, sich selbst zu korrigieren. Wonach es im Moment nicht aussieht.

Aber, und jetzt komme ich wieder auf Middelhoff und Berggruen zurück: Ist der Westen wirklich viel besser? Wie langsam reagiert eigentlich der Westen, westliche Medien auf Fehlverhalten. Müsste der Meinungsstreit nicht viel lauter sein? Die Kritik an der Entwicklung des globalen Kapitalismus, die Beobachtung, dass demokratische Rechte durch die Hasenfüssigkeit der westlichen Elite ebenso gefährdet ist wie durch die Polizeiherrschaft Erdogans? Das süsse Gift der Zustimmung, das unsere Gesellschaft durchzieht, man will ja nett sein, macht ebenso blind wie die Angst vor der Drohung mit Sanktionen. Nein, sie macht blinder, weil sie dafür sorgt, dass die Zensur nicht von aussen kommt, sondern von jedem und jeder Einzelnen selbst vorgenommen wird.

Ich vermisse, dass auch mal die Medien schreiben, dass Middelhoff ein egozentrischer Aufschneider ist, dass Berggruen ein vielleicht begabter, aber dann doch, Glücksritter ist.

Es gibt ein Maß für die Entwicklungsfähigkeit einer Gesellschaft, das ist einerseits die Reflektionsfähigkeit, die diese Gesellschaft gegenüber sich selber hat. Und auf der anderen Seite die gemeinsame Handlungsfähigkeit, die sie sich trotzdem bewahrt. Nur, um im Wissenschaftsjargon zu bleiben, ein intersubjektiv messbares Konzept für diese Entwicklungsfähigkeit, das gibt es nicht.

Der Beitrag aus dem Handelsblatt, der mich zu der Idee gebracht hat:

Das Ablenkungsmanöver

Berggruen hat in Deutschland zu viele Leute verblendet, sein Ruf hat deutlich gelitten. Im Ausland ist sein Image dagegen makellos. Hier beschreibt man ihn als „engagierten Idealisten“.

Nur der vom Vater – dem renommierten Kunsthändler Heinz Berggruen – auf den Sohn übertragene Nimbus des Kunstliebhabers und Mäzens kann erklären, dass Nicolas Berggruen nicht nur über Nacht von einem Unbekannten zu einer beliebten Persönlichkeit im öffentlichen Leben avancierte, sondern dass man ausgerechnet diesem Mann den kriselnden Karstadt-Konzern anvertraute. Es ist, der Geschichte zum Trotz, fast ein deutscher Grundsatz: Wer Kunst liebt, muss ein guter Mensch sein. Die Schlussfolgerung vom Kunstmäzen auf den „sozialen Investor“ wirkt logisch: Ein Mäzen ist reich, ergo wirtschaftlich erfolgreich; und er ist gut und großzügig, weil er Kunst nicht nur sammelt, sondern auch der Öffentlichkeit schenkt. Folglich gilt Mäzenatentum als Beweis und Garant für wirtschaftliche Tüchtigkeit und Tugend, und es erübrigen sich weitere Recherchen.

Das vom Steuerzahler finanzierte Museum Berggruen diente Nicolas Berggruen als Sprungbrett, Karstadt zu vorteilhaften Bedingungen zu übernehmen.
Im Jahr 2001 „übereignete“ Nicolas’ Vater Heinz einen Teil seiner Kunstsammlung an den deutschen Staat, der ihn der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) übergab. Auf Wunsch des Verkäufers wurde der staatliche Museumsbau, der die Sammlung beherbergt, in Museum Berggruen umbenannt. Für beide Seiten sollte dies ein gutes Geschäft sein: Die SPK bekam Kunst, an die sie sonst nicht gekommen wäre; Berggruen sah seinen Namen in Berlin in einem positiven Umfeld verewigt.

Heute sieht es so aus, als ob das Geschäft vor allem für den Berggruen-Erben Nicolas der bessere Deal war: Das vom deutschen Steuerzahler finanzierte Museum Berggruen diente Nicolas Berggruen als Sprungbrett, Karstadt zu vorteilhaften Bedingungen zu übernehmen. Und heute sorgt der deutsche Steuerzahler weltweit für unbezahlbare Imagewerbung für die Berggruen Holdings.

Enthusiasmus für Berggruen ist abgeflaut

Im „Presseraum“ der Holdings-Website erfährt man, dass Nicolas Berggruen „die wunderbare Gemäldesammlung seines Vaters Heinz Berggruen verschenkt hat“. Und laut der „Nicolas Berggruen Trust“-Seite ist die Sammlung „private driven“. In einem Werbefilm für das Hochhaus „Meier on Rothschild,“ ein Berggruen-Bauprojekt in Tel Aviv, streift die Kamera durch das Museum Berggruen, und der Direktor von Berggruen Holdings Israel versichert: Eine solche Firma, gebaut auf „einer der berühmtesten und größten Picasso-Sammlungen der Welt“, sei garantiert „zur höchsten bautechnischen Qualität und Ästhetik verpflichtet“. Auch präsentiert sich Berggruen als „Member of the Board of Directors of the Museum Berggruen“, eine nichtexistente, aber beeindruckende Position, deren Inhaber gelobt, seine Investitionen seien „ gesellschaftlich und kulturell getrieben“.

Unterdessen ist der Enthusiasmus der SPK für Heinz Berggruen und seine Erben merklich abgeflaut. Die Leitung hat die Präsentation des Museums revidiert, von Mäzen, Geste der Versöhnung, Übereignung und Geschenk ist nirgends die Rede; unter jedem angeschafften Werk steht: Gekauft 2001.

Berggruen hat darauf reagiert und bietet eine zusätzliche Website („Museum Berggruen“) an, gestaltet von Berggruen Holdings. Die optisch an die Website der Berggruen Holdings angelegte Site des ICMB, mit Links einerseits zur Holding, andererseits zu den staatlichen Museen, schafft eine wirkungsvolle Verbindung zwischen dem Finanzimperium und seinem kunstmäzenatischen Engagement. Offiziell lautet die Mission der ICMB, „die internationale Präsenz des Museum Berggruen – Nationalgalerie – Staatliche Museen zu Berlin zu stärken“. Aber es ist eher umgekehrt: Die ICMB stärkt die internationale Präsenz von Berggruen Holdings anhand des vom deutschen Steuerzahler finanzierten Museums Berggruen.

„Ein engagierter Idealist“

Die hoffnungsvolle Theorie, Nicolas Berggruen könne es sich nicht erlauben, Karstadt darben zu lassen, weil das seinem Ruf schadete, war von Anfang an zu provinziell gedacht. Der nicht-deutschsprachigen Welt ist Karstadt fern und nebensächlich. Vor allem versteht es Nicolas Berggruen, die internationale Aufmerksamkeit auf sein kulturelles Engagement, verbildlicht im Museum Berggruen, umzulenken. Kulturbeiträge aus Deutschland werden von ausländischen Feuilleton-Redaktionen kaum auf faktische Genauigkeit oder allgemeine Konsequenz geprüft.

Inmitten der Karstadt-Unruhen vor einem Jahr, kurz nach Eröffnung des Erweiterungsbaus, lud die ICMB zur Jahresfeier 2013. Draußen vor den Gittern demonstrierten Karstadt-Mitarbeiter tosend um Aufmerksamkeit. Die eingeladenen Auslandskorrespondenten für Kultur schrieben vom Blatt der Holding ab und schickten ihre Hymnen um die Welt. Zum Beispiel nach London, wo Nicolas Berggruen erhebliche Geschäftsinteressen hat. Die „Financial Times“ schrieb: „Dieser brillante Financier ist offensichtlich auch ein überzeugter und engagierter Idealist.“

Karstadt wird mit keinem Wort erwähnt.

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Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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