Die FAZ macht die Bilanz dieser Regierung auf. (WON09)

Ernüchternd, wenn man die Bilanz dieser Regierung liest. Offen bleibt nur noch die Frage, ob es an dieser Regierung lag oder an der strukturellen Unfähigkeit zu Regieren. Und es stellt sich die Frage, ob eine Regierung weniger Stückwerk hinterlässt, wenn sie, wie Rotgrün, immer signalisiert, sie hätte schon für alles eine Lösung.

FAZ, DIENSTAG, 27. AUGUST 2013
WIRTSCHAFT
Was vom Regieren übrig blieb
Vor der Wahl wird vieles versprochen, nicht alles schafft es in den Koalitionsvertrag – und selbst das, was dort vereinbart wird, muss noch lange nicht Realität werden. Das beweist die Liste der schwarz-gelben Restposten.
■ Einkommensteuer: Zu Beginn der Zusammenarbeit nahmen sich Union und FDP viel vor: „Wir werden dafür sorgen, dass sich Arbeit lohnt, dass den Bürgern mehr Netto vom Bruttoeinkommen bleibt. Das Steuersystem und das Besteuerungsverfahren werden wir deutlich vereinfachen und für die Anwender freundlicher gestalten.“ Über das Antrittsgeschenk von rund 14 Milliarden Euro zum 1.1.2010 (über eine erweiterte Absetzbarkeit der Krankenversicherungsbeiträge und den Einstieg in die Beseitigung der kalten Progression) hinaus versprach man „eine steuerliche Entlastung insbesondere für die unteren und mittleren Einkommensbereiche sowie für die Familien mit Kindern in einem Gesamtvolumen von 24 Milliarden Euro (volle Jahreswirkung) im Laufe der Legislaturperiode“. Man wollte den Einkommensteuertarif zu einem Stufentarif umbauen und die unteren und mittleren Einkommensbezieher entlasten: „Der Tarif soll möglichst zum 1.1.2011 in Kraft treten.“ Dieses Ziel wurde wie eine heiße Kartoffel fallengelassen, als die Krise im Euroraum sichtbar wurde – selbst eine aufkommensneutrale Reform hat man gar nicht erst versucht. Zwar wurden der Kinderfreibetrag in einem ersten Schritt 2010 auf 7008 Euro und das Kindergeld um je 20 Euro erhöht. Aber selbst der bescheidene Versuch, gegen Ende der Legislaturperiode nochmals die kalte Progression zu entschärfen, scheiterte an der rot-grün-dunkelroten Mehrheit im Bundesrat.

■ Mehrwertsteuer: Die Koalition sah Handlungsbedarf bei den ermäßigten Mehrwertsteuersätzen. Eine Kommission sollte sich mit „der Systemumstellung bei der Umsatzsteuer sowie dem Katalog der ermäßigten Mehrwertsteuersätze“ befassen. Dabei gelte es, die europäische Wettbewerbssituation bestimmter Bereiche zu berücksichtigen. „Deshalb wollen wir ab dem 1.1.2010 für Beherbergungsleistungen in Hotel- und Gastronomiegewerbe den Mehrwertsteuersatz auf 7 Prozent ermäßigen.“ Nur zu Letzterem ist es gekommen. Die Kommission hat kein einziges Mal getagt.

■ Kommunalfinanzen: Das Ziel lautete: „Wir werden eine Kommission zur Erarbeitung von Vorschlägen zur Neuordnung der Gemeindefinanzierung einsetzen. Diese soll auch den Ersatz der Gewerbesteuer durch einen höheren Anteil an der Umsatzsteuer und einen kommunalen Zuschlag auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer mit eigenem Hebesatz prüfen.“ Passiert ist nichts. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sagte den Kommunen nur zu, die Grundsicherung im Alter komplett zu übernehmen. Zwar sprudeln derzeit die Einnahmen aus der Gewerbesteuer, aber die Kommunen profitieren extrem unterschiedlich.

■ Unternehmensbesteuerung: Auch diese großen Pläne zerstoben im Laufe der Jahre. „Unternehmerische Entscheidungen sollten sich – unabhängig von Rechtsform, Organisation und Finanzierung – in erster Linie nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten und nicht nach steuerlichen Aspekten richten“, heißt es im Koalitionsvertrag. „Darüber hinaus wollen wir uns mit dem Problem der zweifachen Besteuerung von Unternehmenserträgen auf der Ebene der Unternehmen und Anteilseigner einerseits und der nur einfachen Besteuerung der Erträge aus risikoarmen Zinsprodukten andererseits auseinandersetzen.“ Zudem wollte man den Holdingstandort Deutschland stärken. Die „moderne Gruppenbesteuerung“ ist jedoch weiterhin nur Zukunftsmusik. An den unterschiedlichen Steuerbelastungen je nach Form der Unternehmensfinanzierung hat sich nichts geändert.

■ Europa-GmbH: „Im Interesse mittelständischer Unternehmen“ haben sich CDU/CSU und FDP im Koalitionsvertrag die Schaffung einer Europäischen Privatgesellschaft in die Hand versprochen. Alle großen Wirtschaftsverbände in Deutschland unterstützen den Vorstoß für eine solche „Europa-GmbH“, die auch für Großkonzerne nützlich wäre, seit jeher nachdrücklich. Gescheitert ist der bisher letzte Vorstoß der Brüsseler Institutionen dafür ausgerechnet an Deutschland: Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) fürchtete eine Aushöhlung der Arbeitnehmer-Mitbestimmung.

■ Arbeitnehmer-Datenschutz: Wegen umstrittener Überwachungspraktiken in einigen Unternehmen verabredeten Union und Liberale ein eigenes Kapitel zum Datenschutz von Arbeitnehmern im Bundesdatenschutzgesetz. Darin sollten auch Grenzen für Fragen an Stellenbewerber und für Gesundheitsüberprüfungen festgesetzt werden. Mehrfach verkündeten die Verhandlungsführer beider Koalitionspartner eine Einigung. Im letzten Moment platzte dann aber der einige Male überarbeitete Gesetzentwurf, weil es Kritik von allen Seiten hagelte. Besonders laut fielen die Vorwürfe von Opposition und Gewerkschaften aus, die darin eine „Legalisierung bisheriger Skandale“ sahen. Einige der geplanten Regelungen gingen umgekehrt aber auch den Arbeitgebern zu weit, die um die Möglichkeit fürchteten, Straftaten von Beschäftigten zu verhindern (Compliance).

■ Gleichstellung von Frauen: Mit einem Stufenplan sollte der Anteil von Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten „maßgeblich“ erhöht werden. Der Prozentsatz von Frauen in den Führungsetagen stieg zwar, wenngleich langsam. Doch aus dem geplanten Maßnahmekatalog wurde nichts, weil alle drei zuständigen Ministerinnen gegensätzliche Positionen verfochten. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) verlangte eine feste Quote, Familienministerin Kristina Schröder (ebenfalls CDU) dagegen eine flexible Vorgabe. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) wandte sich wiederum gegen jeden Gesetzeszwang.

■ Arbeitsmarkt: Auf diesem Gebiet hat die Regierungskoalition – wenn auch in kleinerem Maßstab – eine ähnliche Kehrtwende vollzogen wie in der Energiepolitik. Als Union und FDP vor vier Jahren ihren Koalitionsvertrag aushandelten, gab es noch Spuren eines Reformgeists im Sinne der „Agenda 2010“. Zum Beispiel nahmen sich die neuen Koalitionspartner vor, die gesetzlichen Regeln für befristete Arbeitsverhältnisse zu lockern. „Wir werden die Möglichkeit einer Befristung von Arbeitsverträgen so umgestalten, dass die sachgrundlose Befristung nach einer Wartezeit von einem Jahr auch dann möglich wird, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein Arbeitsverhältnis bestanden hat“, schrieben sie in ihren Koalitionsvertrag. Tatsächlich gab es in der abgelaufenen Legislaturperiode jedoch nicht einmal einen Versuch, dieses Thema anzufassen – zu stark hat sich seit dem Regierungswechsel der politische Wind in Richtung auf eine strengere Regulierung des Arbeitsmarkts gedreht. SPD und Grüne versprechen ihren Wählern mittlerweile sogar, dass sie die befristete Beschäftigung kräftig eingrenzen wollen. An diesem Punkt sind CDU/CSU und FDP zwar noch nicht. Sie haben allerdings in den vergangenen vier Jahren diverse neue Regulierungen geliefert, die gar nicht angekündigt waren. So wurden die Spielräume für Zeitarbeit durch eine sogenannte Drehtürklausel eingeschränkt. Und ein flächendeckender Mindestlohn wurde zwar nicht eingeführt, wohl aber der politische Boden dafür bereitet. Auch das geht erheblich über den einstigen Koalitionsvertrag hinaus. Wer trotzdem mutwillig unerfüllte Pläne sucht, mag feststellen, dass die Bundesagentur für Arbeit noch existiert. Die FDP hatte sie einst abschaffen wollen und dieses Ansinnen vor vier Jahren auch mit einer – allerdings sehr weichgespülten Formulierung – in den Koalitionsvertrag gebracht.

■ Rente: Im Dezember 2012 war eigentlich schon klar, dass es nichts mehr werden würde mit der schwarz-gelben Rentenreform. Viele Monate lang hatten die Unterhändler der Koalition unter der Oberaufsicht von Sozialministerin von der Leyen getagt. Der Reformauftrag stammte aus dem Koalitionsvertrag: Wir wollen, heißt es darin, „dass sich die private und betriebliche Altersvorsorge auch für Geringverdiener lohnt und auch diejenigen, die ein Leben lang Vollzeit gearbeitet und vorgesorgt haben, ein Alterseinkommen oberhalb der Grundsicherung erhalten.“ Es sollte mehr Geld geben für Erwerbsminderungsrentner, höhere Hinzuverdienstgrenzen für Rentner, die noch nicht die gesetzliche Altersgrenze erreicht haben und mehr Reha-Leistungen. Unüberwindbarer Streit entzündete sich jedoch am Lieblingsprojekt von der Leyens: dem Rentenaufschlag für Geringverdiener, der erst „Zuschussrente“ und dann „Lebensleistungsrente“ hieß. Die Kompromisssuche scheiterte. Noch komplizierter wurde das „Rentenpaket“ durch den CDU-Parteitagsbeschluss, die Rentenansprüche von Müttern zu verbessern, die vor dem Jahr 1992 Kinder bekommen haben. Auch diese Leistung würde Milliardenbeträge kosten. Vorgenommen hatte sich Schwarz-Gelb auch die Angleichung der Ostrenten. In Angriff genommen wurde das Projekt nicht.

■ Bahnregulierung: Als CDU, CSU und FDP den verkehrspolitischen Abschnitt ihres Koalitionsvertrages formulierten, war die Idee eines Bahnbörsengangs noch lebendig: „Sobald der Kapitalmarkt dies zulässt, werden wir eine schrittweise, ertragsoptimierte Privatisierung der Transport- und Logistiksparten einleiten“, vereinbarten die Koalitionspartner. Inzwischen ist die Bahnprivatisierung ein Tabuthema geworden. Schon vor vier Jahren versicherte Schwarz-Gelb, man wolle die Bahn nicht zerschlagen, also Infrastruktur (Netz und Bahnhöfe) und Betrieb (Personen- und Güterverkehr) nicht voneinander trennen. Gleichzeitig aber nahmen sich die Koalitionspartner vor, den Wettbewerb auf der Schiene zu stärken. Dazu sollte das Netz der Deutschen Bahn unabhängiger vom Rest der Holding werden. Doch es ist bei der bloßen Absicht geblieben, eine scharfe Regulierung der Trassenpreise, der Bahnstromlieferungen und des Fahrkartenvertriebs unter Aufsicht der Bundesnetzagentur einzuführen. Formal kann die Regierung dies dem Bundesrat anlasten, der in diesem Juli das vom Bundestag beschlossene Regulierungsgesetz scheitern ließ. Doch vorher hatte sich Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) viel Zeit gelassen, um den neuen Wettbewerbsrahmen gesetzlich zu verankern.

■ Agrar und Verbraucherschutz: Im Koalitionsvertrag ist von einer „gut ausgestatteten zweiten Säule die Rede“, womit die EU-Mittel gemeint sind, die in Umweltschutzmaßnahmen fließen. Die EU-Agrarreform, die Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) mit ausgehandelt hat, sieht nun aber Kürzungen vor. Die versprochene Novelle des Gentechnikgesetzes, nach der die Bundesländer eigene Sicherheitsabstände zu Genfeldern hätten setzen können, ist in der Ressortabstimmung hängengeblieben. Die Novelle des Tierschutzgesetzes – Aigner wollte die betäubungslose Kastration von Ferkeln ebenso verbieten wie Brandzeichen bei Pferden – scheiterte an den Regierungsfraktionen. Konkret geplant war auch, die Gesetze zu Informationsansprüchen der Bürger zusammenzufassen. Zwar wurde das Verbraucherinformationsgesetz novelliert, eine Zusammenlegung mit den beiden anderen Gesetzen gab es aber nicht. Ein Lieblingsprojekt von Aigner war eine neue regionale Herkunftskennzeichnung. Die „Regionalfenster“ auf Verpackungen aber sind nur in der Testphase und weder einheitlich noch verbindlich. Auch die Veröffentlichung von Verstößen gegen das Lebensmittelrecht ist vorerst gestoppt – wegen diverserer Gerichtsentscheidungen. Im Sande verlaufen ist zudem Aigners Vorstoß, Bankenaufseher als Testkunden in Banken zu schicken, um deren Beratungsleistungen zu kontrollieren.

■ Umwelt: Die Energiewende zu managen und die durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz freigesetzten Kräfte zu bändigen bleibt ein Dauerbaustelle. Das gilt ebenso für den Schutz des Klimas, wo es nirgendwo recht vorangeht. Unerledigt blieb auch das Gesetz zum oder gegen das Fracking, bei dem die Regierung nicht nur an den Ländern, sondern auch an Gegnern in den eigenen Fraktionen scheiterte. Nur ein vielbesprochenes Vorhaben blieb die Einführung einer verbesserten Wertstofferfassung im Abfall mittels Wertstofftonne „als ein zentrales Elemente von Kreislaufwirtschaft und Ressourceneffizienz“. Das Postulat von mehr Bürgerbeteiligung und Transparenz als Voraussetzung erfolgreicher Umweltpolitik führte zum Aufbau einer neuen Abteilung im Umweltministerium und erstmals dazu, dass Anlieger sich am Bau einer Stromleitung beteiligen können. Deren Interesse ist verhalten.

■ Gesundheit und Pflege: „Prävention zielgerichtet gestalten“ heißt die erste Zwischenüberschrift im Koalitionsvertrag zu Gesundheit und Pflege. Ende Juni hat Schwarz-Gelb dazu ein Gesetz im Bundestag beschlossen. Die Opposition will es nun über den Bundesrat verhindern. Die Finanzierung des Systems, das 2009 vor hohen Defiziten stand, spielte in dem Vertrag eine große Rolle. Doch von der Ankündigung „weil wir eine weitgehende Entkoppelung der Gesundheitskosten von den Lohnzusatzkosten wollen, bleibt der Arbeitgeberanteil fest“ stimmt nur der letzte Halbsatz. Die Finanzierung der Krankenkassen beruht weiter vollständig auf Beiträgen vom Lohn oder der Rente. Auch von der Stärkung der Pflegeversicherung war viel die Rede: „Daher brauchen wir neben dem bestehenden Umlageverfahren eine Ergänzung durch Kapitaldeckung, die verpflichtend, individualisiert und generationengerecht ausgestaltet sein muss.“ Herausgekommen ist eine Zusatzversicherung, die der Staat im Jahr mit 60 Euro fördert. Fast erledigt schien die Suche nach einem neuen Pflegebegriff. Schon in der großen Koalition hatte man sich ausgiebig Gedanken gemacht, wie man vom System einer allein auf körperliche Gebrechen zielenden Pflegeversicherung wegkommen könnte, um auch Demenzkranke zu integrieren. Doch Schwarz-Gelb ließ nochmals prüfen, weshalb der neue Pflegebegriff, der schon im Koalitionsvertrag 2005 angekündigt war, wieder auf der Liste der Versprechen für 2013 und danach steht. Dietrich Creutzburg, Joachim Jahn, Andreas Mihm, Henrike Rossbach, Manfred Schäfers, Kerstin Schwenn

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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