Die großen Linien. Bemerkungen zu den Bewegungen der Politik.

Wer Politiker kennt, weiss, dass sie nach täglicher Nachrichtenlage agieren. Diese unreflektierte Just-in-time-Denke verhindert aber, dass längerfristige Veränderungen wahrgenommen und reflektiert werden. Ein Versuch über 1945 bis jetzt.

Das schleichende Einfinden in der Demokratie. Die Fünfziger.

In den späten fünfziger Jahren war die SPD noch mit ihrem sozialistischem Erbe verstrickt, so dass die CDU mit einem pragmatischen Ansatz der formierten Demokratie (was hieß, die wirtschaftliche Lage zu verbessern und demokratische Grundformen einzuüben) DIE Volkspartei wurde.

Gesellschaftliche Teilhabe der Arbeiterschaft. Die Sechziger und Siebziger.

In den Sechzigern änderte sich das. Der formierte Konsenskapitalismus rheinischer Prägung brach auf, das Verhältnis zum anderen Deutschland rückte auf die Tagesordnung und die Arbeiterschaft forderte ihren Tribut am Aufbau des Landes ein. Es folgte eine kurze, sehr kurze Blüte der Sozialdemokratie, Willy Brandt’s „Mehr Demokratie wagen“ auf den Lippen, meinte man, den Kapitalismus steuern zu können. Globalsteuerung, Politikplanung, Sozialpolitik in großem Maßstab. Was als ökonomische Teilhabe konzipiert wurde, ist in sozialpolitische Umverteilung gemündet. Und schon bald musste sich die Sozialdemokratie damit beschäftigen, wie man die Kosten dieser Wohltaten wieder in den Griff bekommen konnte.

Der Machtwechsel, das scheint das spezifisch deutsche, erfolgte dann über eine große Koalition. Der Deutsche, die Deutsche neigt nicht zu klaren Entscheidungen.

Die Blüte der Sozialdemokratie dauerte nicht lange. Nach Willy Brandts Aufbruch erfolgte schnell die Ernüchterung. Dem König der Gesten folgte der Macher Helmut Schmidt. Handwerk, mit sozialdemokratischen Träumen hatte das wenig zu tun. Die Zeitläufte erforderten ihren Tribut.

Und auch die ungestüme Kraft des Kapitalismus wurde erstmals in seine Schranken gewiesen, vor allem durch die Ölkrise, die erste Zäsur für die technokratische Modernisierungsidee.

Das Generationenprojekt. Die 68er und Folgen.

Und neben die Frage wachsender Absicherung von Arbeitern und einer Absicherung von Mitbestimmung als Frage gesellschaftlicher Partizipation wuchs in einer neuen, jungen Generation ein neues, eher angelsächsisch inspiriertes Verständnis von Demokratie. Demokratie von unten, das Recht, eine Meinung zu haben, sich einzumischen, den Konsens der offiziellen Politik in Frage zu stellen.

Anlass dazu gaben folgende Punkte: Die Rechte von Mann und Frau, die Rechte von Minderheiten, insbesondere in der sexuellen Orientierung, (die Rechte der Einwanderer folgten erst mit erheblicher Vespätung), das Selbstverständnis des Westens, seine Interessen mit fliegenden Fahnen und Kanonendonner zu verteidigen: Persien, Vietnam und der Anspruch der USA, ihre Interessen mit militärischen Mitteln durchzusetzen. Als letzter Teil des 68er Gegenprogramms: Die Ökologische Frage, die die Zeit nach unserer Zeit (und den Raum außerhalb der direkten Wahrnehmung) in die allgemeine Wahrnehmung holte, wozu Medien, insbesondere Fernsehen, einen nicht unbedeutenden Beitrag leisteten.

Waren die Zeiten bis Anfang der Siebziger Jahre noch geprägt von der Nachkriegsgeneration, wuchsen mit Helmut Kohl auf der einen und den Grünen auf der anderen Seite die Antipoden der Nachkriegszeit heran.

Hatte vor den siebziger Jahren die politische Diskussion innerhalb der Institutionen der Gesellschaft stattgefunden, verlagerte sich in den nachfolgenden Jahren die Ebene gesellschaftlicher Auseinandersetzung.

Der sozialreformerischen CDU (Kohl, Biedenkopf, Geißler) standen die außerparlamentarsichen Bewegungen und die entstehenden Grünen gegenüber. Die SPD wurde zwischen diesen Polen (und, substanziell auch, durch die Modernisierungsprozesse, Entwertung von Arbeit und Aufstieg durch Bildung als die beiden Pole) zerrieben und zerrissen.

Gesellschaft definiert sich durch ihre Konflikte. Und so kann die Zeit ab den achziger Jahren als die Zeit definiert werden, die durch die Grüne Agenda definiert wurde. Die Implementierung der über die Grünen in das politische System eingespielten Fragen, Partiziation, Minderheitenrechte, gesellschaftliche Vielfalt und der Versuch, die ökologische Frage in unsere Gesellschaft einzupflegen.

Zwei weitere Themen haben die Gesellschaft zusätzlich geprägt: Das Ende des Ost-West-Konfliktes und die deutsche Wiedervereinigung zum einen. Und der Angriff auf die Twin-Towers, 9/11 als Paradigma einer polyzentrischen Weltgesellschaft.

Im Jahre 2014 ziehen wir also Bilanz.

Die Grünen stellen einen Ministerpräsidenten in einem der Bundesländer. Eine schwarzrote große Koalition exekutiert eine grüne Energiewende-Agenda. Die FDP ist aus dem Bundestag geflogen, die übriggebliebenen Parteien sind sich nahe wie sie in der gesamten Nachkriegszeit niemals waren.

Die herrschende Politik ist alternativlos geworden. Doch niemand redet darüber. Stattdessen versuchen sich alle Parteien mit erheblichem Aufwand, als Gesellschaftsretter zu inszenieren; – ohne, dass diese Inszenierung tatsächlich Wirkung zeitigt, wie man an der SPD aktuell sieht. Die Partei bestimmt die gesamte Agenda der Bundesregierung, die Wählerinnen und Wähler goutieren das jedoch nicht.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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