Zeitenwechsel. Der 13.3.2016 wird als historischer Tag in die Annalen der Grünen eingehen. Einerseits: Der Aufstellungsparteitag der Grünen in Berlin, andererseits die Baden-Württemberg Wahl von heute. Berlin, das ist das Grün von gestern, Baden-Württemberg, das ist das Grün von morgen. Warum das so ist, will ich kurz erläutern.
Der Erfolg der Grünen hat diesen die Basis für ein „Weiter so“ entzogen.
Die Grünen sind das erfolgreichste politische Projekt seit den sechziger Jahren. Die Grünen, das ist der Ausbruch aus der formierten Nachkriegsgesellschaft, gelebte, streitbare Demokratie, gelungene Identifikation linksintellektueller und linksliberaler Schichten, der Abbau von Diskriminierung von Frauen, Minderheiten, ein Umdenken in der Friedenspolitik und, natürlich, die Auseinandersetzung mit der Begrenztheit von Ressouren und Planeten.
Nicht, dass alle diese Themen gelöst werden. Aber der grüne Blickwinkel ist der Mehrheitsblickwinkel geworden. Und im Gegenzug mussten die Grünen auf ihrem Zug durch die Institutionen auch manche Überhöhung abschleifen. Ich nenne als Beispiel nur pazifistische Haltungen in der Friedenspolitik.
Wenn alle (heute muss man sagen, fast alle, die AfD nehme ich mal aus) in denselben Begriffen über die gesellschaftliche Wirklichkeit reden, worin liegt dann der Unterschied? Wenn ein grüner Staatssekretär die schwarzrote Energiewende zu Ende führt, was kennzeichnet dann noch die eigenständige Haltung der Grünen?
Gestus oder Haltung.
Wer, wie ich, am selben Wochenende einerseits die Aufstellungsversammlung der Berliner Grünen verfolgt hat und andererseits dem Wahlausgang in Baden-Württemberg entgegenfiebert, der kann den sehr deutlichen Unterschied zwischen beiden Parteien deutlich wahrnehmen. Es geht um Gestus oder Haltung.
In Berlin geht es um den Gestus. Berliner Grüne definieren sich, absurd, weil sie ja schließlich regieren wollen, über den Gestus der Randgruppe. Man prangert die Unmenschlichkeit der Verhältnisse an, man (und frau) definiert sich als Minderheitenvertreter, es geht um Politik „von unten“, gegen den Mainstream, gegen Gentrifizerung (ohne darüber nachzudenken, dass „Neugrüne“ die Gentrifizierung selbst sind), es geht darum, ein bißchen Jean’d Arc oder Rosa Luxemburg zu sein, die Stimme der Unterdrückten.
Dabei benötigt Berlin vor allem eins: Eine leistungsfähige, unangeregte Verwaltung. Eine leistungsfähige Wirtschaft. Und nicht mehr aufgeregte Politik.
Baden-Württemberg ist anders.
Und deshalb erfolgreich. Da hat man sich, mit dem richtigen Mann zur richtigen Zeit in die politische Verantwortung getragen, darauf besonnen, worauf es heute ankommt:
Politik mit Prinzipien und Haltung. Und im politischen Meinungsstreit geht es darum, für diese Politik der kontinuierlichen und verantwortlichen Veränderung Unterstützung aus der Mitte der Gesellschaft zu gewinnen.
Ja, eine Konzeptpartei wie die Grünen schmerzt, wenn sie sich nicht mehr mit kompletten Umbauplänen der Gesellschaft, der Transformation unserer Wachstums- und Expansionsgesellschaft in ein grünes Utopia absichern können.
Die vergangenen 20 Jahre haben gezeigt, dass die Atemlosigkeit und Gleichzeitigkeit absehbarer, aber unveränderlicher Prozesse und unvorhersehbarer Ereignisse, ich nenne die zunehmende Stärke der asiatischen Länder, die Digitalisierung, die Globalisierung, die Machtansage scheinbarer Peripherie nach 9/11, der Clash of Cultures und unsteuerbare Finanzmärkte, ständig neue Herausforderungen bilden.
Hilft da EIN Plan? Oder bedarf das nicht eher einer klaren Haltung und dann einfach: Der nüchternen Fähigkeit, abzuwägen und in der jeweiligen Situation die richtigen Schwerpunkte zu setzen?
Was schafft in dieser Situation Mut, Zuversicht und Vertrauen?
Die Süddeutsche diagnostizierte vergangene Woche, nicht Parteien, sondern Personen zählen. Richtig, aber nur, wenn die Personen mit ihrer Ausrichtung auch von einer unterstützenden Partei getragen werden, können sie erfolgreich arbeiten.
In Baden-Württemberg haben sie bereits begonnen, die Anspruchshaltung von Politik zu reduzieren. Nicht aus Opportunismus, nicht aus Taktik, sondern aus der Überzeugung heraus, dass es auf die Haltung und nächsten Schritte ankommt.
Und nicht auf die dicksten Konzepte. Und nicht darauf, sich als randständig zu inszenieren, wenn man längst die Mitte darstellt.