Kurskorrektur durchgesetzt. Jetzt müssen neue Wege beschritten werden.
Die Grünen, Deutschlands Erfolgsgeschichte Nr. 1 haben einen langen und erfolgreichen Weg hinter sich. Von links außen haben sie im Nachkriegswestdeutschland eine Kurskorrektur erzwungen. Lebendige streitbare Demokratie, die Gleichberechtigung der Frau, die Berücksichtigung von Minderheiten,die Besinnung auf die Endlichkeit des Planeten und den Raubbau an der Natur. Und natürlich: Die Energiewende. Deutschlands Vorzeigeprojekt, wenngleich es durch zahlreiche An- und Umbauten inzwischen seine Vorzeigefunktion verloren hat.
Die Grünen sind Mitte geworden, die “neue Mitte” der Wissensgesellschaft. Und lautlos und weitgehend konsensuell haben sie ihre Politik den neuen Erfahrungen in und mit dem Staatsapparat und der neuen Sichtweise der Mitte angepasst.
Aber trotz aller Erfolge, die “schöne neue Welt” des Interessensausgleichs, von Partizipation und gemütlichem Regieren ist nicht entstanden. Denn die Welt hat sich verändert.
Spätestens seit 9/11 hat sich die Wahrnehmung gedreht. Dem kurzzeitigen Ende der Geschichte ist eine Ära massiver und offensichtlich nicht befriedungsfähiger Konflikte gefolgt, zuallererst im Nahen Osten, Afrika bleibt unruhig, auch wenn die Klimakrise und Korruption die ökonomischen Erfolge und die Überwindung von Armut (Hans Rowling, Factfullness) überdecken.
Und die bis heute fast beispiellose wirtschaftliche Erfolgsgeschichte Deutschlands, getragen von Ingenieurskunst, Zuverlässigkeit, Verbindlichkeit und liberalisierten Handelsbeziehungen scheint an ihr Ende zu kommen.
Mit China ist “dem Westen” ein konkurrenzfähiger und selbstbewußter Pendant entstanden. Bisher ist es der politischen Führung gelungen, mit Marktliberalität nach innen, Innovationsoffenheit und einer strikte Beschneidung politischer Freiheitsrechte zu vorher nicht vermuteter wirtschaftlicher Stärke nationales Selbstbewußtsein zu entwickeln. Aus dem “Nachahmer” ist ein technologischer Vorreiter geworden, der weiß, wie er den Marktzugang für die Durchsetzung nationaler Interessen und seine nationalen Interessen nutzen kann.
Der Westen hingegen zerfällt. Globalisierung und digitale Disruption haben Arbeitsplätze, ökonomische Sicherheiten und gewachsene Traditionen zerschlagen, die Gesellschaften des Westens sind zutiefst erschüttert. Die Zuversicht, über den politischen Diskurs und wirtschaftliches Wachstum gesellschaftlichen Ausgleich zu schaffen, schwindet, ein wachsender Teil der Gesellschaften des Westens setzen auf starke und autoritäre Autoritäten. Die AfD kein Einzelfall, sondern der mit der deutschen Geschichte erklärbare Nachvollzug von Entwicklungen, die in anderen Ländern längst stattgefunden hat.
Vom Mahner zum Macher
Konsequenz 1: Politik simuliert immer wieder eine Macht, die sie schon längst nicht mehr hat. Politische Debatten tun immer so, als agiere sie in einem abgeschlossenen nationalen Raum, in dem sie Rahmenbedingungen setzt. Das Gegenteil ist richtig. Politik kann national zwar Rahmenbedingungen setzen, muss dabei allerdings reflektieren, auch die Position des Landes im internationalen Raum zu verändern.
Konsequenz 2: Politik muss sich stärker mit den, ungeplanten und unerwünschten Nebenfolgen ihres Handelns auseinandersetzen. Die Energiewende ist dafür ein gutes Beispiel. Schon die Idee, mit der Energiewende eine international erfolgreiche Zukunftsbranche etabliert zu haben, ist falsch. Und auch die Entscheidungen in jüngster Zeit: Gut gemeint, nicht gut gemacht. Das Ausschreibungsdesign der letzten Windparktranchen sind ein mahnendes Beispiel, die gut gemeinten Sonderkonditionen für Bürgerwindparks führen jetzt zum Stillstand beim Bau und infolgedessen zu einem weiteren Ruin einer neu entstehenden Branche, der Windenergieentwickler führen wird. .
Konsequenz 3: Die Debatte, ob mehr Markt oder mehr Staat der richtige Weg ist, scheint überholt. So sehr Autoren wie Mariana Mazzucato, “Wie kommt der Wert in die Welt” zuzustimmen ist, dass Staat auch Wert schaffen und das Brutto-Inlandsprodukt steigern kann, desto lauter muss man ihr widersprechen. Der Begriff Staat zerfällt, zumindest in europäischer Hinsicht, weil Europäische Administration, Nationale Politik und föderale Eingriffsmöglichkeiten die Wirkungskraft “des Staates” mindern. Wenn sie “Moonshoot-Projekte” als Instrument der Innovationspolitik preist, übersieht sie, dass auch europäische Innovationspolitik, der Airbus ist da eine nicht wiederholbare Ausnahme, sich im Klein-Klein nationaler Interessen und “unter dem Tisch verhandelter” Deals zwischen den europäischen Ländern zerrinnt.
Konsequenz 4: Staat ist nicht Staat. Die Wirkungskraft “des Staates” wird dadurch geschmälert, weil im Zuge der Politisierung aller gesellschaftlichen Prozesse demokratische Entscheidungen oftmals als die einzig legitime Entscheidungsform erscheinen. Die Frage nach der Effizienz und Effektivität dieses Entscheidungsmodus entfällt. Und auch die Frage, ob tatsächlich “der Bürger” (gleichfalls “die Bürgerin”) mit ihrem Laien- oder Staatsbürgerblick immer über den richtigen “Riecher für weitreichende Innovationsentscheidungen” verfügt, darf auch seitens der Grünen bezweifelt werden. Wer einmal die Ausrichtung auf die Atomenergie korrigiert hat, muss nicht zwangsläufig immer recht haben.
Will heißen: Die Grünen tun gut daran, ihren Blick vom rein Politischen zu lösen (und innerhalb des Politischen zu differenzieren) und auf die gesamte Gesellschaft zu richten, in Sachen Administration den Wert guter und parteipolitisch unabhängiger Planung und Verwaltung neu zu entdecken (damit auch der “StaatsdienerInnenschaft ein neues Selbstbewußtsein zu erlauben) und Gesellschaft wieder als Ganzes zu begreifen: Leistungsfähige Wirtschaft, die zu Wohlstand und Chancengerechtigkeit führt, ein Gemeinwesen, öffentliche Institutionen, die funktionieren, weil sie mit Selbstbewußtsein ihren Eigenwert erkannt und gegenüber einer übermäßigen Politisierung erstritten haben. Und eine Politik, die sich nicht länger mit Debatten über abstrakte Werte und Konzepte ablenkt, sondern darüber streitet, auf welchen Wegen und mit welchen nächsten Schritten die künftigen Herausforderungen, Klimaschutz, nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen, Erhaltung des Wohlstands, Steigerung der Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit und ein “Gutes Leben” zu erreichen sind.
Deutschland, Europa, der Westen steht, auch durch das mediale Zusammenrücken der Weltbevölkerung, unter verstärktem Wettbewerbsdruck. Wir haben gute Chancen, diesen Wettbewerb um Lebenschancen für uns und im Sinne des Planeten erfolgreich zu bestehen. Aber nur, wenn wir, die Grünen, als erste der Parteien aussprechen, dass diese Aufgaben nur als Gesellschaft im Ganzen also Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft gemeinsam meistern können. Und nicht, weil wir Umbauprogramme entwickeln, die den Eindruck erwecken, die Vielzahl der Herausforderungen könne quasi per politischer Stimmabgabe “beauftragt werden”.
Den Mut, dieses auszusprechen, vermisse ich oftmals bei Grünen. Mit Robert und Annalena haben wir zwei unumstrittene VorturnerInnen, die Denkräume geöffnet haben. Ich vermisse die Lust, alte Wahrnehmungs- und Denkmuster zu überprüfen, wenn notwendig, über den Haufen zu werfen, neue Ansätze zu entwickeln, Chancen und Partner zu entdecken, da anzusetzen, wo sich etwas bewegt. Und wo etwas bewegt werden kann. Es fehlt an Ideen, diese neu eröffneten Räume neu und zeitgemäß zu bespielen.
Und Flexibilität ist gefragt, Prioritätensetzungen in ganz konkreten Situationen. Wir benötigen keine hundertseitigen Glaubensbekenntnisse in Regierungsvereinbarungen, sondern eine gemeinsame Bestandsaufnahme und Vereinbarungen darüber, was in 4 Jahren umgesetzt wird.
Parteien, die Grünen sind da keine Ausnahme mehr, sind weitgehend geschlossene Systeme. Sie haben sich abgekapselt gegenüber ihrer Umwelt. Sie zu öffnen, zum Teil eines verantwortungsbewussten Netzwerks veränderungsbereiter, neugieriger und mutiger Personen und Institutionen zu machen, dürfte der Schlüssel für eine erfolgversprechende grüne Agenda 2019 sein.
Wir halten ihn in der Hand. Wir müssen ihn nur benutzen.