Ok, wir wissen nicht, ob es klappt. Wir wissen auch nicht, ob das dann die Wirkung hat, dass Unternehmen, nee, Unternehmen nicht, sondern Konzerne, dann aus der Schweiz abwandern. Aber spontan finde ich die 1:12 Klammer, die den Zusammenhalt der Schweizer Gesellschaft gewährleisten soll, gut.
Es trifft in der Schweiz nur 4400 Menschen, heißt es. Das heißt auch, für mittelständische Unternehmen spielt diese Klammer des Zusammenhalts keine Rolle. Es wäre ein Bekenntnis der Gesellschaft, und zwar auch des oberen Teils der Gesellschaft, sich zum Ganzen zu bekennen. Das Allerbeste aber: Es gibt der Zivilgesellschaft ihre Würde zurück, nicht immer wie ein kleines Mäuschen in der Ecke zu sitzen und zwar ….. aber zu sagen, zwar ist es ungerecht, weil ja bekanntlich nicht die CEOs alleine die Werte schaffen, aber wenn wir es laut aussprechen, wandern die Konzerne aus. Es ist ein Zeichen gegen die Erpressung von oben.
Deshalb ist die 1:12 Klammer eine gute Idee. Sie zeigt Haltung. Und der zweite Aspekt: Sie kostet kein Geld, sie setzt nicht diese politische Wünsch-Dir-Was-Maschine in Gange, die jetzt bei den Koalitionsverhandlungen wieder zu sehen ist. Politiker scheinen vor allem groß darin, Gelder anderer umzuverteilen. Verantwortung dafür, Gelder sinnvoll auszugeben, übernehmen sie nicht. Es ist die Katalog- und Bestellmentalität der Politik, die einen neutralen Betrachter so ratlos macht. Führung ist nur in Ausnahmefällen der Fall.
Das 1:12 ist ein Zeichen des Respektes der Gesellschaft vor sich selbst. Gegen das, „zwar ungerecht, aber man darf es nicht.“ Das neue Zwar …. Aber lautet: Zwar reden alle oben von Leistungsgesellschaft, aber man man kann auch mal sagen, dass das Oben eine überbezahlte Vollkaskogesellschaft ist.
Zwei Beiträge dazu:
Die Süddeutsche zum Wünsch Dir Was der Regierungskoalition:
Ein interessanter Artikel aus der App der Süddeutschen Zeitung. Und die Berliner Zeitung: Ein Franken für die Putzfrau, zwölf Franken für den Vorstandschef.
Süddeutsche Zeitung, Meinung, 07.11.2013
Koalitionsverhandlungen
An der Schmerzgrenze
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Von Marc Beise
Es laufe „sehr gut“, hat Angela Merkel mit Blick auf die Koalitionsverhandlungen von CDU, CSU und SPD gesagt. Die Nation möge sich also glücklich preisen: Nichts wäre ja schlimmer, als wenn die Gespräche in Berlin hakten und die baldige Wiederwahl der Bundeskanzlerin in Gefahr geriete . . . Doch, es gäbe Schlimmeres: Union und SPD, die sich in den vergangenen Jahren heftig beharkt hatten, könnten sich am Ende in wichtigen Sachthemen nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen.
Der kleinste gemeinsame Nenner ist üblicherweise die bequemste, anspruchsloseste, furchtsamste Lösung – und oft auch die teuerste. Auf genau diesem Weg aber sind die drei Parteien unterwegs. Die künftige Koalition baut sich gerade ein Wirtschaftsprogramm, das Bürgern und Unternehmen mehr zumutet als von vielen Wählern ohnehin erwartet wurde. Besonders in den Fachgruppen der Koalitionsverhandlungen ist offenbar alles erlaubt. Geld spielt keine Rolle, das Gespür für Schmerzgrenzen fehlt. Häufig geht es nicht mehr um die Frage, ob eine Maßnahme sinnvoll ist, sondern nur noch darum, wie sie ausgestaltet wird. Das lässt sich anhand von fünf Beispielen belegen.
Erstens: In Deutschland gibt es zu wenig bezahlbaren Wohnraum, jedenfalls in den Ballungsgebieten. Also sind sich die Verhandler einig, dass im Interesse von Mietern eine Mietpreisbremse her muss. Das klingt sozial, kann aber dazu führen, dass der Wohnraum noch knapper wird, weil weniger gebaut wird. Müsste man nicht vielmehr Investitionsanreize für Bauherren in Aussicht stellen? Die Frage verhallt ungehört.
Zweitens: Ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn in der Größenordnung von 8,50 Euro, der schon mehr oder minder fix vereinbart ist, wird Jobs kosten, Darin sind sich fast alle Experten einig. Ach was, lächeln die Koalitionäre in spe alle Bedenken weg, das kriegen die Betriebe schon hin, Jammern ist ja deren Geschäft.
Drittens: Wer als Arbeitnehmer in Teilzeit geht, junge Mütter beispielsweise, hat häufig ein Problem, später wieder einen vollwertigen Arbeitsplatz zu finden – also ist eine Rückkehrgarantie auf den alten Vollzeitjob im Gespräch. Klingt gut, wird aber schwierig besonders für Mittelständler. Nach aller Erfahrung werden Firmen reagieren, indem sie weniger Teilzeit zulassen. Damit werden jene, die weniger als Vollzeit brauchen, aus dem Arbeitsleben gedrängt.
Viertens: Bei der Maut wiederum, die doch ausweislich der glasklaren Aussage der Kanzlerin im Fernsehduell gar nicht kommen sollte, konzentriert sich die Debatte bereits darauf, wie sie ausgestaltet wird. Wer fragt noch, ob Autofahrer überhaupt zusätzlich belastet werden sollen?
Fünftens: Unter der steigenden Ökostrom-Zwangsumlage ächzen Bürger und Unternehmen. Konsequenz: Die bisherigen Ausnahmen von der Umlage für energieintensive Unternehmen stehen in der Kritik. Eine Abschaffung würde für mehr Gleichheit sorgen, aber manche Betriebe an ihre Grenzen treiben. Warnungen aus der Industrie werden als erwartbar abgetan – dabei werden heute schon Werke geschlossen oder in die USA verlagert.
Ganz allgemein gilt: Statt über höhere Steuern (SPD-Forderung) wird nun über höhere Sozialbeiträge nachgedacht – als ob damit etwas gewonnen wäre. Kein Wort darüber, Belastungen zu senken, neue Ausgaben durch Einsparungen anderswo zu finanzieren, Bürokratie abzubauen, Wachstumskräfte freizusetzen. Die künftige Koalition ist dabei, die Belastbarkeitsgrenzen von Bürger und Unternehmen zu testen.
Das wird kurzfristig gutgehen, weil Deutschland als Gewinner der Euro-Krise derzeit nicht klagen kann. Aber das wird nicht halten, schon weil die Eurokrise nicht vorbei ist; und weil Deutschland für Europa wird zahlen müssen; und weil die schrumpfende Bevölkerungszahl einerseits und die wirtschaftsstarken Schwellenländer andererseits Deutschland bedrängen. Mittelfristig werden sich die Beschlüsse von heute, wenn sie am Ende so kommen, wie sie jetzt verhandelt werden, bitter rächen – so wie sich gerade die jüngere Gesetzgebung in Frankreich rächt, wo die Staatsausgaben drücken, die Verschuldung steigt, die Industrie am Boden ist und die mit Reichensteuern überzogenen Vermögenden ihr Geld aus dem Land schaffen. Man kann wohl festhalten: Im ewigen Ringen um eine Balance zwischen einer wirtschaftsfreundlichen und einer sozial ausgewogenen Politik hat die Wirtschaft in den Berliner Koalitionsverhandlungen derzeit kaum Fürsprecher. Das Wort führen die Umverteiler und Zusatzbelaster aller Parteien.
Es läuft „sehr gut“ bei den Koalitionsverhandlungen? Ganz sicher nicht.
Berliner Zeitung
Politik
Aktuelle Nachrichten und Kommentare zur Politik in Deutschland und der Welt
06.11.2013
1:12 IN DER SCHWEIZ
Ein Franken für die Putzfrau, zwölf Franken für den Vorstandschef
Von Thomas Schmid
Die Schweiz im Klassenkampf: Jusos demonstrieren in Zürich für die 1:12-Initiative, über die am 24. November abgestimmt wird. Es folgen Volksabstimmungen über den Mindestlohn und die Erbschaftssteuer.
Foto: AFP/FABRICE COFFRINI
BADEN –
In der Schweiz wird demnächst darüber abgestimmt, wie groß die Gehaltsschere in Unternehmen sein darf. Nicht mehr als 1:12, schlägt ein junger Sozialdemokrat vor und sorgt für Aufregung im Land.
Wenn die Topmanager dem Land den Rücken kehren und Unternehmer Niedriglohnjobs ins Ausland verlagern, wenn die Arbeitslosigkeit steigt, das Masseneinkommen sinkt und die Schweiz schließlich – so die Unkenrufe – zum Nordkorea Europas verkommt, dann ist in erster Linie er schuld: Cédric Wermuth. Der 27-jährige Sozialdemokrat, als Student vor zwei Jahren ins Parlament gewählt, ist zum Enfant terrible der konservativen Parteien, der Unternehmerverbände und der Banken avanciert. Er gilt als der geistige Vater der 1:12-Initiative, über die die Eidgenossen am 24. November abstimmen werden.
Die Schweizer müssen entscheiden, ob sie die Verfassung um einen Artikel erweitern wollen, der bestimmt: „Der höchste von einem Unternehmen bezahlte Lohn darf nicht höher sein als das Zwölffache des tiefsten vom gleichen Unternehmen bezahlten Lohnes.“ Der Topmanager soll also in einem Monat nicht mehr verdienen als die Putzfrau in einem Jahr. „Staatliches Lohndiktat!“, schimpfen die einen, „gerechte Löhne“ fordern die andern. Die Schweiz ist in Aufruhr.
Cédric Wermuth – man darf ihm dies getrost unterstellen – genießt den Aufruhr. Er liebt es, wenn Bewegung in die lahme Politik kommt. Harmoniesucht und Konfliktscheu sind seine Sache nicht. Er provoziert und polarisiert. Unvergessen seine Rede im Nationalrat, der großen Kammer des Parlaments, als er für die Abschaffung der Wehrpflicht plädierte. „Auf die Jagd gehen nach dem Feind. Durch den Dreck robben. Mit diesem Phallus-Ersatz, genannt Sturmgewehr, rumballern. In weitgehend sinnentleerten Solidargemeinschaften herumgrölen“, mokierte er sich übers Soldatenleben, „das kann definitiv nicht das Männerbild der Zukunft sein.“
Der Krieg der Zahlen
Solche Worte hatte man in den heiligen Hallen des Bundeshauses zu Bern selten gehört. Da will einer die Politik durchlüften, Bewegung in die Bude bringen. Es erstaunt nicht, dass Wermuth im FC Nationalrat, dem Fußballclub des Parlaments, Mittelstürmer ist. Immer vorneweg.
Wermuth wohnt im beschaulichen Städtchen Baden im Kanton Aargau, eine Viertelstunde Zugfahrt von Zürich entfernt. Er lebt in einer Wohngemeinschaft, zusammen mit einem spanischen Informatiker, einer Schweizer Studentin der Sozialarbeit und einem französischen Ingenieur. Die schlicht eingerichtete Wohnung befindet sich in einer engen Gasse der schmucken Altstadt, nur wenige Schritte entfernt von der Unvermeid-Bar, die von der stadtbekannten transsexuellen Schauspielerin, Regisseurin und Chanson-Diva Stella Palino geführt wird. Im Oktober 2011 gab es dort Freibier für alle. Auf Kosten Wermuths. Er war gerade ins Parlament gewählt worden.
Cédric Wermuth hat die Initiative 1:12 auf den Weg gebracht.
Foto: Imago
Politik kennt er von klein auf. „Meine Eltern, beide Heilpädagogen, waren immer politisch aktiv“, sagt er „mein Vater hatte früher Freunde bei den Kommunisten, meine Mutter war bei Amnesty International engagiert. Bei uns zu Hause kreuzten Tamilen, Kosovaren und Kurden auf.“ Die Mutter stammt aus der französischen Schweiz, und so ist Cédric zweisprachig aufgewachsen. Die Großmutter väterlicherseits ist aus Italien zugewandert, und deshalb ist er Doppelbürger und nicht nur Mitglied der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz, sondern auch des Partito Democratico Italiens. Und ein wenig sieht Wermuth mit seinem gestutzten Bart und den dunklen Augenbrauen denn auch aus wie ein gealterter Secondo. So werden in der Schweiz Jugendliche mit Migrationshintergrund genannt.
Den Jungsozialisten (Jusos), der Jugendorganisation der Sozialdemokratischen Partei, trat Wermuth schon als 13-Jähriger bei. Das war 1999. Neun Jahre später war er ihr Chef und auch Vizepräsident der Partei. Es war in dem Jahr, als in den USA die Bank Lehman Brothers zusammenkrachte und die globale Finanzkrise ausbrach. Die größte Schweizer Bank, die UBS, konnte nur mit öffentlichen Geldern in Höhe von 76 Milliarden Franken (60 Milliarden Euro) vor dem Kollaps gerettet werden. Kurz danach schon gab sie bekannt, dass sie 2009 trotz gigantischer Verluste im Vorjahr drei bis vier Milliarden Boni ausschütten werde. „Die Millionensaläre der Topmanager wurden nun zu einem heiß diskutierten Thema“, erinnert sich Wermuth, „so lancierten wir 2009 die Volksinitiative ‚1:12 – Für gerechte Löhne‘. Wir wollten Öffentlichkeit schaffen und als politischer Player ernst genommen werden.“ Die Unterstützung durch die Partei sei dabei zunächst sehr zögerlich ausgefallen. „Die notwendigen 100.000 Unterschriften haben wir Jusos faktisch allein gesammelt. Und wir hatten sie überraschend schnell zusammen.“ Mitgetragen wird die 1:12-Initiative inzwischen vom Gewerkschaftsbund, den Sozialdemokraten und den Grünen. Alle anderen Parteien sowie die Unternehmerverbände sind gegen die Initiative. Auch Regierung und Parlament haben dem Volk empfohlen, sie abzulehnen.
Cédric Wermuth
Der 1986 geborene Schweizer Juso studiert Politikwissenschaft, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte sowie Philosophie an der Uni Zürich und arbeitet zugleich für die Solidar Suisse. Er lebt in einer Wohngemeinschaft im schweizerischen Baden.
Nun herrscht ein Krieg der Zahlen. Die Universität Sankt Gallen, Kaderschmiede der Nation, hat im Auftrag des Schweizerischen Gewerbeverbandes, der die Federführung der Nein-Kampagne übernommen hat, eine Expertise erstellt. Das Ergebnis: Falls die Initiative angenommen wird, muss im schlimmsten Fall mit Steuerausfällen in Höhe von 1,5 Milliarden Franken und einem Loch in der staatlichen Rentenkasse in Höhe von 2,5 Milliarden Franken gerechnet werden. Das Denknetz hingegen, ein linker Think Tank, kann keine dramatischen Ausfälle absehen. Die Konjunkturforschungsstelle der renommierten ETH Zürich wiederum rechnet mit einem Loch von allenfalls 125 Millionen Franken in der Rentenkasse. Eine eher bescheidene Summe.
Die unterschiedlichen Resultate hängen von den umstrittenen Annahmen und Hypothesen ab, die den Modellrechnungen zugrunde liegen. Das Problem besteht darin, dass niemand weiß, was geschehen wird, wenn sich 1:12 durchsetzt. Was wird dann aus der eingesparten Lohnsumme? „Unsere Hoffnung ist schon, dass die untersten Lohngruppen dann mehr Geld kriegen“, sagt Wermuth und schränkt sofort ein: „Aber es gibt da keinen Automatismus.“ Das würde jedenfalls den Konsum stärken und dem Staat zusätzliche Mehrwertsteuern in die Kassen spülen. Vielleicht aber wird der eingesparte Betrag nur zu erhöhten Unternehmensgewinnen führen.
Oder es werden gewisse Tätigkeiten aus dem Niedriglohnbereich ausgelagert oder automatisiert. Möglicherweise werden Unternehmen zwecks Verkleinerung der Lohnschere aufgespalten – zum Beispiel in eine Management- und in eine Produktionsgesellschaft. „Es wird tausend kreative Ideen geben, wie man gegebenenfalls den Willen des Volkes umgehen kann“, prophezeit Wermuth, „doch spricht das nicht gegen die Initiative. Aber es sagt viel über das Demokratieverständnis jener aus, die mit solchen Ideen hausieren gehen.“
Betroffen von einer Regelung 1:12 wären nur wenige. In bloß 1,5 Prozent aller Schweizer Unternehmen mit mindestens drei Beschäftigten ist die Lohnspanne größer als 1:12. Es sind vor allem Unternehmen im Finanz- und Versicherungswesen, im Großhandel und der Unternehmensverwaltung und -beratung. Nur etwa 4 400 Topverdiener landesweit müssten mit einer Kürzung ihrer Gehälter rechnen: Zum Beispiel Severin Schwan, Chef des Pharma-Konzerns Roche. Er hat im letzten Jahr 15,791 Millionen Franken verdient – 261 Mal mehr als die am schlechtesten bezahlte Arbeitskraft seines Unternehmens.
Bei Nestlé beträgt die Lohnspanne 1:238, bei der UBS 1:194, beim Lebensmittelkonzern Migros immerhin noch 1:18, bei Coop just 1:12. Die öffentliche Verwaltung hingegen wäre von einem Erfolg der Initiative nicht betroffen. In der Stadt Zürich etwa ist die Lohnspanne 1:4,5.
Die UBS erwirtschaftete im vergangenen Jahr einen Verlust in Höhe von 2,5 Milliarden Franken – und zahlte gleichzeitig Boni in Höhe von 2,5 Milliarden aus. Allein der Investbanker Andrea Orcel erhielt 26 Millionen Franken Antrittsentschädigung, ein einmalig ausbezahltes Willkommensgeld. Es sind solche Zahlen, die der „Abzocker-Initiative“ im März dieses Jahres zum Erfolg verholfen haben. Zwei Drittel der Schweizer stimmten damals einer Verfassungsänderung zu, wonach in börsennotierten Unternehmen eine Generalversammlung aller Aktionäre über die Gesamthöhe der Boni zu entscheiden hat.“
Damals ging es um die Rechte der Aktionäre, nun geht es um die Löhne aller. Umso härter sind nun die Bandagen, mit denen gekämpft wird. Ruedi Noser, der für die wirtschaftsliberale FDP, die große bürgerliche Partei der Schweiz, im Nationalrat sitzt und gleichzeitig der Finanz- und Wirtschaftskommission von Economiesuisse, dem größten Dachverband der Unternehmer, angehört, hat SuccèSuisse gegründet. Der Verein hat sich die Verteidigung der liberalen Wirtschaftsordnung auf die Fahnen geschrieben. „Jetzt geht es wieder um Klassenkampf pur: die Linken gegen die Bürgerlichen“, sagte Noser der Neuen Zürcher Zeitung, „die Sozialdemokraten haben dem Erfolgsmodell Schweiz den Krieg erklärt.“ Und er wird noch schärfer: „Die 1:12-Initiative macht uns zum Nordkorea Europas: wirtschaftlich isoliert, aber alle gleich – alle gleich arm.“
„Die typische Angstkampagne vor der Abstimmung“, meint Wermuth lakonisch. Er bestreitet, dass die Initiative der Schweizer Wirtschaft schadet. „Das Gegenteil ist richtig“, sagt er, „eine Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums ist nicht nur ein Gebot der Gerechtigkeit, sondern auch ein Akt der wirtschaftspolitischen Vernunft. Das Geld muss den Kreisläufen der Finanzspekulation, wo es Unheil anrichtet, entzogen werden.“ Wenn der Neoliberalismus behaupte, die wirtschaftlichen Sachzwänge ließen keine Alternativen zu seinem eigenen Projekt zu, zeige er nur seine totalitären Züge. Den Begriff Marxist mag Wermuth nicht, aber dass ihn die marxistische Gesellschaftsanalyse stark beeinflusst hat, verhehlt er nicht. „Der Kapitalismus ist nicht das Ende der Geschichte“, sagt er, „da hatte Marx schon recht.“
Wermuth steht kurz vor dem Abschluss seines Politologie-Studiums. Dass die marxistische Theorie nicht mehr auf dem Lehrplan steht, hält er für absurd. „Ohne Marx kann man die Geschichte des modernen Denkens nicht verstehen“, sagt er. Klar, er ist ein Linker, aber was ist heute links? „Im Kern geht es um Freiheit, um die individuelle Freiheit“, antwortet er, „und diese muss man immer in ihrer politischen, sozialen und wirtschaftlichen Dimension begreifen. Gegen die bürgerliche Markt- und Konkurrenzlogik muss der Versuch gemacht werden, jeden Bereich des Lebens einer demokratischen Logik einzuverleiben.“
Seine Gegner werfen Wermuth vor, er hole seine Rezepte aus der sozialistischen Mottenkiste, überhaupt sei er ein Linksradikaler, zudem wegen Hausfriedensbruchs rechtskräftig verurteilt. Das ist drei Jahre her, damals war er Juso-Chef. „Wir haben in einem seit Jahren leerstehenden völlig verlotterten Hotel eine Party gefeiert, um auf den eklatanten Mangel an bezahlbaren Wohnungen in der Stadt hinzuweisen“, sagt er, „das Urteil wegen Hausfriedensbruchs habe ich angefochten, aber es wurde in letzter Instanz vom Bundesgericht bestätigt: 20 Tagessätze und eine Buße von 300 Franken.“ Es wurmt ihn nicht. Im Gegenteil. „Der Streit hat mir zu nationaler Bekanntheit verholfen.“
Über Gerechtigkeit reden
Vermutlich ist der 27-jährige Wermuth inzwischen der bekannteste Schweizer Politiker seiner Generation. Jeden Tag hat der umtriebige Sozialdemokrat öffentliche Auftritte, in Großstädten wie in kleinen Dörfern. Ob er mit einem Erfolg der Initiative rechnet? Zurzeit liegen die Chancen laut Umfragen fifty-fifty. Noch. „Die Gegner mobilisieren nun gewaltig“, sagt Wermuth, „wir haben ein Budget von 700.000 bis 800.000 Franken, unsere Gegner bis zu 15 Millionen.“ Aber wichtiger als ein Erfolg ist ihm ohnehin, dass nun auf breiter Ebene Lohngerechtigkeit und Verteilungsfragen thematisiert werden.
Auch wenn die 1:12-Initiative scheitert, wird im Schweizer Klassenkampf keine Ruhe einkehren. Im kommenden Jahr steht eine vom Gewerkschaftsbund eingereichte Initiative zur Abstimmung: Ein Mindestlohn von 22 Franken (18 Euro) pro Stunde, also etwa 4 000 Franken (3 250 Euro) im Monat soll gesetzlich verankert werden. In Deutschland, wo bei den Koalitionsgesprächen ein Mindestlohn von 8,50 Euro im Gespräch ist, mag man über solche Größenordnungen staunen. In Zürich aber, wo die Curry-Wurst an der Imbissbude sieben Franken kostet, findet eine Mehrheit dies vielleicht angemessen.
Und bald nach der Abstimmung über die Mindestlohn-Initiative werden die Schweizer wieder zu den Urnen gerufen. Dann wird es um die Erbschaftssteuer gehen. Die 1:12-Initiative ist also nur ein Anfang. „Es geht um die öffentliche Thematisierung von Verteilungsfragen“, sagt der Politologe Wermuth und verabschiedet sich. Er muss in ein Fernsehstudio, in einer Talkshow gegen den Chemieunternehmer und früheren Justizminister Christoph Blocher antreten – der linke Student gegen die Galionsfigur des schweizerischen Rechtspopulismus.