Die Nomenklatura-Mafia. Zum Beispiel der TÜV.

Neues Material in Sachen Priesterherrschaft. Der TÜV zertifiziert, der Betroffene verliert. Das gute Image des TÜV wird benutzt, um fragwürdige Unternehmen frei zu sprechen. Das geht dann so: Man lässt die unfallfrei begehbare Toilette zertifizieren. das unternehmen spricht dann immer etwas unscharf davon, dass es TÜV zertifiziert ist. Dann kaufen die Menschen lieber. Nein, Betrug ist das nicht. Aber was dann?

Müsste man mal Ulrich Beck fragen, der ist Fachmann für Begriffsherstellung. Wie wäre es mit Vertrauenssimulatoren?

Schönen Gruß von der Süddeutschen:

Ein interessanter Artikel aus der App der Süddeutschen Zeitung:

Wirtschaft, 19.11.2013

TÜV Rheinland

Den Spionen auf der Spur
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Von Caspar Dohmen, Thomas Fromm

München/Köln – Der Büroturm des TÜV Rheinland bestimmt in Köln das Panorama auf der rechten Rheinseite. Bei klarer Sicht schaut man rheinaufwärts bis nach Bonn und stromabwärts bis hinunter nach Düsseldorf. Einmal Rheinland und zurück sozusagen.

Von Bonn nach Düsseldorf: Das ist ein überschaubar Radius, der den Verantwortlichen längst nicht mehr genügt. Immer öfter treibt es den Prüf-Konzern in neue Geschäftsfelder, und immer öfter zieht es ihn ins Ausland. Vorstandschef Manfred Bayerlein forciert das Tempo: Er hat der weltweit sechstgrößten Prüfgesellschaft einen ehrgeizigen Expansionskurs verschrieben. Bis 2014 will der Konzern seinen Umsatz um mehr als 40 Prozent auf zwei Milliarden Euro hochschrauben. Die kann man aus eigener Kraft erreichen. Noch schneller aber geht es mit Zukäufen.

Jüngstes Beispiel: Die Übernahme der Münchner Firma für IT-Sicherheit Secaron, die TÜV Rheinland an diesem Dienstag bekanntgeben will. Mit Hilfe der Spezialfirma aus Süddeutschland will der Prüfdienstleister nun zum führenden unabhängigen Anbieter für Informationssicherheit auf dem deutschen Markt werden. Und nicht nur dort: „Zu unseren Kunden gehören Dax-Unternehmen und größere Mittelständler, die im Ausland expandieren“, sagte Olaf Siemens, Geschäftsführer der TÜV Rheinland IT-Sicherheitssparte i-sec. „Dafür brauchen wir eine gewisse Größe, um diese Kunden international bedienen zu können.“

Und vor allem den gewissen seriösen Ruf beim Verbraucher. Den verdanken die drei großen TÜV-Gesellschaften – TÜV Nord, TÜV Rheinland und TÜV Süd – vor allem der Prüfung von Autos, ihr altes Kerngeschäftsfeld. Umfragen zufolge vertrauen fast 80 Prozent der Deutschen dem Siegel – das hilft auch bei der Expansion in neue Geschäftsfelder. Die verfolgen die TÜV-Gesellschaften seit Anfang der 90er Jahre, seitdem die Branche liberalisiert wurde und neue Wettbewerber in das Geschäft drängen. Seitdem wird kräftig ausgebaut: in Deutschland und in der Welt. Oft in Bereiche, die nichts mehr mit Autos zu tun haben. Zum Beispiel den Bereich der IT-Sicherheit, für den Analysten in den nächsten Jahres großes Wachstum voraussagen. Auch, weil die digitale Ausspäherei in der Wirtschaft künftig eher noch zunehmen als abnehmen dürfte. Olaf Siemens plant daher weitere Übernahmen: „Wir sind heute schon in 65 Ländern tätig und planen in den nächsten vier bis fünf Jahren weitere größere Akquisitionen im Bereich der IT-Sicherheit“, sagt er.

Strategisch ist das voll auf Linie: Alles prüfen, egal ob Spielzeug- oder Elektronikimporte. Alle bedienen, auch deutsche Unternehmen auf ihrem Weg ins Ausland. Dazu verlagert der Prüfkonzern einzelne Geschäfte ins Ausland, wie die Kontrolle von Autos oder die Begutachtung der Energieeffizienz von Gebäuden. 2013 ist daher ein besonderes Jahr für die Kölner: Erstmals machen sie mehr als die Hälfte ihres Umsatzes außerhalb der Heimat.

Aber die Expansion ist nicht ohne Risiken. Zuletzt war der TÜV Rheinland gleich mehrmals in die Schlagzeilen geraten. Mal ging es um Brustimplantate, mal um marode Textilfabriken in Bangladesch. Vermutlich haben sich Hunderttausende Frauen zertifizierte Implantate mit billigem Industriesilikon einsetzen lassen, in Deutschland waren es allein mehr als 5000 Frauen. Vergangene Woche gaben Richter im französischen Toulon den Kölnern eine Mitschuld an den Vorfällen – der TÜV jedoch weist eine Verantwortung zurück, sieht sich selbst als Opfer eines betrügerischen Unternehmers und will in Berufung gehen, zumal er sich durch zwei Freisprüche vor deutschen Gerichten bestätigt sieht. Tatsächlich hat der Konzern nur das Herstellungsverfahren und nicht das Produkt selbst untersucht.

Und da ist noch die Sache mit den Tests in den Textilfabriken in Bangladesch. Zu den wachsenden Geschäftsfeldern des TÜVs Rheinland zählen sogenannte „Sozial-Audits“, bei denen Produktionsbedingungen zertifiziert werden. Der TÜV Rheinland hat nach eigenen Angaben im laufenden Jahr bereits 51 solcher Audits in Bangladesch vorgenommen, 2010 waren es im gesamten Jahr nur zwei. Zuletzt setzte man mit solchen Audits 50 Millionen Euro um. Die Tester waren auch in der Unglücksfabrik Rana Plaza, bei deren Einsturz im Frühjahr 1127 Menschen starben. Allerdings hatten die Prüfer auftragsgemäß nur soziale Standards zertifiziert; dazu zählen Schutz der Arbeitnehmerrechte, die Managementpraxis sowie soziale und ethische Kriterien der Arbeitsgestaltung.

Eine technische Beurteilung des Gebäudes war nicht Teil der Überprüfung. Dennoch hagelte es Kritik. „Wenn sich Einzelhandelsunternehmen und Markenfirmen auf eine Prüfung verlassen, die soziale Standards beachtet, nicht aber die Gebäudesicherheit, dann ist das fahrlässig“, sagt etwa Frauke Banse von der „Kampagne für Saubere Kleidung“. Aktivisten sehen in den Audits daher eher eine Art von modernem Ablasshandel. Vor allem aber zeigen die Erfahrungen beim TÜV Rheinland eines: Wer expandiert, wächst zwar. Er hat plötzlich aber auch mit Problemen zu tun, an die er bis vor kurzem wohl nicht im Traum gedacht hatte.

Caspar Dohmen
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Wirtschaftsjournalist, Buchautor und Dozent. Studierte Medizin und dann Volkswirtschaft und Politik in Köln. Klassischer journalistischer Einstieg mit einem Volontariat bei der Rheinischen Post, danach Wirtschaftsredakteur beim Wiesbadener Kurier. Schwerpunkt Wirtschaft und Finanzen seit Mitte der Neunzigerjahre, als er beim Handelsblatt als Bankenreporter arbeitete. Diverse Arbeitsaufenthalte und Stipendien in Afrika, Asien und Lateinamerika vor allem zu Themen an der Schnittstelle soziale Entwicklung und Wirtschaft. Autor des Bestsellers „Let’s make Money. Was macht die Bank mit unserem Geld?“ (2008) und „Good Bank. Das Modell der GLS Bank“.

Thomas Fromm
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Seit 2007 im Wirtschaftsressort der Süddeutschen Zeitung. Am Anfang noch zuständig für Münchner Bankhäuser und ihre Krisen (Hypo Real Estate, BayernLB), dann irgendwann zu den Autos gewechselt. Vor der SZ standen sieben Jahre bei der Financial Times Deutschland. Zuerst fünf Jahre Korrespondent in Mailand (dort zuständig für alles: Norden, Süden, Mitte; von Berlusconi über Fiat, Parmalat und Armani bis zur Scala und AC und Inter im San-Siro-Stadion . . .), danach FTD-Korrespondent in München (Schwerpunkt: Siemens). Studierte Politikwissenschaften, Geschichte und Journalistik in Eichstätt und Bellingham/Seattle.

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Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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