Mnachmal stehen die klügsten Sachen über die Politik halt im Feuilleton. So wie dieser Beitrag zur Machtlogik der Ressortvergabe unter Angela Merkel. Klug erkannt.
FAZ, MITTWOCH, 18. DEZEMBER 2013
FEUILLETON
Fünfzehn Lufthoheiten
Wer macht denn nun was im neuen Kabinett?
Vor einigen Wochen, während der Koalitionsverhandlungen, ließ sich spekulieren, wo im neuen Kabinett wohl die erwünschte Zuständigkeit für digitale Technologien angesiedelt werden würde. Mehr ironisch wurde dabei neben dem Justiz-, dem Wirtschafts-, dem Wissenschafts- und dem Arbeits- sowie dem Verteidigungs- und dem Kulturstaatsministerium auch der Verkehrsminister erwähnt – der „Datenautobahn“ halber (F.A.Z. vom 9. November). Wir hätten auch noch Google Street View und das (vom Fahrer aus gesehen) Heteromobil derselben Firma als Schnittmenge von Straßenbau und Digitalisierung nennen können – oder die Ideen, über Mauterfassung Bewegungsprofile abzuspeichern.
Doch halt! Was wir seitdem gelernt haben, ist ja nun gerade, dass man keine Scherze mit so etwas treiben soll. Denn am Ende wird doch jeder Witz wirklich. Zur Aufhübschung der CSU-Bilanz bei der Postenvergabe ist es genauso gekommen, und wir haben jetzt einen Minister für Straßen- und Datenverkehr, für Newest and Oldest Economy. Schon im Koalitionsvertrag kam gleich nach dem Plädoyer für eine leistungsfähige Schifffahrt die „digitale Infrastruktur“.
Dass von den drei Stichworten, die im Koalitionsvertrag an dieser Stelle fallen – Breitbandausbau für den ländlichen Raum, W-Lan für alle, Netzneutralität (also homogener Transport aller Daten, unabhängig vom Suchmaschinenbetreiber und vom „Provider“) – zwei primär technischer Natur und reine Finanzierungsfragen sind, ist allerdings schon unterstrichen worden. Brigitte Zypries (SPD), die neue Staatssekretärin in Sigmar Gabriels Wirtschafts-Energie-Ressort, hat sogleich und passenderweise über Twitter mitgeteilt, Dobrindt solle nur den Breitbandausbau voranbringen, die wahre Internetpolitik werde nach wie vor im Wirtschafts- und im Innenministerium gemacht.
Insofern muss man über die Kuriosität, den Verkehrsminister digital zu verzieren, gar nicht aufstöhnen. Man kann sie auch als die denkbar deutlichste Absage an ein Internetministerium und als Gründung eines Glasfaserkabelverlegungsministeriums interpretieren. Das wird Herr Dobrindt anders sehen wollen, doch Gabriels Genosse Heiko Maas (SPD) im Justizministerium, der nun zusätzlich Verbraucherschutzminister ist, freut sich bestimmt ebenfalls schon auf Gespräche mit Freund und Koalitionspartner darüber, wer an welcher Stelle des Datennetzes die Vorfahrt hat.
Solche Gespräche dürften bald über viele Themen geführt werden. Der Verbraucherschutz, der jetzt bei Justiz angesiedelt ist, lag soeben noch mitsamt dem entsprechenden Bundesamt bei Ernährung und Landwirtschaft. Der Umweltschutz hat die Stadtentwicklung und den Wohnungsbau bekommen, zur Wirtschaft wurden die erneuerbaren Energien geschlagen. Über die Energiewende dürfen sich also Gabriel und Umweltschutzministerin Barbara Hendricks (SPD), über Sozialpolitik – in der Tradition von der Leyen/Schröder – nunmehr Andrea Nahles und Manuela Schwesig (beide SPD) austauschen.
Und Ursula von der Leyen (CDU) macht bei alledem bestimmt auch gern mit. Sprach sie doch, kaum war ihre baldige Ernennung zur Verteidigungsministerin bekanntgeworden, als Erstes über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei Soldaten. Wer sie, samt ihrer Leidenschaft für die Themen anderer Minister, nur ein wenig kennt, kann sowieso nicht daran zweifeln, dass sie auch von der Hardthöhe aus die Renten, die Kindergärten und die Frauenfrage im Blick behält. Das Wort „Lufthoheit über den Kinderbetten“ (Olaf Scholz) aus der zweiten Regierungsperiode von Gerhard Schröder mag dann einst ebenfalls wie ein verfrühter Scherz wirken.
Unterstellt man, was vernünftigerweise sowieso immer unterstellt werden sollte, dass nämlich die Kanzlerin sich das alles sehr gut ausgedacht hat, dann könnte ein Sinn dieser vagabundierenden Themenfelder im divide et impera liegen: „Verteile Zuständigkeiten und herrsche“ müsste es übersetzt werden. Zuständigkeiten sind eine schöne Sache, mag sich Angela Merkel gesagt haben, darum sollte es davon so viele wie möglich geben. Das führt zu Streit, Streit ist gut, denn er integriert soziale Gebilde, man hat gemeinsame Themen, tauscht sich aus, liegt dauernd auf der Lauer, was die anderen wohl gerade vorhaben, überlegt sich ständig, wo man ihnen eins auswischen kann und wie Vergeltung möglich ist. Der Tweet von Frau Zypries macht da erst den Anfang. Es steht eine Koalition aller gegen alle in Aussicht.
Vor allem aber bewirkt Streit um Zuständigkeiten – wer geht auf die Weltklimakonferenz, wer definiert, wovor der Verbraucher im Netz geschützt werden muss, wer kümmert sich ums Urheberrecht? –, dass die Konfliktthemen nach oben steigen. Denn das ist generell der Sinn von Hierarchie: Entscheidungsblockaden nachgeordneter Instanzen aufzuheben. Auf die Frage, wer denn nun was im neuen Kabinett macht, gibt es also inhaltlich keine klare Antwort. Wäre ja auch ganz unmerkelig. Klar ist eigentlich bloß eins: Alle haben Zuständigkeiten, nur Wolfgang Schäuble hat das Geld, oder wie er es formulieren würde: hat das Geld nicht. Jürgen Kaube