Was war das für ein Wahlkampf. Nie war unter den Wählerinnen und Wählern mehr Unsicherheit als heute. Glückwunsch an den Dauerläufer Scholz. Was für eine Leistung. …. Der Rauch ist noch nicht abgezogen, doch schon jetzt ist zu erkennen:
Die CDU/CSU hat verloren.
Merke: Die Strategie der asymmetrischen Demobilisierung ist kein Erfolgsgarant, sondern eine eng mit Merkel verbundene Strategie. Man tut gut daran, politische Trends in Wellen zu interpretieren: Nach dem rotgrünen Egoshootern, Schröder, Fischer, Schily folgte die “Rauten”-Merkel. Sie hat die CDU in die Mitte gebracht und weiblicher und jünger gemacht; -allerdings auf Kosten des eigenen Profils und der Etablierung der AfD. Wenn Laschet meinte, er könne Merkel erben, hat er sich getäuscht. Die Personality “Scholz” hat viel mehr auf die Merkel-Nachfolge zugeschnitten.
Auch übrigens: Ich hätte Söder als Spitzenkandidat viel besser gefunden, er ist rhetorisch schärfer und eine inhaltlich härtere Auseinandersetzung hätte auch der Qualität der Auseinandersetzung gewonnen. Aber trotzdem, mit dem dauerhaften Querschießen hat er auch seine eigene Mehrheit abgeschossen. Man kann jeder Positionierung überziehen.
Die SPD: Zurück im Spiel.
Dank Scholz hat die SPD eine unglaubliche Aufholjagd gewonnen. Scholz hat schon zum zweiten Mal (nach Hamburg) auf eigene Rechnung Politik gemacht, hält den Ball flach; – und gewinnt. Mit Recht, wie ich meine, jetzt muss man darauf achten, wie viel Beinfreiheit die SPD ihrem “Winner” lässt. Genügt den linken Sozialdemokraten ein 12 € Mindestlohn oder wollen sie ihre Dirigismusträume ausleben.
Die Grünen sind hervorragend gestartet, waren aber für Kanzlerschaft so noch nicht aufgestellt. Die Unschärfen von Annalena Baerbock in der Biographie und beim Bücherschreiben haben das hehre Bild der Grünen HochethikerInnen in ganz kurzer Zeit zerlegt. Na ja, so richtig hat es der Wahlkampf auch nicht rausgerissen, die Reaktionen auf die Anti-Annalena-Kampagne waren doch lange Zeit sehr schwach. Aber: Annalena hat abschließend gut performt. Die Medien bescheinigten ihr die engagierteste Aufstellung. Bleibt noch die medial hochgejazzte Frage des Zerwürfnisses zwischen den beiden Spitzen. Ganz ehrlich: Die Beiden wären ziemlich bescheuert, wenn sie sich jetzt auseinanderdividieren liesen. Die Grünen sind auf einem guten Weg, zur führenden Partei der neuen Mittelschichten zu werden. Und Robert, der Erfahrung in den Verhandlungen mit der FDP und Regierungserfahrung hat, sollte jetzt wieder stärker Verantwortung übernehmen.
Die FDP hat nach einem teilweise größenwahnsinnigen Wahlkampf schnell pragmatisch aufgestellt.
Lindner hat sich im Wahlkampf offensichtlich vorrangig damit beschäftigt, sich als künftiger Finanzminister zu lancieren; -was ihn wieder mal nicht beliebter macht. Am Wahlabend gab es dann ganz andere Töne. Wenn die Grünen und die FDP sich verständigen, von den Grünen artikulierte Ziele, mehr Klimaschutz, mehr Gemeinwohl unter Bedingungen einer Marktwirtschaft, genauer, einer globalisierten Marktwirtschaft, gemeinsam mit der FDP zu reflektieren und als Konsequenz neue Wege, eine neue Reflexivität zu etablieren; – dem Machtanspruch der Politik steht ja ein von allen Bürgerinnen und Bürger sichtbares Realisierungsvermögen gegenüber; – zu langsam, zu wenig sachorientiert, zu viel Semantik statt Pragmatik. Daraus ergäbe sich eine lange Liste von Aktivitäten: Verwaltung zu modernisieren, damit sie schneller wird und ihr auch einen Eigenlauf zuzumessen.
Nicht geklappt hat es bei der FDP auf jeden Fall mit dem Projekt, die Partei weiblicher zu machen. Das Bild des Vorstands am Wahlabends: Men only! Peinlich.
Die AfD hat sich einerseits etabliert,
andererseits hat sich gezeigt, dass die etablierten Parteien, wenn Führungspersonen wie Olaf Scholz sehr entschieden auftreten und mit einem klar gesetzten Punkt, Mindestlohn, bei ihrer Kernwählerschaft signalisieren: Wir haben verstanden!
Und die öffentlich ausgetragenen Kontroversen bei der Linken haben dazu beitragen, diese unter die 5 Prozent Schwelle zu bringen. Allerdings: Die Absage an die Vergesellschaftungsfreudige LINKE steht in Berlin zumindest in hartem Konflikt zum positiv ausgegangenen Volksentscheid.
Was mir sonst noch aufgefallen ist
Fehlerkultur.
In seinem letzten Buch zitiert Robert Habeck Barack Obama mit dem Satz “What, if we where wrong”, ich übersetze das, aber was, wenn wir uns getäuscht haben”. Ulrich Beck hat dies in den Begriff “Reflexive Modernisierung” gepackt, also, etwas voran zu treiben und gleichzeitig darüber zu reflektieren, wo sich Dinge anders entwickelt haben und die dafür Verantwortlichen dafür dazu lernen. Diese Reflektionsfähigkeit, die prinzipiell bei den Grünen vorhanden ist, sollte auch aktiv und proaktiv gepflegt werden. Aus innerparteilicher Perspektive haben Robert Habeck und Annalena Baerbock diesen Prozess, freilich behutsam, vorangetrieben. Ich würde mir wünschen, dass diese Reflektion, welche Maßnahmen in einer globalisierten Welt mit sehr verteilter Goverrnance auch wirklich funktionieren, aktiver vorangetrieben werden.
Marktwirtschaft
Und, ebenfalls in diesem Zusammenhang: Die zunehmende mediale Politisierung von allem und jedem erschüttert mich. Denn es ist ja auch sichtbar, dass diese die Erwartung nicht erfüllt werden können. Deutschland ist stark, weil seine Wirtschaft stark ist. Und auch, weil die zivilgesellschaftlichen Strukturen, das Vereinswesen, eine vergleichsweise breit aufgestellte spontane Selbstorganisationskraft aus der Gesellschaft vorhanden ist. Das widerspricht der semantisch vehement vorgetragenen Gestaltungsmacht der Politik. Sich überflüssig machen, das ist eine Idee, die zu wenig verbreitet ist in den zunehmend jünger werdenden und professioneller, dh. auch auf die jeweils eigene Karriere konzentrierten Politikerinnen und Politiker.
Die CDU hat das Verständnis, gerade über die Leistungen von Marktwirtschaft in einer Phase digitaler Disruption, längst verloren, leider. Die FDP hält das Fähnchen Marktwirtschaft weiter hoch, allerdings fehlt oftmals die intellektuelle Untersetzung. Die Grünen sind in der Reflektion, was Marktwirtschaft betrifft, “Underperformer”.
Kann ja noch werden.