Dem Beitrag von Herrn Seitz gibt es nichts hinzuzufügen Außer, dass das auch für die Hilfe innerhalb Europas gilt.
Süddeutsche, Meinung, 23.07.2013
Außenansicht
Tödliche Hilfe
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Von Volker Seitz
Was hat die deutsche Entwicklungszusammenarbeit in mehr als 50 Jahren in Afrika
erreicht? Welche Wirkung hatten die Milliarden für die Menschen – und wurden
die eigenen Potenziale der Länder nicht genügend gefordert, weil einfach zu
viel Geld von außen geflossen ist? Sicher es gibt Fortschritte. Aber besser als
schlecht bedeutet nicht gut. Natürlich ist Afrika keine zusammenhängende
Einheit. Dennoch ähneln sich die Probleme der Staaten und Menschen südlich der
Sahara. Die Diskussionen innerhalb der Entwicklungspolitik umgehen allerdings
grundlegende Fragen peinlich oder schließen sie gleich kategorisch aus. Eine
Hilfe kann aber nur erfolgreich sein, wo Verwaltungs-und Rechtsstrukturen
einigermaßen gesichert sind. Einzelne Hilfsprojekte mögen sinnvoll sein. Aber
Projekte ersetzen keine Strukturen.
Zu den schärfsten Kritikern der gegenwärtigen staatlichen Entwicklungshilfe
gehören Afrikaner wie der nigerianische Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka,
der ugandische Journalist Andrew Mwenda, der Wirtschaftswissenschaftler George
Ayittey aus Ghana, sowie der südafrikanische Publizist Moeletsi Mbeki. Sie
wollen, dass ihre Länder nicht mehr abhängige Opfer und Bittsteller sind. Sie
wollen die Solidarität des reichen Nordens, als Hilfe in unverschuldeter Not.
Solidarität aber kann es nur geben, wenn beide Partner eigenverantwortlich
handeln. Im Norden will man aber nicht verstehen: Politik hat in vielen Teilen
Afrikas nichts mit Überzeugungen und Gemeinwohl, sondern alles mit
Klientelismus und schamloser Bereicherung zu tun. Politik hat dort mit der
Zugehörigkeit zu einer Ethnie zu tun, mit Identität. In Afrika ist jeder in ein
soziales Netzwerk mit all seinen Verpflichtungen eingebunden. Hilfe fließt in
Systeme, die seit Jahren nicht funktionieren und nur selten reformiert wurden.
Von Hilfe profitieren hauptsächlich die Regime, die jetzt schon für das größte
Elend die Verantwortung tragen.
Maßgebend sollte aber nicht das Bemühen der Entwicklungshelfer, sondern der
Erfolg sein. Es kann sich richtig lohnen, vom Mitleid und von steter Fürsorge
zu leben. Fragen nach Ursachen, weshalb Entwicklungsprojekte scheitern, sind
unbequem. Viel einfacher ist es, mehr Geld zu fordern; doch einfach Geld zu
geben, bedeutet, die Probleme zum immer höheren Preis fortzuschreiben.
Entwicklungshilfe ist ein Geschäft, von dem allein in Deutschland etwa 100 000
Menschen leben. Entwicklungshelfer im Ausland zahlen oft keine Steuern. Sie
haben ein wesentliches Interesse daran, für den Rest des Arbeitslebens in der
Entwicklungshilfe zu bleiben. Die Arbeitsplätze der Helfer hängen von der
Fortsetzung der Hilfsprojekte ab.
Wohltätigkeit besiegt nicht die Armut. Nichts ist gegen spontane Solidarität
nach verheerenden Naturkatastrophen zu sagen, nichts gegen Spenden für
Nothilfe. Aber in der Entwicklungshilfe müssen wir den Mut haben, einen einmal
eingeschlagenen Weg als falsch zu erkennen und umzukehren. Der Weg der
Entwicklungshilfe war für viele Länder in Afrika falsch, vielleicht nicht
generell, aber sie hat nicht das bewirkt, was beabsichtigt war. Meines
Erachtens ist Ermutigung und Stützung der Eigenverantwortung das beste Rezept,
um bescheidenen Wohlstand zu schaffen. Die Betreffenden müssen es allerdings
auch wollen. Afrika wird erst dann ein Hoffnungskontinent, wenn es ernsthafte
wirtschaftliche Reformen, eine Öffnung der innerafrikanischen Märkte, bessere
Investitionsgesetze, Verbesserungen im Bildungs- und Gesundheitssystem und vor
allem keine Eliten mehr gibt, die das Volksvermögen rauben und ins Ausland
transferieren.
Ein Gutteil der Entwicklungshilfe, die wir in der Vergangenheit in Afrika an
den Mann zu bringen versucht haben, hat nicht den gewünschten Effekt erzielt,
weil sie die Menschen in Afrika in ihrer Unselbständigkeit bestärkt haben. Das
System der Hilfe ächzt hinten und vorne, aber es wird gegen jede Kritik
abgedichtet. Die Betreuungsindustrie hat die Tendenz, den Afrikanern
vorschreiben zu wollen, wie sie zu leben haben. Der weitverbreitete
Paternalismus, die Neigung, besser als der Betroffene zu wissen, was gut für
ihn ist, entmündigt die Menschen. Warum wird den Afrikanern immer wieder
eingeredet, dass sie ihre Probleme nicht selbst lösen könnten?
Erst wenn wir nicht mehr das Wunschbild verbreiten, dass sich Entwicklung von
außen steuern lässt, wird sich etwas ändern. Es gibt keine überzeugenden
Argumente für immer mehr Hilfe, wenn die Impulse für Entwicklung nicht aus dem
Land selbst kommen. Regieren in vielen Ländern Afrikas ist ein ständiges
Improvisieren und Durchwursteln. Heute schaffen diese Eliten durch Nichtstun
etwa in der Landwirtschaftspolitik erst die Probleme, zu deren Lösung sie
danach die westlichen Steuerzahler auffordern.
Entwicklungshilfe, ob sie nun den Empfängern nutzt oder nicht, ist leider
positiv besetzt, sodass die Verantwortlichen ganz offensichtlich nicht bereit
sind, etwas zu unternehmen. Das Afrikabild wird immer mehr von den sich selbst
erhaltenden Hilfswerken geprägt.
Mehr als je zuvor wäre es dringend nötig, die gesamte Entwicklungshilfe auf
den Prüfstand zu stellen, doch sollte man das endlich ideologiefrei,
unvoreingenommen und ohne politische Vorgaben wirklich unabhängigen Fachleuten
überlassen. Man würde dann vielleicht merken, dass Entwicklungshelfer in der
Vergangenheit den Afrikanern die Fähigkeit zum eigenen Engagement abgewöhnt
haben.
Afrika braucht starke Persönlichkeiten mit Selbstbewusstsein und dem Willen
zu handeln. An erster Stelle sollten eigene Ideen und nicht die Fremdförderung
stehen. Hilfe sollten nur noch Länder bekommen, die sich nachweislich
anstrengen, ihre Schwierigkeiten selbst zu beseitigen. Wir sollten endlich
umdenken und künftig nur noch dort Hilfe leisten, wo sich Regierungen ihren
Bevölkerungen verpflichtet fühlen und wo Förderung der Bildung und Ausbildung
absoluten Vorrang hat. Dann sollten Wege für zeitlich begrenzte Hilfen
beschritten werden.
Wann hören wir endlich auf Afrikaner wie den südafrikanischen
Wirtschaftswissenschaftler Themba Sono? Er sagt: „Die afrikanischen Länder
haben bisher stets eine Politik der Sammelbüchse betrieben und immer nur
gebettelt: mehr Hilfe, mehr Hilfe, mehr Hilfe. Genau das muss sich ändern, kann
sich aber nicht ändern, solange die großen Länder selbst die Bedeutung der
Entwicklungshilfe betonen.“ Und wir müssen uns eines Tages fragen lassen, warum
wir wider besseres Wissen die korrupten alten Männer, die teils jahrzehntelang
Macht und Kontrolle über die Bevölkerungen hatten, so lange unterstützt haben.