Europa. Politik. Und was im Alltag draus wird.

Jucket baut sich seine Kommission. Es scheint ja nicht das Schlechteste, dass ein erfahrener Mann jetzt an der Spitze steht, einer, der nichts mehr zu verlieren hat. Aber wenn man die Berichterstattung über die Bildung der Kommission liest, stellt man fest: Es ist eine quasi große Koalition. Legitimation? Fehlanzeige. Aber man kann ja trotzdem spekulieren, was dabei rauskommen könnte.

1) Es spielt keine Rolle, was die Wähler gewählt haben, sie haben eine große Koalition erhalten.
2) Die Agenda dieser großen Koalition: Mehr Macht für Brüssel, mehr Macht für das europäische Parlament.
3) Mehr Macht heißt in politischen Kreisen vor allem „mehr Macht, Geld auszugeben.“ Oder vielmehr, die Macht dazu zu nutzen, sich Geldquellen zu erschließen. Denn anders kann man andere nicht von sich abhängig machen.
4) Wenn man aber so ließt, könnte es doch anders sein. Es könnte sein, dass insbesondere osteuropäische Länder dem Lotterleben der westeuropäischen Staaten nicht mehr so einfach zusehen. die Skandinavier auch. Dann würden sich die osteuropäischen Aufsteigerstaaten als Modernisierer etablieren und die westeuropäischen „Weiter So“ Länder gemeinsam mit Deutschland und den Skandinaviern in die Zange nehmen. In Richtung mehr Wettbewerbsfähigkeit und gleichzeitig eine Flexibilisierung, die der jungen Generation wieder Zukunftchancen gibt.
5) Wenn Juncker und seine Mannschaft gut ist, gelingt es, eine realistische gemeinsame europäische Perspektive zu schmieden; aber nur, wenn sich die Kommissare von ihren nationalen Interessen frei machen und nicht das vordergründige „Gibst du mir, gebe ich Dir“ spielen, sondern darüber streiten, was eine Vorwärtsperspektive ist, die die Interessen der Beteiligten berücksichtigt, aber gleichzeitig Europa und seine Länder besser, wettbewerbsfähiger macht.

Und dieser Artikel hat mich darauf gebracht:

Die Zeit 42/2014

Kriegen die das hin?

Mit 300 Milliarden Euro soll die Wirtschaft in Europa angekurbelt werden. Vier ziemlich konservative Männer wachen darüber

VON MATTHIAS KRUPA

Mehr als zwei Stunden sitzt der Mann, der Währungskommissar werden möchte, nun schon dort vorn an dem kleinen Tisch. Neben sich, noch immer fein säuberlich sortiert, die Unterlagen, die ihm seine Mitarbeiter vorbereitet haben. Ein blassgrüner Ordner für jedes Dossier. Pierre Moscovici würde gern einen aufgeräumten Eindruck vermitteln, aber die Ordner helfen ihm jetzt wenig. Das Wort hat der Abgeordnete Siegfried Mureșan.

»Wir können Ihre Zeit als Finanzminister nicht vergessen«, hebt der junge, konservative Rumäne an, in scharfem Ton fährt er fort: Moscovici habe in Frankreich die Arbeitslosigkeit erhöht, die Schulden vermehrt, die Wettbewerbsfähigkeit geschwächt. Wie wolle er nun Europas Wirtschaft voranbringen? Mit welcher Glaubwürdigkeit wolle er als EU-Kommissar über die Einhaltung des Stabilitätspakts wachen?

Moscovici atmet kurz durch. Dann wiederholt er, was er in den vergangenen zwei Stunden, in denen ihn die Abgeordneten des Europäischen Parlaments befragt haben, immer wieder gesagt hat. Mal mehr, mal weniger geduldig. Dass er das französische Defizit nicht erhöht, sondern verringert habe. Dass er als Minister keine Entscheidung getroffen habe, die nicht mit den Partnern in der EU abgesprochen sei. Dass er trotzdem gern mehr erreicht hätte. Dass er zwar Franzose und Sozialdemokrat sei und »beides mit Stolz«, er aber als Kommissar »nicht der Botschafter eines Landes oder einer Partei« sei. Und schließlich, dass er alle Länder gleich behandeln werde, egal ob groß oder klein.

Frühestens im November kann die neue EU-Kommission ihr Amt antreten, dann endet in Brüssel eine lange Phase des Übergangs. Vorher muss das Europaparlament den Vorschlägen des künftigen Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker zustimmen. Einer nach dem anderen haben sich die Kandidaten in den vergangenen Tagen vor den zuständigen Ausschüssen des Parlaments vorgestellt – eine demokratische Übung, die es in Deutschland so nicht gibt. Und ein erster, ernster Test für die neuen Kommissare. Am Dienstagabend, bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe, stand noch nicht fest, ob das Europaparlament alle Kandidaten bestätigen würde.

Moscovici soll in der neuen Kommission eine Schlüsselrolle spielen. Der Franzose wird nicht nur an zentraler Stelle mit entscheiden, wie die EU künftig mit Ländern umgeht, die noch immer zu viele Schulden machen. Moscovici ist als einer von vier Kommissaren vorgesehen, die in den kommenden fünf Jahren die Wirtschaftspolitik der EU prägen sollen. Zu dem Team gehören außerdem Valdis Dombrovskis aus Lettland, der Finne Jyrki Katainen und Jonathan Hill, ein britischer Lord. Gemeinsam mit Juncker müssen die vier eine Antwort auf die wichtigste Frage geben, die die europäische Politik – neben der Auseinandersetzung um die Ukraine – beschäftigt: Wie kann die EU Wachstum und Arbeit fördern und die Krise, die längst nicht vorüber ist, endlich hinter sich lassen?

Wir sind das Europa der letzten Chance, sagt Moscovici bei seiner Anhörung. Pathos kann er. Der Franzose war schon vor zwanzig Jahren Europaabgeordneter, später Minister für europäische Angelegenheiten. Er ist mit 57 Jahren nicht nur der älteste, sondern in Brüsseler Angelegenheiten auch der erfahrenste der vier Wirtschaftskommissare. Sein Bekenntnis zur europäischen Integration steht außer Frage. Nur war der Sozialist eben bis zum Frühjahr in Paris Finanzminister.

In dieser Zeit hat Moscovici das Staatsdefizit zwar reduziert, aber die Dreiprozentmarke, die der europäische Stabilitätspakt vorsieht, weit verfehlt. Die Bundeskanzlerin, heißt es in Berlin, hätte seine Nominierung als Währungskommissar gern verhindert – so schlecht steht es um das deutsch-französische Verhältnis (siehe Artikel links). Bei der Anhörung in Brüssel haben Moscovici jedoch nicht nur deutsche Abgeordnete attackiert.

Lettlands Kandidat soll wie Harry Potter das Wachstum herbeizaubern

Valdis Dombrovskis kommt gleichsam vom gegenüberliegenden Ende des politischen Spektrums. Auch er war einmal Finanzminister, bevor er mit 37 Jahren Premier wurde. Lettland steckte tief in der Krise, und Dombrovskis hat sein Land fünf Jahre lang mit harter Hand saniert. Für die europäischen Konservativen ist er eine Art Harry Potter, der bewiesen hat, dass sich Sparen lohnt und zu neuem Wachstum führen kann. Dombrovskis selbst weist gegenüber den Parlamentariern darauf hin, dass die lettische Wirtschaft heute »eine der am schnellsten wachsenden Wirtschaften in Europa« sei. Für europäische Sozialdemokraten und Sozialisten hingegen ist der Lette eine Art Gottseibeiuns: ein neoliberaler Hardliner, der sich wenig um soziale Belange schert.

Und ausgerechnet so einer soll in der Kommission nicht nur für den Euro zuständig sein, sondern auch für den sozialen Dialog.

Eine spanische Abgeordnete der Linken hält dem 43-Jährigen vor, Lettland sei eines der ungleichsten Länder Europas. Sie fragt ihn, ob es nicht endlich an der Zeit sei, mit dem Sparen aufzuhören. Dombrovskis verteidigt zunächst stoisch seine Bilanz. Strukturreformen und gesunde Finanzen, argumentiert er, seien die Voraussetzung für neue Arbeitsplätze. Aber die meisten Länder, fügt er hinzu, hätten »die Haushaltsanpassung hinter sich, wir müssen uns nun der Nachfrageseite widmen«.

Sparen und Investieren – das ist die simple Kompromissformel, auf die Juncker seine neue Kommission verpflichtet hat. Vorerst hält sie auch zwei ungleiche Köpfe wie Dombrovskis und Moscovici zusammen. Um ihr Amt antreten zu können, brauchen die Kommissare im Europaparlament die Stimmen von Sozialdemokraten und Konservativen.

Als eine Art Morgengabe hat Juncker ein neues Investitionspaket angekündigt. 300 Milliarden Euro will die neue Kommission in den nächsten Jahren mobilisieren. Das Paket ist Junckers Antwort auf die anhaltend schwache Konjunktur in vielen Mitgliedsländern und auf die immer drängenderen Forderungen aus dem Süden Europas. In der neuen Kommission fallen die 300 Milliarden Euro in die Zuständigkeit von Jyrki Katainen.

Dass ausgerechnet der liberalkonservative Finne – bis vor Kurzem noch Ministerpräsident seines Landes – nun für das Geldausgeben zuständig ist, entbehrt nicht der Ironie. Im Süden Europas gilt Katainen als finanzpolitischer Falke, seit er die finnische Beteiligung an den Rettungsprogrammen für Griechenland an ein Pfand geknüpft hat. Nun muss der schmächtige Finne erst einmal die Frage beantworten, woher das Geld für das Investitionspaket kommen soll. Zuletzt hatte es Meldungen gegeben, die neue Kommission wolle als Absicherung möglicherweise ungenutzte Mittel aus dem Euro-Rettungsfonds ESM abzweigen.

Katainen erläutert den Abgeordneten, dass die 300 Milliarden Euro sowohl privates als auch öffentliches Kapital einschließen sollten. Er spricht davon, dass bereits vorhandene EU-Mittel effizienter eingesetzt und privates Kapital mobilisiert werden sollten; auch die Europäische Investitionsbank (EIB) – seit einiger Zeit eine Art Wunderwaffe der europäischen Geldvermehrung – soll wieder zum Einsatz kommen. Nur wie viel frisches Geld notwendig ist und welche Art von Investitionen aus dem Paket getätigt werden sollen, diese Antworten bleibt Katainen vorerst schuldig. Er bittet um Nachsicht: In drei Monaten könne er mehr sagen, bis dahin werde das Paket stehen.

Weil die beiden Nordeuropäer Katainen und Dombrovskis Vizepräsidenten der neuen Kommission sein werden, Moscovici hingegen nur einfacher Kommissar, hieß es in Brüssel schnell, der Franzose sei lediglich »eine Scheibe Schinken in einem sehr deutschen Sandwich«. In ihren Anhörungen geben sich die drei große Mühe, Differenzen zu vermeiden. Manche Formulierungen des einen finden sich fast wortgleich in den Ausführungen des anderen wieder. Ungeachtet nationaler und ideologischer Differenzen soll die Kommission als Team auftreten – so wünscht es sich Juncker.

Daniel Gros, Wirtschaftswissenschaftler und Direktor des Brüsseler Centre for European Policy Studies, hält die Aufregung ohnehin für übertrieben. »Natürlich haben Dombrovskis und Katainen einen anderen Hintergrund als Moscovici«, sagt er, »aber alle drei schielen am Ende auf den Rat«, also auf die Mitgliedstaaten. Ein Umstand, der gerade in Deutschland oft vergessen und von der Regierung gern verschwiegen wird: Die EU-Kommission kann ihre Wirtschaftspolitik nur durchsetzen, wenn sie hierfür die Zustimmung aus den Hauptstädten gewinnt, nicht zuletzt aus Berlin. Das gilt für eine mögliche Kapitalerhöhung der EIB genauso wie für die Frage, ob etwa Frankreich und Italien für ihre Haushaltspolitik sanktioniert werden. Über die Einleitung oder Verschärfung eines Defizitverfahrens entscheiden am Ende die Finanzminister.

Und doch: Drei der vier designierten Wirtschaftskommissare stammen aus konservativen Parteien. Frauen sind an dieser wichtigen Stelle der Kommission gar nicht vertreten.

Ausgerechnet ein Brite soll künftig die Finanzmärkte regulieren

Der vierte Mann im Wirtschaftsquartett, der Brite Jonathan Hill, wird gleich zwei Mal von den Parlamentariern befragt, angeblich weil er beim ersten Mal Zweifel an seiner Unabhängigkeit nicht hatte ausräumen können. Dass ausgerechnet ein Brite künftig die europäischen Finanzmärkte regulieren soll, ist vielen Abgeordneten ein Dorn im Auge. Erschwerend aus ihrer Sicht kommt hinzu, dass Hill bis 2010 Mitinhaber einer Beratungsagentur war, die auch für britische Finanzunternehmen arbeitet. Die City of London hatte seine Nominierung freudig begrüßt.

Der 54-Jährige begegnet den Brüsseler Vorbehalten mit einer sehr britischen Mischung aus Demut, Witz und Großem-Jungen-Charme – und einem eher unbritischen Bekenntnis zur EU. Ein Abgeordneter der britischen Unabhängigkeitspartei Ukip versucht, ihn zu provozieren: Als Lord habe er einen Eid auf die Queen geschworen, nun beuge er sich vor der europäischen Flagge. »Wem dienen Sie, der Queen oder der EU?« Er habe die große Ehre gehabt, entgegnet Hill, einmal die Queen zu treffen und sich mit ihr zu unterhalten. Er sei sich daher sicher, dass diese kein Problem mit den zwei Eiden habe: »Es gibt keinen Konflikt.« Die meisten Abgeordneten applaudieren.

Zwei Anläufe braucht der Brite hingegen, um auszuführen, was es mit der sogenannten Kapitalmarktunion auf sich haben könnte – noch eine Ankündigung Junckers. Wieder geht es darum, wie insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen sichere Finanzierungsmöglichkeiten erschlossen werden können.

Ähnlich wie bei dem Investitionspaket bleiben die Einzelheiten im Dunkeln.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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