Fernsehen bildet. Zum Beispiel in Sachen Verantwortung und Moral

Ein eigentümlicher Tag gestern. Bloch hätte von der Ungleichzeitigkeit der Moderne gesprochen. Weil der Fernsehzuschauer gestern Zeuge davon werden konnte, wie sich eine Moralinstitution selbst erlegt. Und wie eine Person, die einer Moralinstitution vorstand, dieser Moral Geltung verschafft hat. Indem sie sich selbst zurück nimmt. Indem sie sichtbar macht, dass Verantwortung in erster Linie bedeutet, sich selbst Rechenschaft zu geben. Und der inneren Stimme zu folgen, was auch immer dabei heraus kommt. Vor diesem Hintergrund war der Abend beides: Der Untergang des römisch-katholischen Reiches. Und ein Wetterleuchten, was Verantwortung in unserer neuen, schnellen und unruhigen Welt bedeutet. Und welche Konsequenzen man und frau deshalb tragen können muss.

ARD, Hart, aber fair, Frank Plassberg nagelt, so sagt das die ARD, das Zölibat ans Kreuz. Eine Runde mit einem professionellen, aber eben doch begrenzten Weihbischof Jaschke, einem vordergründigen Eiferer Andreas Englisch, Bild-Reporter beim Vatikan (na, da haben sich aber zwei Moralinstanzen zusammen getan), Heiner Geissler, Bascha Mika. Und Norbert Denef, der als Kind von katholischen Würdenträgern mißbraucht wurde. Ein tragischer Fall, gerade, wenn man die Vorgänge Revue passieren lässt. Angebotenes Schweigegeld, Bedauern über den Rückzug des Schweigegeldes, Einschaltung Drittter, die Fragen und Botschaften an den Sender übermitteln. Man sieht, die Moralinstanz Kirche ist der älteste Machtapperat der Welt. Und man sieht, trotz aller Bemühungen von Jaschke, dass der Machtapperat Katholische Kirche reagiert wie ein Apperat: Relativieren, Appellieren (im Hintergrund manipulieren), um weiterhin die alten Fassaden in den neuen Theaterraum Fernsehen zu schieben.

Es ist zu fragen: Was macht Moral, Ethik und angemessenes Vorgehen aus? Ich will jetzt nicht darüber reflektieren, ob das Zölibat eine der Zeit angemessene Institution ist. Das muss die katholische Kirche mit sich selbst ausmachen. Etwas hilflos und defensiv wirkt es schon, wie der Weihbischof zugesteht, dass es Sexualität gibt und auch er „so seine Probleme hat“. Aber, und hier kommt der Rettungsanker der Relativierung, die haben doch alle. Verschlossen bewegt sich der Panzer katholische Kirche im Rückwärtsgang.

Insgesamt war die Sendung eine sehr interessante Konstruktion. Betroffen kann einen der Fall von Herrn Denef machen, der den Irrweg (im Sinne von irritierten Weg) eines Menschen auf der Suche nach sich selbst beschrieben hat. Und der dann lediglich als Aufhänger der allseits beliebten Diskussion über die Frage des Zölibats gedient hat. Da haben die säkularen Kritiker des Systems dann wieder alle ihre Meinungen und Vorurteile reproduzieren können, die sie ohnehin pflegen. Die Frage ist: Haben Nichtkatoliken das Recht, darüber zu urteilen, ob Zölibat angemessen oder nicht ist? Ich glaube nicht. Meiner Meinung nach ist es nicht angemessen für Nichtkatoliken, diese Frage zu beantworten. Angemessen ist aber die Frage, ob das Vorgehen der Amtskirche der Schwere der Verbrechen, den eigenen und den gesellsellschaftlichen Maßstäben genügt. Und da kann man eindeutig sagen, das tut sie nicht.

Eine Amtkirche, die die Vorgänge verschleiert, verbirgt, fragwürdige Argumente (Täterschutz!!!) vorbringt, das Ganze damit bemäntelt, dass man die Menschen schützen müsse und doch nur darauf aus ist, sich als Machtapperat zu schützen (und seitens der Kirche ist gestern kein Argument gefallen, das mich überzeugt hätte) und die Sonderstellung zu erhalten.

Politisch praktisch bedeutet das für mich, dass die Katholische Kirche die Frage des Zölibats selber beantworten muss. Aber politisch vorrangig ist jetzt die Frage, dass eine Institution, die sich als „höher moralisch“ definiert und vor diesem Hintergrund einen Ausnahmetatbestand, ein anderes Rechtssystem erhalten konnte, jedes Recht verloren hat, auf diese Sonderrechte zu pochen. Fakt ist: Das Moralsystem Kirche hat moralisch versagt. Es tut dies seit Jahrhunderten. Und deshalb sind die der Kirche eingeräumten Sonderrechte, ohnehin ein deutsches Phänomen, sofort aufzukündigen. Weil die Gesellschaft als Ganzes inzwischen, basierend auf dem Rechtssystem, ein höherrangiges und, wie wir erkennen müssen, auch höherwertiges Moralsystem etabliert hat.

Es wäre fruchtbar, wenn die Staatsanwälte hier eine vorbehaltlose Untersuchung vornehmen könnten. (Leuthäuser-Schnarrenberger, übernehmen Sie!) Es wäre gut und gesund für die Kirche. Und es würde der Kirche eine offene Diskussion über ihre eigene Verantwortung ermöglichen. Weil die Tatsachen dann endlich auf dem Tisch liegen. Unter den Talaren der Muff von tausend Jahren, Luhmann würde sagen, die Interpenetration der gesellschaftlichen Subsysteme könnte hier zu einer Anpassungsleistung der Moralinstanz Katholische Kirche führen. Damit sie überhaupt im Wettbewerb bleiben kann.

Was Lutheranisch meint. Und Käßmann macht.

Ins Fernsehen gesehen habe ich eigentlich nur, um mir die Begründung und den Auftritt Margot Käßmanns anzusehen. Den Tag über schon hat mich beschäftigt, wie sie wohl diese Frage angehen wird. Kein Zweifel, aus einer praktischen Perspektive könnte man das Ganze aussitzen. Die Standardempfehlung von Medien- und Krisenexperten: An die Presse gehen, das Ganze bedauern, vorbehaltlos die Schuld einräumen, sich dann zurück ziehen, eine Weile, sagen wir, drei Monate, öffentlich zurückhaltend agieren. Und dann wieder durchstarten. Soweit das gefühlte Standardrezept der sogenannten Krisenexperten (Ich muss mal bei sprengsatz nachsehen).

Was mich an Frau Käßmann dann beeindruckt hat, ist die Geradlinigkeit, mit der sie die Entscheidung getroffen – und begründet- hat. Denn den Rücktritt hat sie nicht damit begründet, was die anderen denn so reden oder denken könnten. Sondern alleine damit, dass sie sich in ihrem künftigen Handeln sich selbst gegenüber nicht mehr frei fühlt. Ich kann das nicht nur nachvollziehen; vor dem Hintergrund der katholischen Debatte des Umgangs mit Mißbrauch von Kindern durch Amtsträgern und dem Vorgehen von Frau Käßmann bei einem Fall, bei dem sie mit Alkohol im Blut Auto gefahren ist, zeigt sich schlagartig, was Verantwortung bedeutet. Und wer letztlich die letzte Instanz ist, vor der man Verantwortung abzulegen hat: Vor sich selbst.

Vor diesem Hintergrund zeigt diese Debatte, dass es Hoffnung gibt in Deutschland. Weil es noch Menschen gibt, die den Mut haben, ihr eigenes Handeln vor sich selbst zu rechtfertigen. Und die in einer Mediengesellschaft nur einen öffentlichen Führungsanspruch erheben können, wenn sie dieses persönliche Abwägen öffentlich nachvollziehbar machen. Hier verläuft der Graben zwischen den Menschen, die echte Verantwortung übernehmen. Und denen, die Verantwortung, Corporate Governance und andere institutionelle Hilfskonstruktionen vorschützen, um sich selbst nicht in die Gefahrenzonen persönlicher Verantwortung bringen zu müssen.

Die Vorgänge zeigen übrigens auch, dass Verantwortung bedeutet, ein Stückweit loslassen zu können und sein weiteres Schicksal, je nach Lesart, in Gottes Hand oder erst einmal der Unsicherheit zu überlassen.

Indem Margot Käßmann in sich gegangen ist und mit sich beraten hat, was sie vor sich selbst rechtfertigen kann, hat sie ein Vorbild gegeben. Verantwortung geht. Auch in unserer Gesellschaft. Voraussetzung ist aber, dass man ein Stück weit Ungefangenheit mit der eigenen Zukunft in Rechnung stellen muss.

Damit hat sie ein Vorbild gegeben. Und das braucht Deutschland dringend. Menschen, die es ernst meinen mit ihren Worten und Gedanken. Und die, auch wenn es schief geht, Verantwortung übernehmen.

Nachbemerkung 1: In Spiegel Online lese ich, wie der Kampfpanzer der Frauenbewegung sich äußert. Für sie, so schreibt sie, ist es falsch, dass sich Käßmann zurück zieht. Sie hätte gerne noch mehr weibliche Kampfpanzer, die durch das Gelände pflügen und weiter machen. Frau Schwarzer, so meine These, ist ein Kind der Achtundsechziger Generation. Die hat auch die Moralinstitution in sich selbst, aber Joschka Fischer, Gerhard Schröder und Alice Schwarzer (und ein paar andere, ausgenommen Tom Koenigs), die nehmen die Moralabwägung in sich selbst vor. Und haben es auf ihrem Marsch durch die Institutionen in die Talkshows dieser Welt, gelernt, dass, wo gehobelt wird, auch Späne fallen. Das war, das meine ich Ernst, eine Moral der Eroberer von draußen. Angekommen im Zentrum der Macht, verwandelt sich diese robuste Moral zu einem Gegenstand historischer Betrachtung, nicht einem aktuellen Beitrag zur Diskussion über Moral und Verantwortung. Man muss auch mal schweigen können, kann man Alice Schwarzer empfehlen.

Nachbemerkung 2: Der einzige Politiker, der meiner Wahrnehmung nach ähnlich hohe Ansprüche an sich gestellt hat, ist Cem Özdemir. Nach dem Aufkommen der Bonusmeilengeschichte hat er nicht die Peanuts-Nummer gemacht und mit Verweis auf andere das eigene Fehlverhalten relativiert. Er hat sich entschieden, die Konsequenzen seines Verhaltens zu tragen. Moral ist machbar, auch in der Politik. Sie ist kein Eigentum der katholischen und der evangelischen Kirche. Man muss sich nur trauen wollen. In Treue zu sich selbst.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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