Worum geht es eigentlich in der Diskussion, die Grüne jetzt führen müssen. Und die scheinbar um Koalitionsfragen, Zielgruppen und Lagerbildung geht.
Mir als lesendem grünen Bürger in Halbdistanz fällt folgendes auf:
1) Die Politik nimmt sich zu wichtig.
Als Wähler sieht man das doch so: Die Parteien haben sich zur Wahl gestellt, die Wähler haben gewählt, jetzt sollen sie sich halt einigen und eine Regierung bilden. Wir sind das Volk. Und sie werden dafür bezahlt. Also, ran an die Arbeit.
2) Die Parteien nehmen sich zu wichtig.
Was reden die Parteioberen von SPD und Grünen davon, dass man mit der CDU gar nicht könne. Alles Quatsch. Angela Merkel hat die CDU ganz nah an SPD und Grüne herangefahren. Redet eigentlich noch jemand von Wettbewerbsfähigkeit? Niemand, außer ein paar versprengten Randgruppen in der CDU, Mittelstandsvereinigung nennt sich die. Auch die CDU will letztlich mit staatlichen Mitteln Gerechtigkeit herstellen. Mütterrente, Krippenplätze, Infrastrukturausbau, eigentlich sind sich doch alle einig. Strittig ist nur die Mütterprämie. Aber die Richtung ist doch austauschbar. Ja, und dann ist da noch die Frage, wer soll das alles bezahlen. Die CDU sagt (noch), wir zahlen aus Bordmitteln, SPD und GRÜNE wollen sich ehrlich machen.
Und ich befürchte: Alle Parteien wollen schnell noch mehr Geld in die Verfügungsgewalt der Politik bringen, weil man gar nicht weiß, wie man sonst mit dem Thema Verschuldungsbremse umgehen will. Deswegen wird sich die CDU in klammheimlicher Freude auf mehr Steuern einlassen.
3) Die (scheinbaren) Linksparteien machen sich nicht ehrlich.
Auf einen Nenner gebrachten wollten Grüne und SPD bei dieser Wahl doch einfach mal „was fürs Volk tun“. Sie haben einem Gerechtigkeitsimpuls nachgegeben, den man gut nachvollziehen kann.
Beschreiben wir die ganze Entwicklung doch mal nüchtern: Die wachsende Ungleichheit der Welt kommt nach innen, in unsere Gesellschaft, in Person illegaler Flüchtlinge, darin, dass manche Menschen, einige aus eigenem Versagen, einige aus unverschuldeten Gründen, in Notlagen kommen. Die Ungleichheit wächst auch vor unserer Haustüre. Daran kann auch Politik nichts ändern, sie kann das nur moderieren.
Die aufstebenden Nationen und Kontinente, allen voran Asien, beginnen sich zu etablieren, für den Westen sind sie gleichermaßen Konkurrenten wie Märkte, also muss man sich mit ihnen arrangieren, vom Export westlicher Werte ist schon gar nicht mehr die Rede, es geht eher um ein Arrangement, mit dem wir uns ökonomisch behaupten können.
Aber diese tatsächliche Herausforderung wird von den Linksparteien, zunehmend auch von der CDU ausgeblendet. Stattdessen wird vor der Wahl so getan, als ob man einfach mehr umverteilen müsste, schon wäre die Welt in Ordnung. Wie viel Aufwand das macht, ob man in der derzeit offenen Lage tatsächlich die notwendigen Mittel abzweigen kann, ob die mit diesem Geld etablierten Institutionen in 15, 20 Jahren dann noch finanziert werden können, danach, man muss es schon so sagen, kräht kein Hahn.
4) Die Parteioberen versagen in Sachen Innerer Führung.
Nach außen blasen die Parteichefs ihre Backen auf, nach innen aber haben sie tatsächlich nichts zu sagen. Beispiel SPD. Die Partei hat sich in ihrer Wut so eingemauert, dass sich die Parteispitze doch gar nicht getraut, sich für eine große Koalition zu entscheiden. Sie redet von Partizipation, dabei hat sie doch nur die Hosen voll, dass ihr eine Entscheidung um die Ohren fliegen würde. Deswegen gibt es eine Mitgliederentscheidung. Man könnte das auch Führungsversagen nennen, weil es der Parteispitze nicht gelungen ist, die Partei auf ein realistisches Gesellschaftsbild und realistische Ziele zu verpflichten.
Bei den Grünen ist das ähnlich. Nur Parteitagsgänger glauben, dass man alles das, was im Wahlprogramm steht, auch so umsetzen sollte. Die Wählerinnen und Wähler haben schon mal signalisiert, dass ihren von dem ganzen Umbau-Furor ganz schwindelig wird. (Das ist jedenfalls meine Interpretation). Und zurecht. Politik sollte sich auf weniger Politik konzentrieren, das aber mal verantwortlich zu Ende bringen.
5) Schon an der Energiewende zeigt sich mehr und mehr, dass sich die Politik übernimmt. Aber dass Unternehmen in der Öffentlichkeit überhaupt keine Stimme mehr haben, fällt keinem mehr auf.
Kommen wir doch mal zu dem Projekt, an dem die Welt Deutschland misst: Die Energiewende.
Da streiten sich die Parteien jetzt darum, ob man das EEG lässt, abschwächt, eine Marktzugangsprämie einführt, damit die Umlagekosten nicht weiter in den Himmel wachsen. Einen Kapazitätsmarkt will man ohnehin einführen, damit die Lichter nicht ausgehen, wenn es dunkel wird und kein Wind weht. Erscheint eigentlich nur mir die Politik wie der berühmte Zauberlehrling, dem das Ganze über den Kopf wächst? Die großen vier Energieunternehmen hat die Kanzlerin und die EU-Kommission als „Generalunternehmer“ fröhlich zerlegt. Das kann man machen, aber man muss dann auch eine Antwort auf die Frage haben: Was nun? Wer organisiert eine neue Energieversorgung? Setzen wir einfach auf den Begriff Schwarmintelligenz? Oder rutscht jetzt die Politik in die Position, das alles regeln zu müssen?
Die Politik kann das nicht, weil sie mit der Komplexität überfordert ist. Schließlich leben wir in einer marktwirtschaftlichen Ordnung. Und die kann nicht darin bestehen, dass Politik dauernd neue Pseudomärkte schafft, wie den Kapazitätsmarkt, also Ausschreibungsmechanismen, die dann das Funktionieren eines dringend notwendigen Teilbereichs gewährleistet, aber die Gesamtdynamik der Energiewirtschaft immer stärker aus dem Auge verliert. Innovation geht weiter, neue Lösungen könnten auf den Markt kommen, aber wie rechnen sie sich, wenn mehr und mehr Preise politisch geregelt werden. Am Ende haben wir eine Energiewirtschaft, die, wie die Gesundheitswirtschaft geregelt ist, Ressourcen verschleudert und zu schwerfällig ist, um sich an die Anforderungen von morgen anzupassen.
Die Frage, die ich an die politischen Entscheider habe, lautet: Welchen Beitrag kann Politik leisten, dass eine Gesellschaft aus sich heraus, also ohne dass Politik dauernd eingreift, die Energiewende macht. Welchen Rahmen muss sie setzen? Was kann sie dafür tun, die Eingriffsdichte gering zu halten, damit sich Unternehmen wieder an Marktrealitäten orientieren können, um investieren zu können. Und nicht ständig gebannt auf neue politische Eingriffe warten, die einen hoffnungsvoll, die anderen voller Furcht, die mit einem Schlag Geschäftsmodelle außer Kraft setzen.
Auf diese Frage gibt keine der Parteien eine Antwort. Weil sich keine der Parteien mehr um ein Bild von der gesamten Gesellschaft bemüht.