La Grande Nation. Klingt gut, ist es aber nicht. Das beste Argument für den deutschen Föderalismus ist der Blick über den Rhein. Der französische Sonnenkönig, genannt Präsident, hat vor lauter Eitelkeit ein Buch schreiben lassen, das wie ein Spiegel ist. Titel: Das sollte ein Präsident nicht sagen.
Stimmt. Im Spiegel zeigt sich ein Land, in dem sich die Politik sich vor lauter prächtigen Kulissen, Geheimfonds und Geliebten (la vive franquoise; sorry, ich bin nur des Altgriechischen und Lateinischen mächtig) den Blick auf das Land, die Provinz verstellt hat. Der härteste Konkurrent des jetzigen Präsidenten, sein Vorgänger, ist ein wundersames Gegenstück dazu, selbst der Aufsteiger inszeniert sich als Rebellendarsteller mit illustriertenfähiger Gattin.
Das ist also das zweitgrösste Land Europas.
Da bin ich froh, im provinziellen Deutschland zu leben. Die Politik ist bescheiden, proviniziell, die Kanzlerin eine ganz eigene Mischung aus (kohlgelernter) Weltläufigkeit mit innenpolitischer Ignoranz. Die Kanzlerin lässt sie machen, die Jungs und Mädels von der SPD. Das kostet uns alle viel Zeit und Geld, dieses Nachkriegsbeglückungsprogramm, aber gäbe es Besseres?
Rüdiger Soldt von der FAZ hat es wieder mal bemerkt, dass auch kleine Teile der SPD wahrnehmungsfähig sind, als er gestern, 24.10. über den Parteitag der roten Schwaben geschrieben hat:
Die meisten Sozialdemokraten glauben, dass die Antwort auf die gesellschaftliche Spaltung eine bessere Sozialpolitik sein könnte. Nur Rita Schwarzelühr-Sutter, die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Bau und Umwelt, wies in ihrem Redebeitrag darauf hin, dass man die Gelder für den Wohnungsbau verdreifacht habe – ohne positive Rückmeldungen von den Bürgern zu bekommen. Dass der Rechtspopulismus auf einem grundsätzlichen Unbehagen an der politischen Klasse und der herrschenden politischen Mehrheitskultur gründet, beachten die Sozialdemokraten kaum. In der Rede der neu gewählten Landesvorsitzenden schimmert nur an einer Stelle durch, dass das Problem mit mangelnder sozialer Gerechtigkeit unzureichend beschrieben ist: „Die Leute haben etwas Grummeliges im Bauch, nur in diesem Punkt hat die AfD uns vielleicht wirklich etwas voraus.“Wie immer, klug beschrieben. Süffisanter Abschluss eines Berichtes über die Nach Schmid-SPD im Südwesten. Der kleine Nils hat wirklich nichts falsch gemacht, gut regiert, handwerklich, und darüber und wegen eines übermächtigen Ministerpräsidenten erfolgreich gescheitert. (Wie überhaupt die SPD insgesamt über eine wirklich handwerklich gute Minister verfügt).
Manchmal bewundere ich Buddisten wegen ihrer Gleichmut, Unausweichliches zu ertragen. Uns, den modernen Westlern, ist das nicht gegeben.
Ich weiss, das klingt alles etwas, zumindest, süffisant. Oder gar zynisch. Ist es aber gar nicht. Es ist nur so, dass ich, im Rausche grünnaher Politisierung erwachsen geworden, erkenne, dass die Machtlosigkeit von Politik auch was Gutes hat.
Aber nur, wenn man, wie bei uns, 16 Provinzbühnen und eine inzwischen leidlich ausgestattete Staatsoper hat. Dass also die ganz große Aufführung nicht möglich ist.
Es bleibt das Bild von Sisyphos. Weiter machen, auch wenn kein Ende in Sicht ist.
Und hoffen.
Mathematisch gesprochen ist westliches Denken wie eine Gleichung mit einer Unbekannten. Geht immer auf, man muss nur die Unbekannte bestimmen.
Was ist aber, wenn wir es mit einer Ungleichung zu tun haben? Oder mit einer Gleichung mit drei oder vier Unbekannten. Wir können dann immer sagen, wenn, dann, aber es gibt dann halt drei oder vier Optionen. Unter drei oder vier Annahmen.
So viel zur Schlichtheit menschlichen Denkens.
Der Blick auf Merkel und Winfried Kretschmann zeigt: In erster Linie wollen die Menschen repräsentiert sein. Im besten Fall werden dann Menschen nach oben gespült, die das niemals erwartet haben, Merkel und Kretschmann besipielsweise.
Wenn es solche nicht gibt (oder wenn sie sich frühzeitig verschleißen), gibt es eben mehr vom Gleichen.
Das Gute an Deutschland, diesem etwas, freilich immer weniger mürrisch werdenden Land ist, dass trotz allen Nölens und Nörgelns die Menschen einfach weiter machen. Sie erwarten nicht mehr viel von der Politik. Sie ahnen, dass Zukunft unbestimmt ist. Sie akzeptieren, dass es auch auf sie ankommt. Eine Nation der Sisyphosse.
Und Politiker? Die tüfteln weiter am idealen Drehbuch, dem perfekten Spielplan, der optimalen Inszenierung, der ganz großen Bühne.
Die kommt aber nicht. Da können sie sich auf den Provinzbühnen noch so sehr abrackern.