Freeze. Eine Momentaufnahme aus Berlin und Deutschland

Re:publica 12. Aufstieg und Landung der Piratenpartei. Frankreich vor dem Grossen „Wünsch Dir was“. Ist das noch alles konkret? Oder Thought Desert, Wüste, durch die hin und wieder ein paar Gedankenfetzen wehen, sich etwas grün zeigt, um bei Einsetzen der Gluthitze wieder zu versiegen.

Am Morgen des Tags zwei der Re:publica.

Vielleicht bin ich zu alt, vielleicht zu nüchtern. ich behaupte, man spürt, wenn was in der Luft liegt. Aber da liegt nichts mehr in der Luft.

Marcus Beckedahl spricht davon, dass die Re:Publica ihren Klassentreffencharakter abgestreift hat. Dass erstmals grosse Sponsoren eingestiegen sind, dass die Veranstalter damit beschäftigt waren, eine Location bespielbar zu machen.

Alles ok. Aber was hat das mit dem Veranstaltungsprogramm zu tun?

Eben Moglen darf noch einmal die Freiheit des Internets feiern, ein letzter Rausch, bevor die Internetgemeinde erwacht und sieht, dass es darum geht, wer, ganz kapitalistisch, sich welchen Teil vom Kuchen abschneidet.

Die Foren, in denen ich war, es ging um Open Innovation, waren alle für die Katz. Linkspolitiker, die damit beschäftig sind, das alles in ihr Weltbild einzusortieren, damit sie es verstehen. Menschen aus dem Bildungswesen, die noch hilflos deutsch sich davor fürchten, von Verlagen belangt zur werden, wenn sie Bücherscans machen.

Nicht, dass irgendjemand die Lösung hätte. Ne, die Schulbuchverlage wünschen sich gestern zurück, sie werden, wenn sie nicht begreifen, untergehen. Die Lehrer, die sich nicht befreien aus dem Gerüst ihres Alltags, um ihn bewältigen zu können, werden absaufen.

Wir sind in einem Zeitalter des Übergangs. Und, das ist es wahrscheinlich, was mich so irritiert, es hilft schon, wenn man das ausspricht.

Nichts wird so bleiben, wie es ist. Aber wie es sein wird, kann noch niemand vorhersehen.Und: Spannend ist es, wenn man sich nicht darauf verbeißt, immer das machen zu müssen, was man macht. Und wie man es macht. Und sich institutionell absichern zu müssen.

Ein paar Illusionen konnte man allerdings auch abräumen. Zum Beispiel die dauernde Kampfattitüde. Freiheit des Netzes gegen Kommerz. Dabei geht es längst darum, mit welchem der Oligopole, Google, Apple, Microsoft man wie lange gegen wen geht. Es geht also um die Ausweitung der Kampfkraft und die Definition der Kampfzone, nicht um die abstrakte Landnahme eines noch kaum erkennbaren Reiches.

Es geht um Fortschritte bei der Landnahme, um Regeln, die ausgehandelt werden in einer Welt, in der es eben keine Weltregierung gibt, sondern unterschiedliche Akteure, der zivilgesellschaftliche gehört hier dazu, die sich dann und wann zu unterschiedlichen Koalitionen zusammentun.

Sascha Lobo hat das in seinem Vortrag wohl auf ganz witzige Weise getan, frei nach dem Motto, ihr habt die Welt verändert, ich habe ein bißchen Geschäft gemacht. Insofern hat hier eine Ikone einer Bewegung eine Kurskorrektur eingeleitet, hat provoziert, um Nachdenken anzuregen. Man wird ihm folgen, jedenfalls im größeren Teil der Bewegung. Und die eingangs zitierte Äußerung von Beckdahl geht in dieselbe Richtung, nur dass er den Mainstream der Internetgemeinde noch einmal richtig schön träumen lassen wollte. Kollektiver Rausch als Geschäftsmodell.

Wer genau hinsieht, hat dann auch erkennen können, dass das Nachdenken schon begonnen hat. zum Beispiel im Forum zu Partizipation. Es geht um Begriffe, Kollaboration, Konsultation, Partizipation, wer hinhört, erkennt, dass längst die Mühen der Ebene erreicht ist. Dass nicht mehr in luftigen Höhen über Open Data diskutiert werden kann, sondern Experten eine Feinanalyse machen, was eigentlich wann funktioniert. Und erkennen, dass der Wunsch nach Teilhabe etwas anderes ist als die Praktizierung von Teilhabe.

Vor diesem Hintergrund also spielt sich das hochdramatische Bühnenstück Piraten ab. Wie kann man das in ein politisches Weltbild einsortieren? Wo muss man, wo muss ich, wo muss jeder von uns, sein politisches Weltbild umbauen?

Die Piraten sind der Auf- und Ausbruch einer Generation, die mit dem Internet großgeworden sind. Paradigmatisch sind sie das Gegenteil der Grünen, weil in Technologiefragen die GRÜNEN mit der Unwiderruflichkeit von Großtechnologien, der Atomkraft, sozialisiert wurden.

Die Piraten erleben Technologie wieder als Befreiung, als etwas, was man jederzeit wieder ändern kann, wenn man es nur will. Die darüber hinaus auch die Absage an irreversible Großtechnologien in ihre DNA integriert haben, wie auch das Grundeinkommen, und deshalb ganz irritierend ähnlich den Grünen, weil partiziativ, und anti akw, aber auch unähnlich, weil fast lustvoll gedankenlos selbstverliebt agieren.

Es ist wie die pupertäre Emanzipation von der politischen Elterngeneration, die mit ihrer Moralkeule, „für die Zukunft unserer Kinder“ schon längst genervt haben.

Und vor diesem Hintergrund erkennen wir, dass es in der Politik nicht um das rationale Verhandeln von Inhalten geht, sondern wir gerade erleben, wie sich das politische System umbaut. Die großen Volksparteien bluten, weil ihre soziokulturelle Substanz, hier christlich konservative Bestände, dort der Kampf der Fleißigen, der Werktätigen gegen „das Kapital“, die Mächtigen, schwindet und durch manchmal aufgeblasenen Pragmatismus ersetzt wird (kein deutsches Phänomen, und immer noch relativ harmlos, wie der Blick nach Frankreich zeigt).

Die GRÜNEN machen derzeit einen Rollenwandel durch. Die Frage ist, wie sie, die als Thematisierer gewählt wurden, jetzt gegenüber öffentlich auftreten und wahrgenommen werden, wo sie als Macher gefragt sind.

Momentan ist noch nicht erkennbar, ob sie diese Rollenherausforderung auch annehmen, darüber reden, was verantwortlich nachhaltige Politik ist, das auf Formeln bringen, die wie schon in den Phasen vorher, von den sie unterstützenden Sozialmilieus getragen werden und Menschen, die in kulturellen Grenzbereichen andocken können.

Es braucht eine neue, eigenständige Selbstdefinition der GRÜNEN in der neuen Rolle. Es braucht einen mit Herzblut geführten Streit darüber. Es braucht neue, kontroverse Debatten, die auch für politisch nichtaktive, aber interessierte Menschen Stoff zum Nachdenken geben.

Letztlich geht es darum, ob man an den aufgeklärten Biertischen gebannt darüber streitet, wer bei GRÜNS jetzt Recht hat. Und die Piraten deshalb an Interesse verlieren.

Es geht um politische Themenführerschaft und soziokulturelle Hegemonie.

Wenn die GRÜNEN ihre soziokulturelle Bindungswirkung neu definieren können, wird auch das Interesse an den Piraten nachlassen. Denn auf dem Piratenschiff, da bin ich mir sicher, wird jetzt ein unüberschaubares Wirrwarr von Meinungen aufkommen. Das wird schnell unappetitlich, das konnte man schon erkennen.

Kommen wir also, aus grüner Sicht, zur Tagesordnung: Was machen Grüne anders, wenn sie an der Regierung sind. Wodurch stellen sie Vertrauen her, wie ist das Vertrauen ausbalanciert, thematisch? Was sind Leitbegriffe, Wimpeln, Ikonen, Symbole, hinter denen sich das Umfeld versammeln kann. Wo treffen sich der politische Regierungsalltag mit der Symbolwelt gesellschaftlicher Identität?

Fragen, auf deren Beantwortung viele Menschen schon länger warten.

Fragen, auf die GRÜNS, ganz ehrlich, im Moment keine Antwort weiß.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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