Gerhard Schulzes Denkbaukasten – und welcher Werkzeuge sich die Politikberatung daraus bedienen kann

(Anm: Der Text wurde 2004 verfasst). Gerhard Schulze hat ein Buch geschrieben, das vor dem Hintergrund der depressiven Seelenlage der Bundesrepublik eher ironisch klingt: Die Beste aller Welten. Das Buch enthält einige wegweisende Gedanken -auch für die politische und kommunikative Fragen.

Das Buch selbst ist eher schwere Kost. Es beinhaltet aber einige Wortinstrumente, deren Gebrauch durchaus von Nutzen sein kann.

Vor allem überzeugend ist das von Schulze definierte Gegensatzpaar von Steigerung und Ankunft, in dem er den zentralen Antagonismus unserer Gesellschaft sieht. Steigerung, das ist die klassische und weitentwickelte Wachstumsphilosophie, wie wir sie alle bereits „im Schlafe“ auswendig kennen. Innovation und neue Produkte als Mittel für Wirtschaftswachstum, mehr Beschäftigung und Wohlstand, kurz das Wohlergehen der Gesellschaft. Ankunft als ihr Gegenteil, also das Leben zu leben, zu genießen, sich die bestehende Welt anzueignen, auch kulturell anzueignen.

Nun gibt es gerade in der deutschen Tradition ja eine klassische Rezeption dieser Dualität, das ist die grüne und kulturkritische Rezeption der Wachstumsgesellschaft. Darin ist (hier blenden wir allerdings die aktuelle Position der offiziellen Grünen aus) das Diktat des Wachstums die Quelle alles Bösen und in der Rückbesinnung auf traditionelle Methoden, etwa in der Heilkunde, dem Verständnis der Natur etc. liegt der Keim einer Neubesinnung.

Diese Rezeption ist ideologisch, weil jenseits der Wahrnehmung der Realität. Erkennbar ist das bereits in der aktuellen Politik der rotgrünen Koalition, in der sich die Bündnisgrünen realiter ganz liberal und vernünftig artikulieren, nur halt nicht im Sinne ihrer ideologischen Muster. Vor diesem Hintergrund erst war ein Scheitern von Andrea Fischer zu verstehen, die tatsächlich eine ganz kompetente Gesundheitspolitik konzipiert hat nur im eigenen ideologischen Lager fehlten die Voraussetzungen für die Rezeption ihrer Erfolge.

Doch zurück zu Gerhard Schulze. Für ihn ist die Dualität von Steigerung und Ankunft keine ideologische Alternative, sondern sind die beiden Pole, zwischen denen sich die gesellschaftliche Lebenswelt ausdifferenziert.

Und seine zentrale These ist, dass sich die gesellschaftliche Öffentlichkeit zu einseitig auf die „Steigerungslogik“ fokussiert und den Aspekt der Ankunft der persönlichen und privaten Rezeption überlässt.

Unsere zentrale Frage dabei ist, wie man sich in einer politischen Situation, in der sich viel ändern muss, von Schulzes Paradigma inspirieren lassen kann.

Dazu einige Thesen:

Bestehende Denk- und Lebenswelten sichtbar machen: Die kulturellen Hürden zwischen Bevölkerung und Politikern bestehen zum Teil darin, dass sich die Politiker immer nur als „darüberschwebende Antreiber“ für eine Veränderung inszenieren, nicht als Teil einer gelebten Kultur. Die Politik muss mit den Menschen nicht nur über Zukunft reden, sondern kulturell neue Erlebnisformen schaffen, in der Gemeinsamkeit erlebbar wird. Das Prinzip Selbsthilfe muss ein zentrales kulturelles Muster der Wirklichkeitsbewältigung werden. – Kann es nicht sein, dass wir in einer Phase tendenzieller Entwertung materieller Bestände darauf setzen müssen, eine Selbsthilfekultur zu entwickeln, in der sich die Menschen mit immer weniger Einkommen lernen, eine Kultur der Selbsthilfe und unter Verzicht der Selbstinszenierung durch materielle Güter aufzubauen.

Die Politik vom Olymp herunterholen. Die Politik muss ihre Rolle in der Gesellschaft entdramatisieren und endlich aufhören, so zu tun, als könne Sie für alle Bereiche Regelungen und Maßnahmen ergreifen. Stattdessen ist es besser, wenn sie oft nichts tut oder den Menschen sagt, was sie selber besser selber machen können und sollen.

Stärken ins Bewusstsein heben. Wer verändern will, muss die Voraussetzungen dafür schaffen, indem er ein Bewusstsein über die Stärken herstellt, die Deutschland hat und die Deutschen damit ermutigt, ihren Weg weiterzugehen.

In „Ungleichzeitigkeiten“ denken lernen. Zentrale Erkenntnis dabei ist, dass die Wirklichkeit komplexer ist als uns unsere ideologischen Denkmuster manchmal suggerieren. Ankommen und Steigern ist gleichzeitig notwendig und möglich, auch wenn wir es derzeit noch nicht in unseren Kopf bekommen. Jeder von uns lebt in Sphären von Ankommen und Steigerung, so dass es darum geht, das Verhältnis von beiden zu entideologisieren und statt einmaligen Grundentscheidungen pragmatische Einzelerwägungen zu favorisieren.

Für jeden Bereich gesellschaftlichen Handelns benötigen wir eine Bestandsaufnahme der Situation, in der wir uns vergegenwärtigen, was dem Bereich der Ankunft und was dem Bereich der Veränderung und des Wachstums entstammen könnte.

Lachen als politische Strategie. Veilleicht liegt die pragmatische Lösung für diese Frage in der Idee des Lachens, der Ironie und des positiven Erlebens, dh in den elementaren menschlichen Erfahrungen, die den Menschen die Kraft geben, neue Herausforderungen zu bewältigen. Dazu ein Erlebnis: Eine gute Bekannte, linke Sozialdemokratin und als solche ein Garant politisch motivierter missmutiger Lebenserfahrung wurde beruflich nach Südamerika verschlagen und lebt dort in einer gesellschaftlich aussichtslosen Situation. Sie berichtet von dort, dass ihr besonders die Lebensfreude auffällt, mit der die Menschen in ihrer Hoffnungslosigkeit leben. Und tatsächlich wirkt sie selbst auch ganz angesteckt von diesem Lebensmut und dieser Lebensfreude. Also:

Meine Hypothese: Was der politischen Öffentlichkeit derzeit fehlt, ist Aufbruchsstimmung. Die lässt sich aber nicht mit Angst und Zwangsgefühlen erreichen, sondern durch emotionale Elemente der Ankunft. Dabei stehen verschiedene Optionen zur Verfügung. Vom „mir san mir“-Gefühl der Bayern über das „Wir wollen was“, der zweiten und dritten Immigrantengeneration oder einem kollektiven Gemeinschaftserlebnis der Deutschen. In Schulze`schen Begriffen: Nur wenn wir die „Ankunftsdimension“ aufwerten, können wir das Steigerungsspiel weiter erfolgreich betreiben.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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