Man könnte es Gesellschaftsversagen nennen: „Fast jeder dritte Student möchte nach dem Abschluss im Staatsdienst arbeiten, das ist das Ergebnis einer Umfrage der Unternehmensberatung EY unter 4300 Studenten, über die diese Zeitung als Erste berichtete. Auch die Wissenschaft und die Kultur gelten als attraktive Arbeitgeber – Unternehmen aus der Privatwirtschaft nicht so sehr. Zu wenig Sicherheit, zu viel Arbeit, der Nachwuchs sehnt sich offenkundig mehr nach einem geregelten Leben als nach Abenteuer und Selbstverwirklichung“, zitiert die FAZ vom 5.7.2014 eine Studie über die Berufswünsche der jungen Hochschulabgänger.
Denjenigen, die das Versagen noch nicht erkennen, sei erläutert: Wenn eine Gesellschaft einer jungen Generation das Privileg bietet, sich bis in die Zwanziger hinein Wissen anzueignen, sich schlau zu machen und damit bessere Einkommen zu erwirtschaften, dann ist das mit der heimlichen Hoffnung verbunden, dass diese gut ausgebildete Generation künftig anpackt und die Gesellschaft leistungsfähiger macht, nach vorne bringt.
Was vorne ist
Nach vorne, auch und vor allem, im Wettkampf der Nationen um Neues, die Entdeckung von Neuem und ihrer ökonomischen Nutzung. Kreative Zerstörung als Hoffnung des Westens, in den Zeiten, in denen andere Regionen der Welt aufholen, nachmachen, aufwachen (also sich selbst stark machen, wie es ja gerade von deutschen und europäischen Weltweichzeichnern gefordert wird), der einzige Ausweg darstellt zwischen dem Anspruch des Westens, die Ressourcen der Welt zu nutzen (Imperialismus 1.0) und dem Erkenntnis, dass die anderen Regionen der Welt größer, jünger und dynamischer werden und oftmals längst darauf pfeifen, was der Westen zu sagen hat.
Warum die Sehnsucht nach Kaminfeuer falsch sein kann
In diesen Zeiten stürmischen Umbruchs, in Zeiten, in denen wir uns längst auf hoher See befinden, sehnen sich die meisten gutausgebildeten Deutschen einfach an das behagliche Kaminfeuer, zu dem Geordneten und Überschaubaren zurück.
Ökonomisch könnte man sagen, all die Gelder für Studien waren also Fehlinvestitionen. Psychologisch und soziologisch könnte man fragen, was ist eigentlich falsch gelaufen, dass es so gelaufen ist, wie es sich im Moment darstellt.
Ganz praktisch sollte man sich fragen: Was kann man tun, damit es künftig anders läuft?
Ich halte diese Sehnsucht nach Geborgenheit ja für ein durchaus verständliches Phänomen. Das hat ja schließlich jeder von uns, sofern er auf einen Restbestand vertrauter Bilder der Rückerinnerung zurückgreifen kann. (Nils Minkmar hat in der FAZ von gestern über das deutsch-französische Fußballmatch philosophiert und bei weiteren Spaziergängen durch die französische Befindlichkeit konstatiert, dass außerhalb Paris die Globalisierung eher als Belästigung der eigenen Freiheit denn als Bedrohung wahrgenommen wird. Das scheint mir ja fast gesünder, die Realität so zu verdrängen. Hauptsache, das Selbstbild bleibt heil).
Schuld sind: Die 68er und die Grünen!
Wer ist verantwortlich? Jede Entwicklung hat seine Schattenseiten. Die Phase der Politisierung der Gesellschaft, die mit 68 angefangen hat und mit der die neuen, scheinbar postmaterialistischen neuen Mittelschichten groß geworden sind, mit der auch die GRÜNEN groß geworden sind und die jetzt, die SPD hatte dieses „die Politik rettet alle und alles Phänomen“ ja bereits seit der Geburt, auch die CDU erfasst hat, ist jetzt also zum Mainstream-Paradigma der „politischen Öffentlichkeit“ geworden. In einer Art trotziger Erkenntnis stemmen sich nur FAZ (tiefgründig) und Handelsblatt (lautstark) gegen diese Phänomene.
Alle drängeln sich auf dem Sprungbrett. Aber keiner will springen
Es geht um den Blick nach außen, nach vorne, ins Unbekannte. Es geht darum, den Sprung ins Unbekannte zu wagen.
Aber da hat noch keiner Lust drauf. Alle streben nur nach Selbstoptimierung. Der Spiegel, darauf hat Niggemeier bei Sichtung des aktuellen Titelblattes „Bewegung. Strapazieren statt schonen. Wie die Gelenke gesund bleiben“ hingewiesen, ist der neue Focus. Und Spiegel Online ist die neue Bild, Hauptsache eine neue Sau wird durchs selbstverliebte politische Dorf Berlin getrieben. Als paradigmatischer Ratschlag für die jungen Hochschulabsolventen, also Bewegen statt Sesselfurzen, könnte der Titel ja durchaus Sinn machen, aber leider war er ganz wörtlich gemeint. Auch Medien streben nach Schonung oder leicht verdaubarer Erregbarkeit. Das steigert die Kaufentscheidung oder die Clickzahlen.
Wir schonen uns zu Tode! Was für eine billige Kulisse!
Der Bundespräsident immerhin redet das im Gutmenschendeutschland undenkbare. Kriege sind denkbar. Die Kreuzberger Grünen hingegen baden sich hingegen noch in etwas spätrevolutionärer Restromantik, ein paar Flüchtlinge könnten ihnen den Geruch von Weltoffenheit verleihen, wo es doch längst nach Kiezmief riecht. Es bleibt Cem Özedemir, am Cottbusser Tor mitten im Geschehen, vorbehalten, mal nachdenklich darauf hinzuweisen, dass die Flüchtlingsprobleme der Welt nicht von der Kreuzberger Grünen Bürgermeisterin gelöst werden können und hier das heimliche linksgrüne Paradigma, man muss die Welt nicht neu bauen, man muss sie nur neu interpretieren, an seine Grenzen stößt. An Grundstücksgrenzen nämlich, weil die Nachbarn diesen Selbstversuch, eine Kreuzberger Schule zur Bühne des globalen Welttheaters umzubauen, gerne unterbinden möchten.
Wenn jetzt, ich bin jetzt wieder beim Politischen, die FDP, mangels glaubwürdigem Personal das Zeitliche segnet und die CDU zur SPD light mit der Weltenretterin Frau von der Leyen an der Spitze wird, wie geht es dann weiter? Spielt die Politik weiter ihr selbstreferentielles Spiel, bei dem drei Jahre lang alle mit Blick auf satte Parlamentspensionen (oder gar als parlamentarische Staatssekretäre) miteinander kuscheln um dann ein Jahr lang schöne Ritterspiele miteinander aufzuführen? Dann geht nichts voran. Oder besser, dank einer völlig unpolitischen Kanzlerin mit nüchtern-sachlichem Abwägungsblick und einem eiskalt rationalen Finanzminister, der das Wort „Ordnungspolitik“ wenigstens noch buchstabieren kann, bevor er sich wieder ins Unvermeidliche begibt, vermeidet Deutschland den Fehler, das Illusionstheater, das Politik in jedem der zumindest westeuropäischen Ländern aufführt (Deutschland) oder wieder aufführen möchte (Frankreich, Italien, Spanien), auch noch auf der europäischen Bühne zuzulassen.
Warum redet da keiner drüber? Warum gibt es keine Feuilletons (die FAZ mal ausgenommen), in denen man sich vom Neuen besoffen redet, manchmal über das Ziel hinausschießt, aber in die richtige Richtung blickt?
Spaß am Neuen!
Warum gibt keiner denen, die Spaß an dem Neuen, am Unerforschten haben, die es lockt, dass morgen ganz anders als heute sein wird, auch wenn sie die Risiken aufzählen können, die trotzdem angefixt sind und das selber ausloten wollen, warum bietet denen niemand eine Bühne?
Nein, auch der BDI hält mit berechenbarer Parteilichkeit an seinen Positionen fest. Auch die INSM. Schwarz oder weiß, gut oder böse. Das könnte jede Algorithmusmaschine besser und billiger, was die Beamtenapperate des Industrielobbyismus produzieren. Lust auf Neues? Sieht anders aus!
Das Gute kommt oft unverhofft
Die Gute Nachricht: Es gibt sie noch, diejenigen, die nicht studiert haben, diejenigen, die ihr Heil nicht darin suchen, die Welt neu zu interpretieren, die Bürgerinnen und Bürger still zu stellen, indem sie von Partizipation reden und damit die letzten vorverrenteten altachtundsechziger Ingenieure dazu bringen, auch jedes technische Großprojekt zu Fall zu bringen. So wird Partizipation zur Querulanz, die Opposition der linksbürgerlichen Mitte Opposition zu sich selbst, während die anderen, ihre Alltagsbahnen ziehen.
Es gibt sich noch, aufgrund der Brüche. Da sind einmal die neuen unsichtbaren Migranten, unsere Ossis, die sich querstellen wie unser Bundespräsident oder quer funktionieren, wie unsere Bundeskanzlerin, indem sie, letztere, westdeutsche geronnene Machtroutine einfach nicht wahrgenommen und beseitigt hat. Es gibt sie in eben vielen ostdeutschen Familien, die, wenn sie die Botschaft, dass nichts mehr ist wie es war, verstanden haben, ihr Bündel gepackt haben und einfach das gemacht haben, was notwendig war, um auch künftig ihre Brötchen oder ihr Schwarzbrot zu verdienen. Und es gibt sie auch, diese Gott und Allah sei dank, Politdeutschland fremden Migranten der ersten Generation, die Unternehmen auf die Beine gestellt haben, ohne dass jemand darüber geredet hat, zumindest nicht auf der politischen Bühne, oder ihre Nachkommen, bei denen sich jeder und jede ihren eigenen Weg bahnt. Zwischen Schlampe und Kopftuchträgerin, doppelter und dreifach promovierter Hochschulabsolventin, die hybriden weiblichen Assoziationsflächen, manchmal auch ausschnitts- oder phasenweise genommen, oder, männlich, als tiefergelegter Neuköllner BMW Fahrer mit Drogenkarriere, dem Hang zum schnellen Geld und Knastkarriere und dem fleißigen und erfolgreichen Jungunternehmer, als Softwareunternehmer, Unternehmensberater, Wissenschaftler etc, etc.
Es gibt sie auch noch unter den „normalen“ West- und Restdeutschen. Sie sind nur nicht sichtbar. Weil, getreu der Offenbarung, nein, nicht des Johannes, sondern des konservativen Soziologen Helmut Schelsky aus dem Jahre 1975 „Die Arbeit tun die Anderen. Klassenkampf und die Priesterherrschaft der Intellektuellen“ künftig, das heißt jetzt, diejenigen die Macht über die Köpfe haben, die nichts tun, sondern denen, die etwas tun, sagen, ob das, was sie tun, gut ist oder eben nicht.
So geht Herrschaft
Bourdieux hat für die Bewertung von Macht denn auch drei Kategorien von Kapital eingeführt: Ökonomisches, soziales und kulturelles Kapital. Das kulturelle Kapital, so scheint es derzeit, hat die politische Macht erobert. Und noch sehen diejenigen, die ihnen die Ressourcen dafür zur Verfügung stellen, dabei zu. Es ist nicht erfreulich, in diesem Bereich von disruptiver Zerstörung zu sprechen, wir Deutschen wissen, dass auch der Lähmung der Weimarer Zeit auch die wilde, menschenfeindliche und tödliche Kraft des Nationalismus erwuchs. Ja, die Deutschen sind friedlich. Aber, nein, ich glaube nicht, dass sie weiter friedlich bleiben werden, wenn der Reichtum schwindet. Und Politik gleichzeitig Erlösung predigt.
Und so geht, vielleicht, die Herrschaft des Gestern zu Ende
Es gibt viele Menschen, die Deutschlands Reichtum erarbeiten und Tag für Tag, der eine mehr, der andere weniger, daran arbeiten, dass dafür weniger Ressourcen genutzt werden müssen oder statt fossiler regenerative Energien zur Verfügung stehen. Es gibt viele Menschen, die jeden Tag daran arbeiten, dass mehr junge Menschen mehr Bildung erhalten oder Menschen mit Problemen auch überleben können. Aber es gibt zu viele Menschen, die glauben, allen denen, die tagtäglich ihre Arbeit machen, sagen zu können, wie sie es besser machen könnten, wie es richtig ist. Ohne jemals selbst die Erfahrung gemacht zu haben.
Das ist der Geburtsfehler der Politisierung der Gesellschaft, der Geburtsfehler der Grünen. Und wie nur die CDU die Dreigliedrigkeit der Schulen beenden konnte, ist es jetzt an den Grünen, über die Grenzen der Politik zu reden.
Damit sie dem Strudel der Politikverdrossenheit fern bleiben können. Und damit diejenigen, die in Deutschland jeden Tag am Fundament Deutschlands, Europas, am Fundament des freiheitlichen Westens bauen, dies mit Selbstbewusstsein und mit dem Gefühl, gehört geworden zu sein, weiter tun können. Damit diejenigen, die ihren Irrglauben, dass sie die Welt ändern, wenn sie sie neu interpretieren, korrigieren und sich an anderen Ort en beherzt zu schaffen machen.