Gesundheit neu gedacht. Fragen an eine wettbewerbliche Gesundheitswirtschaft

Ein Gedankenexperiment. Wir fangen einfach mal andersherum an. Wir fragen nicht, wie ein Gesundheitssystem in seinem Endzustand heraus aussehen muss, sondern entwickeln die Grundideen eines anderen Gesundheitssystems aus der Kritik des Bestehenden. Ein paar Grundüberlegungen.

Was kennzeichnet unser Gesundheitssystem?

Aus besten Absichten heraus hat sich unser Gesundheitssystem in einen starren regulativ und honorartechnisch hochgeregelten Rahmen begeben, der es seinen Akteuren fast unmöglich macht, aus eigenem Antrieb heraus neue Möglichkeiten, medizinische Verfahren, technologische Möglichkeiten, demographische oder andere Entwicklungen, zu nutzen, um für die Kunden/Patienten/Versicherten bessere Lösungen zu entwickeln.

Der Gemeinsame Bundesausschuss G-BA nimmt im heutigen Gesundheitssystem eine Schlüsselstellung ein. Auf der einen Seite schafft er einheitliche Lösungen, formale Gerechtigkeit. Er wirkt aber auf der anderen Seite wie ein Flaschenhals, durch den hindurch alle Entscheidungen müssen. Selbst bei den besten, sprich, sachgerechtesten Abwägungen der G-BA Mitgliedern führt das 1) zu Verzögerungen und 2) erzwingt, das, dass Modelle und Konzepte durch viele Hände gehen, modifiziert, manchmal blockiert werden, viele, oftmals theoretische (oder standespolitische) Einwände überwinden müssen, bevor sie in die reale Welt „entlassen werden“.

Welche, gewollten oder ungewollten Folgen hat der G-BA? Er führt zu Zentralisierung, Standardisierung, Kodifizierung (Gerichtsfestigkeit). Seine Begleiter sind eine Verwissenschaftlichung des Entscheidungsverhaltens. Wir werden darüber sprechen, mit welchen Folgen das verbunden ist. Schlagwortartig behaupten wir, dass die Aufwertung des G-BA zu zeitlichen Verzögerungen, zu einer übermäßigen Berücksichtigung standespolitischer Interessen und zu vordergründiger, nicht nachhaltiger Erfüllung politischer Vorgaben führt. Alle gesundheitspolitischen Diskussionen fokussieren sich auf die ein, zwei Fragestellungen, die jweils politisch diskutiert werden. Alle, Leistungserbringer, Kostenträger, stellen sich darauf ein, für dieses Thema eine „handhabbare Lösung“ zu präsentieren. Die entsprechenden Lösungen werden dann in die Wege geleitet und oftmals widerstrebend, formal, zu langsam, umgesetzt. Eine Bilanzierung der Folgen unterbleibt dann, weil sich die Gesundheitspolitik längst anderen Themen zugewandt hat.

Und es gibt noch eine weitere Nebenfolge dieser Zentralisierung: Bewegung, Innovation, Veränderung gibt es im Gesundheitswesen nur, wenn damit kurzfristige finanzielle Incentives verbunden sind.

Das Gegenmodell:

Wer Akteuren auf „echten Märkten“ beobachtet, kann aber feststellen, dass die Leistungsfähigkeit von Marktakteuren nicht deswegen höher ist, weil sie klüger sind, sondern weil gute Akteure ihre Modelle und Geschäftsmodelle ständig optimieren, verbessern, um Unzulänglichkeiten auszumerzen, besser auf die Wünsche von Kunden/Patienten einzugehen, eigene Ressourcen einzusparen, Rücklagen zu bilden, um künftig größere Spielräume zu haben. Ja, oder um mehr Profit zu machen, das kann man letztlich als Externer nicht entscheiden, das kann nur ein guter und offener Wettbewerb begrenzen.

Marktfähige Akteure, das sind, theoretisch gesprochen, Organisationen, die groß genug sind, um qualitativ neue Lösungen zu entwickeln. Sind die Akteure zu klein, hängen sie an ihren Geschäftsmodellen fest, sind zu unflexibel, um sich neuen Entwicklungen anzupassen oder gar, neue Lösungen, Diagnose- und Therapieformen zu entwickeln.

Unsere Schlussfolgerungen:

Die Akteure müssen über die notwendigen Ressourcen und Handlungsspielräume verfügen, um die notwendigen Veränderungen vornehmen zu können.

Wie müssen, so unsere Leitfrage, die Institution beschaffen sein, um von sich aus Leistungen verbessern zu wollen, wie groß müssen sie sein, um genügend Spielraum für neue, unternehmerische Ideen zu entwickeln und genügend Rücklagen bilden zu können, um neue Konzepte, Angebote, Lösungen, Diagnose- und Handlungskonzepte entwickeln zu können.

Gesundheit ist ein komplexes Gut. Wie kann als Wettbewerb um bessere Leistungen zustandekommen, welche „heiligen Kühe“ der Gesundheitspolitik muss man dafür opfern? Die freie Arztwahl? Lässt sich Wettbewerb im Versorgungsmarkt auch vor dem Hintergrund unterschiedlicher regionaler Bedingungen denken? Im ländlichen Raum? In Stadtteilen mit Geringverdienern, mit schlechten sozialen Risiken? Kann es ein Vorteil eines entsprechenden Systems sein, dass für die jeweils dominierenden Zielgruppen, Migranten beispielsweise, spezifisch zugeschnittene Versorgungs- (aber auch Versicherungsangebote) entwickelt werden, die den Erwartungen und Bedürfnissen der jeweiligen Zielgruppe(n) eher entsprechen?

Weitere Fragen:

Wie steht es mit der Aufhebung der Grenzen zwischen ambulanten und stationärer VerVersorgung? Dem Mehrbesitzverbot von Apotheken? Und wie lässt sich das Klein-klein der Vergütungshonorierung auf verlässlichere Grundlagen stellen, damit Unternehmen kalkulieren können und ihre Ressourcen entsprechende ihren Konzepten und Ideen einsetzen können.

Und drittens wird sich die Rolle der Politik neu definieren. Politik muss wenige, aber klare Regeln entwickeln, um Wettbewerb auf Kosten der Patienten zu verhindern, Marktentwicklungen zu kanalisieren, dafür zu sorgen, dass sich Märkte in die richtige Richtung entwickeln. Sie muss im Ernstfall starkt und konfliktfähig sein, um die notwendigen Korrekturen vornehmen zu können und unberechtige Lobbyinteressen zu analysieren und zu überwinden. Und sie muss darauf verzichten, sich ständig als „Wohltäter“ zu inszenieren, stattdessen mehr als Schiedsrichter, als Regelsetzer, der die Grundlinien definiert, nicht aber in jede Entscheidung von Akteuren, auch wenn sie vordergründig falsch scheint, eingreifen will.

Tabelle: Ordnungspolitische Modelle der Gesundheitswirtschaft, Vor- und Nachteile, zu diskutierende Fragen.

Korporatistisches Steuerungsmodell (G-BA)

+ Steuerungsfähigkeit anhand direkter politischer Vorgaben
– Ein Punkt Steuerung führt zu kurzfristigen, nicht nachhaltigen Effekten
+ Einheitlichkeit in der Umsetzung
– Wachsende Bürokratisierung
– Wachsende Gutachtenflut
– Zeitverzug
– Einheitslösung statt fallbezogene oder umfeldspezifischen Lösungen
– Geringe Flexibilität

Marktmodell:

+ Einzelne Akteure entwickeln selbstständig neue Lösungen
+ Dezentralisierung von „Risiken“,Investitionen nur nach Rücklagen, automatische Risikobegrenzung
– Politik verliert „Gestaltungsanschein“, Regulierung von Rahhmenbedingungen nicht sehr politikfähig
0 Institutionelle Beschaffenheit der Akteure als Wettbewerbsvoraussetzung
0 Überführungsprobleme

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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