Ein bißchen symbolträchtige war sie schon, diese Veranstaltung. Der kulturpolitische Salon der grünen Europa-Abgeordneten Helga Trüpel diskutierte am 15.2.2010 in der Bell-Etage der Böll-Stiftung über Urheberrechte vor dem Hintergrund der digitalen Revolution. Symbolträchtig deshalb, weil die Diskussion, aus der Mauluwurfperspektive des Unrheberrechts geführt wurde, obwohl nur wenige Wochen vorher am gleichen Ort unter dem Titel „Gottes Werk und Googles Beitrag“ ein ähnlich gelagerte Diskussion statfand. Springer Lobbyist Keese mühte sich dort vergeblich, die Worthülse Leistungsschutzrecht für Verlage zu rechtfertigen, obwohl die Hülse leer war. Anyway! Um zum Kulturpolitischen Salon zurück zu kommen: Des Autors Beitrag stand im Mittelpunkt der Diskussion. Gelungen war die Veranstaltung, weil, wie oft bei Grüns, Argumente ganz unaufgeregt ausgestauscht wurden. Und Helga Trüpel macht Mut, weil sie vormacht, dass Lernen auch für Politiker ganz einfach sein kann: Indem man Experten zuhört, Argumente austauscht und das eigene Konzept, die Kultur-Flat-Rate als Globallösung verwirft, wenn man zu dem Schluss kommt, dass es nicht das hält, was scharfe Überschriften versprechen (soviel zur Differenz zu den Blaugelben).
Geladen waren neben der Gastgeberin die beiden Juristen Dr. Till Kreuzer und Dr. Gerd Hansen, daneben Tim Renner, Ex-Universal Chef, Motor FM-Gründer, Professor an der Mannheimer Pop-Akademie und, wie ich finde, Deutschlands einziger reflektierender Praktiker der digitalen Musikwirtschaft. Moderiert wurde die Veranstaltung fachkundig von Oliver Passek.
Ist die digitale Flatrate, zu der die bündnisgrüne Europafraktion ein Gutachten in Auftrag gegeben hat, eine Globalalternative zur Finanzierung einer freien Kulturarbeit? Schon aus Gründen der Höhe der Flaterate, die für eine angemessene Entgeltung der Kulturschaffenden notwendig wäre, kann das nicht sein. Alleine für die Musikflatrate, die für diese Lösung notwendig wäre, spukt eine Zahl von 9,90 € im Raum herum, falls weiter Kulturbereiche einbezogen werden würde, schätzt man, unabhängig von der Verteilungsfrage, die notwendige Gebühr weitaus höher ein.
Ich will und kann die nachfolgende Diskussion nicht im Einzelnen nachvollziehen. Kreuzer und Hansen sind in den klassischen Juristenfehler verfallen, nämlich, zu kleinteilig und juristisch in die Diskussion zu starten. So ist es nicht gelungen, aus den juristischen Impulsen ein Gesamtbild einer entsprechenden Marktdynamik zu entwickeln, die dem durchaus aufgeschlossenen, aber nicht tief im Thema stockenden Laien eine Vorstellung geben würde, wie entsprechenden Regelungen in der Praxis wirken. Und, darauf wird es in den nächsten Jahren ankommen, Szenarien zu skizzieren, wie unter den Bedingungen sich radikal verändernder Strukturen der Nutzen einer breiten Zugängigkeit mit den Interessen einer Refinanzierung von Kulturschaffenden in einen ausgewogenen und der Dynamik dieses Bereichs entsprechenden Anordnung zu bringen sind.
Tim Renner lockte die Diskutanten mit einer ganz speziellen Note: Es gebe kein Piraterieproblem, sondern nur ein falsches Geschäftsmodell. Bestehende Geschäftsmodelle wären einfach unattraktiv gegenüber dem Torrenttracker, dem Nachfolger des Napstermodells. Die von ihm skizzierte freiwillige Flatrate könnte ein Beitrag zur Finanzierung von Autoren und Künstlern sein, inwieweit und wo das Modell trägt, das macht seinen Charme aus, wollte er auch nicht abschließend festlegen. Überzeugend an der Renner’schen Argumentation finde ich zweierlei: Seine genaue Kenntnis der Verhältnisse, etwa, wenn er über Markteinbrüche in der Musikindustrie oder die Stärke des iTunes-Absatzes redet. Und sein Ansatz, „aus dem Feld“ zu argumentieren,. Renner ist einer der wenigen, die das Praxisrisiko eingehen und ein neues Geschäftsmodell auf dem Markt wirft. Und nur dadurch die Chance hat, die richtige Mischung zwischen Kundennutzen und Refinanzierungsmodellen zu finden. Pragmatisch fordert auch er die Regulierung des Marktes ein. Und verweist dabei auf den Kontrahierungszwang der Musikindustrie mit dem neu entstehenden Rundfunk. Die Rolle des Staates sei es, und damit gab er der Diskussion die entscheidende Wendung, sei es, einen Markt überhaupt entstehen zu lassen. Einem Plädoyer, dem sich die übrigen Diskutanten nach erstem Zögern anschlossen.
Um zum Aufgangspunkt zurück zu kehren. Wer die FAZ von heute (16.2.) liest, sieht sich mit einem ganz anderen Geschäftsmodell konfrontiert: Demand Media, ein Unternehmen, das im Nachgang zu Google und YouTube Mediale Angebote entwickelt: Billig, mit großem Nutzen für das Unternehmen. Und wenig Nutzen für die Autoren. Die USA sind halt immer noch das Land, in dem der Stärkste überlebt und den Schwächeren nur die Lösung bleibt, sich einen entsprechenden „Paten“ zu suchen. In der Spannweite zwischen der Abenddiskussion und dem Geschäftsmodell von Demand Media wird die digitalen Agenda definiert:Wie definiert man Regulierung in einem sich ständig ändernden Umfeld? Wie überhaupt kann der lawinenartige Gang der Dinge beeinflusst werden? Welche Rolle haben dabei Nutzer, Produzenten, Mittler und Gesetzgeber? Als Leitplanken für eine gesamtheitliche Diskussion würde ich einmal Folgendes festhalten:
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Wenn politische Entscheider Einfluss nehmen möchten, tun sie gut daran, sich eine umfassende politische Landkarte anzulegen. Sie enthält: Technologische Trends (proprietäre Plattformen, Open Source Ansätze) und Applikationen (Laptop, Netbook, Tabletts, Smartphones, Marktverhältnisse (entstehende Mono- oder Oligopole wie Apple und Google), Bündnisoptionen (Microsoft nicht vergessen; they ever come back!), Interventionsebenen (weltweite, europäische und nationale Lösungen und Blockaden; Was das EU-Parlament zum Thema Datenaustausch geschafft hat, kann es im Sinne einer Zuckerbrot und Peitsche-Strategie nochmal machen), tangierte Rechtsverhältnisse (Urheberrecht, Leistungsschutzrecht) und ihre nationalen Traditionen.
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Eine scheint mir sicher: Wer bei dieser Dyamik von Großlösungen träumt oder sich mit der Frage grundsätzlicher Rechtsfragen verzettelt, hat schon verloren. Was Not tut, ist ein Schlachtplan, der grundsätzliche und allgemeine Ziele definiert und sich sofort mit der taktischen Ebene beschäftigt. Strategien, die der politischen Ebene eine zu große Rolle zumisst, sind zum Scheitern verurteilt. Politik ist zu langsam, um in einem dyamischen, zudem aus den USA und den asiatischen Ländern dominierten Prozess mit eigenen Lösungen einzugreifen, sie sollte sich auf die Eindämmung und Richtungsgebung durch Rahmenbedingungen beschränken. Der Weg in die digitale Gesellschaft, er ist spannend. Aber der Hinweis auf Schumpeters schöpferische Zerstörung ist hier auf jeden Fall angebracht.
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Und ein Mißverständnis will ich auch aufklären: Eine neue gesellschaftliche Praxis entsteht auch, wenn die politische Welt ihr Bild noch nicht geordnet, eine Strategie noch nicht gefunden hat. Diese Lektion zu lernen und sich deshalb auf eine politische Strategie zu konzentrieren, die eine zeitnahe Zusammenführung der oben angeführten Trends vollziehen kann, scheint mir vordringlich. Praktiken sind die Treiber der Entwicklung, auch wenn sie aus der traditionalen Sicht der Dinge illegal scheinen. Und wer sie stoppen und steuern will, sollte sich bewußt sein, welche gesellschaftlichen Kosten dabei enstehen. Und dass Prozesse nur zu beeinflussen sind, wenn sie noch noch im Fluss sind.
Um zum Ausgangspunkt zurück zu kommen: Die Diskussion hat gezeigt, dass die Einzelbaustellen fachkundig bearbeitet werden. Wenn jetzt der Bundestag eine Enquetekommission einsetzen wird und die Europäische Union ihre Duftmarken in den neu entstehenden digitalen Märkten setzen will, wird es darauf ankommen, bei der jetzt einsetzenden Diskussion mit den Machern im Gespräch zu bleiben. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Und: Der Weg ist das Ziel. Weil, wenn man beim Aufbruch die richtigen Menschen mit auf die Reise genommen hat, kann man Marschbefehl und -richtung noch immer unterwegs korrigieren.