Griechenland und die Debatten des freien Westens

Manchmal zweifle ich ja, ob das Bild, was wir, der Westen, von uns selber haben, denn so stimmt. Das Bild lautet, dass Demokratie rationale Entscheidungen zulässt, indem die Konkurrenz der Parteien und die Freiheit der Presse dazu führt, dass alle Fakten auf den Tisch kommen. Zwei Faktoren werden in diesem Selbstbild vergessen: Dass, verkürzt gesprochen, die Kommentarspalten so kurz sind, dass immer, wenn es spannend würde, der Kommentar und die Debatte schon zu Ende ist. Und dann geht es nur scheinbar um rationale Auseinandersetzung. Tatsächlich geht es um Kohortenbildung. Die Menschen im freien Westen wollen, wie alle Menschen, erst einmal irgendwo dazugehören. Ein paar Beispiele sollen erläutern, welch fatale Folgen das hat.

Griechenland. Glaubt wirklich jemand, man könne sich gesundsparen?
In der Berliner Zeitung lese ich heute einen Beitrag von Stephan Kaufmann über Griechenland, Syriza und wie stark sich Deutschland mit seiner, wie er meint, sturen Haltung, isoliert.

Die Geschichte geht dann so: Es gäbe ja viele, die inzwischen einsehen, dass das Sparen in Griechenland dazu führt, dass sich das Land zu Tode spart. Vom Sparen kommt kein Aufschwung, das hätten ja inzwischen auch Obama und manch andere verstanden. Und überhaupt ist die Politik Europas eine Unterwerfung unter die Perspektive der Investoren.

Der Westen verliert zunehmend seine Reflektionfähigkeit. Weil er sich weigert, unangenehmes zu thematisieren.
Ich finde, die Debatte bewegt sich auf einem unterirdischen Niveau. Tatsächlich geht es doch um folgendes: Global betrachtet, befindet sich der Westen in einem verschärften Wettbewerb um seinen Platz auf dem Planeten. Ich lese gerade Dambiso Moyo, der Untergang des Westens, und das scheint mir die richtige Perspektive. Von außen betrachtet, skizziert sie, wie der Westen das Zocken begonnen hat. Die Finanzwirtschaft, ursprünglich ein sehr konservatives Gewerbe, hat, im Schulterschluss mit der Politik, begonnen, Wetten auf die Zukunft abzuschließen. Die Immobilienblase in den USA kann dafür als paradigmatisch gelten. Die Politik hat das durchgewinkt, es bleibt jetzt mal außer Betracht, ob bewußt oder unbewußt, weil die Subprime-Geschichte dazu führte, dass der Karren irgendwie weiter läuft, wenngleich in die falsche Richtung. Und so rückt das unmittelbare immer mehr in den Vordergrund, eine Reflektion mit etwas mehr Distanz unterbleibt.

Mit etwas Distanz müsste man nämlich darüber debattieren, was internationale Wettbewerbsfähigkeit ausmacht. Moyo ist der Auffassung, die Triebkraft von Wachstum und Wohlstand des Westens waren immer Ingenieursleistungen und technisch-wissenschaftliche Intelligenz, die Überbewertung des Finanzwesens führt hingegen zu einer Fehlsteuerung des gesamten Systems, weil sie nicht produktiv ist.

Was schafft Wohlstand?
Das ist mal eine These! Sie ist unangenehm, weil sie zeigt, dass der alt gewordene Westen mit seiner Überbetonung des symbolisch regulativen (juristisch-sozial-und-politikwissenschaftliches Wissen) dazu führt, dass niemand sich mehr, im symbolischen Sinne, die Hände schmutzig machen möchte. „Quäl Dich, Du Sau“, hat Udo Böltz Jan Ullrich zugerufen, als er drohte, schlapp zu machen. Das gilt (neben dem Doping) als der Schlüssel zum Erfolg. Aber wer ruft in unserer Wohlfühldemokratie solche Sätze? Politiker? Nee, die wollen wiedergewählt werden. Und weil alle diese Eigenlogiken des Systems kennen, kritisiert niemand mehr Politiker, wenn sie die unangenehmen Weisheiten eben nicht sagen.

Systemversagen!

Was in Griechenland Not tut
Kommen wir zu Griechenland zurück. Sparen hilft nicht. Stimmt. Und stimmt nicht, weil Sparen ja immer nur als der erste Schritt begriffen wurde, dass sich ein Land gezwungen sieht, sich in den Spiegel zu sehen und zu sagen, ok, wir haben es krachen lassen, wir haben weggeguckt, jetzt nutzt alles nicht mehr, wir müssen den Arsch hochkriegen und den Karren aus dem Dreck ziehen.

Es gibt ja leider keinen Indikator dafür, wann die Kraft groß genug ist, um den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Deswegen ist das mit dem Sparen die erste Daumenschraube, in der Europa das entsprechende Land zwingt, selbst was zu unternehmen.

Nun kann man sich nicht gesundsparen, sondern Sparen ist nur der erste Anfang, damit sich ein Land Gedanken macht, wo es besser werden muss. Abbau sinnloser Bürokratie beispielsweise, was auch nochmal Abbau von Arbeitsplätzen bedeutet. Ja, das muss sein. Oder, wenn die alten Politikerkasten dort alle korrupt waren, dann, das ist das Gute an Syriza, wird es Zeit für etwas Neues.

Wenn aber der Neue dann wieder auf die alten Rezepte, mehr Bürokraten, zurückfällt, dann ist es sinnvoll, weiterhin kein Geld zu geben.

Ein realistisches Europabild
Weil es nichts nutzt. Europa muss wettbewerbsfähiger werden, das ist keine Ideologie, sondern Realität. Es sind ja im übrigen nicht die Länder mit dem niedrigsten Lebensstandard, Osteuropa, die so über die Verhältnisse leben, sondern der alte Westen. Frankreich voran, Italien, Spanien und Portugal hinterher. Der westliche Nachkriegsschlendrian, viel Geld verpulvert für nichts und wieder nichts. Politikversagen, man muss es aussprechen. Und weil Politiker auch gewählt worden sind, ist es auch Bürgerversagen.

Europa muss man sich vorstellen wie eine Flotte, die in eine unbekannte Zukunft segelt. Die Schiffe sind neu, die Mannschaft aber noch etwas undiszipliniert. Ob die Zukunft gut wird oder nicht, hängt von zwei Faktoren ab: Stimmt das Ziel der Reise und die Richtung (Selbstbehauptung in einem offenen Kampf um Ressourcen und Wohlstand unter Wahrung des eigenen Selbstbildes). Und: Verfügen wir über eine gut ausgerüstete, hoch motivierte Mannschaft, in der sich jede Mannschaft darum kümmert, auf ihrem Schiff Höchstleistungen und Zusammenhalt herzustellen. Innere und äußere Bedingungen müssen stimmen.

Politik versucht ständig, die Menschen zu beruhigen. „Alles wird gut“ ist die Devise, die unangenehmen Wahrheiten werden weitgehend ausgeblendet. Wenn „die Wirtschaft“ etwas sagt, wird das als „Lobbyismus“ gegeißelt. Und das ist tabuisiert. „Die Wirtschaft“ ist ohnehin eine Schimäre, es gibt ganz unterschiedliche Interessen innerhalb der Unternehmens- und Unternehmerwelt, aber keine der Parteien greift das wirklich auf.

Man kann jeden Lobbyisten dafür kritisieren, was er lobbyiert, aber gegen den Wohlfühl- und Illusionszirkus, den Politik derzeit inszeniert, ist das die pure Wahrheit. Man sollte sich mal trauen, so etwas auszusprechen.

Und eine Angela Merkel wird von vielen Menschen auch deswegen als bessere Alternative empfunden, weil sie ihre Arbeit macht, seriös, zurückhaltend und nicht, wie Herr Gabriel, dauernd eine neue Sau durchs Dorf treibt, damit er mit dem Finger auf sie zeigen kann mit der Bemerkung, ich hab was, ich hab was. Die Menschen glauben immer weniger, dass Politik sie retten kann. Sie spüren ihren Alltag, vergleichen das mit den Politikerreden, dem schöner, besser, smarter und fühlen intuitiv den GAP dazwischen.

Doch darüber redet man nicht. Man empört sich über das Klein-Klein auf der Bühne.

Was in Deutschland, in Europa fehlt, ist eine selbstbewusste Macherhaltung. Wir haben gute Chancen, aber nur, wenn wir sie gemeinsam nutzen, werden aus Chancen Realitäten.

Und: Nein, Zukunft ist zu komplex, als dass sie Politiker ausbuchstabieren könnten. Was nicht heißt, dass die Richtung nicht erkennbar ist.

Also, auf geht’s!

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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