Wie ich als Grünes Mitglied die Lage sehe.
Der Absturz von Bündnis 90/DIE GRÜNEN vom Hoffnungsträger zum Sündenbock der Gesellschaft ist weitgehend selbstverschuldet. Er hat seine Ursache darin, wie Grüne Gesellschaft wahrnehmen und über sie reden. Die Rede von der Transformation der Gesellschaft macht sie, und damit die Bürgerinnen und Bürger zum Objekt. Grüne verstehen die Rolle von Politikern und Parteien falsch.
Winfried Kretschmann hat darauf hingewiesen. Es fehlt an der Bereitschaft, mit der Gesellschaft auf Augenhöhe in Austausch zu gehen. Die Situation erinnert an den Bundestagswahlkampf 1990, als es die Grünen mit der Parole “Alle reden von Deutschland, wir reden vom Wetter” schon einmal geschafft haben, sich als besserwisserisch, abgehoben und nicht realitätsfähig ins Aus zu katapultieren.
In dieser Verfassung ist die Ampelregierung ein Booster für den Aufstieg der AfD und des BSW
Kanzler Scholz hat mit der “Zeitenwende” den richtigen Begriff geprägt. Allerdings hat die Ampel daraus nicht die richtigen Schlußfolgerungen gezogen.
Das Votum der Bürgerinnen und Bürger lautet: Wir sind in Sorge über die Veränderung des öffentlichen Raumes durch eine weitgehend ungesteuerte Zuwanderung, wir vermissen die Bereitschaft, sich mit der notwendigen Entschiedenheit mit diesen Fragen auseinander zu setzen. Wir erleben vor Ort eine Überforderung der kommunalen Ebene. Und deswegen misstrauen wir einer Politik, die sich selbst nach dieser kollektiven Wahlniederlage weigert, sichtbare Konsequenzen zu ziehen.
Die Berufung auf die vor der Zeitenwende vereinbarte Koalitionsvereinbarung stellt für mich den Versuch dar, die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger zu ignorieren und die Ampel weiter von der Gesellschaft zu isolieren. In dieser Verfassung ist die Ampelregierung ein Booster für den Aufstieg der AfD und des BSW. Daran werden auch weitere Demonstrationen “gegen rechts” nicht nutzen.
Gefragt ist eine pragmatische Einigung auf Kernfragen und eine entsprechend gebündelte Aufmerksamkeit, sie zu lösen
Die Spitze der Koalition, Kanzler Scholz, Vize Habeck und Finanzminister Lindner sollten jetzt echte Führung wagen und die Kakophonie innerhalb der Ampel beenden.
Gefragt sind Antworten auf die Frage, in welchem Verhältnis Flucht und Migration, Selbstbehauptung des Westens, Weiterführung einer wirksamen Klimapolitik und die Wiedergewinnung des dafür notwendigen Wirtschaftswachstums zueinander stehen und was die Ampelregierung in der noch verbleibenden Zeit dafür zu tun gedenkt. Sie sollte also nicht weiter Glaubensbekenntnisse aneinanderreihen, sondern sich auf Kernfragen einigen und diese mit entsprechend gebündelter Aufmerksamkeit tatsächlich zu lösen.
Unsere Abgeordneten sollten sich nicht länger in internen Runden der gegenseitigen Unterstützung versichern, sondern sich in ihre Wahlkreise begeben und sich dem Zorn, Unmut und der Enttäuschung über das “Nichtgehörtwerdens” zu stellen. Abgeordnete sollten sich bewusst sein, daß sie dem Wohl des Ganzen Volkes, nicht dem der Partei oder gar ihrer parteiinternen Strömung verantwortlich sind.
Falls das nicht gelingt, steht ein Ausstieg aus dieser Koalition kakophonischer Vielstimmigkeit auf der Tagesordnung. Denn noch ein Jahr ertrage ich das nicht. Ich vermute, viele andere auch nicht.
Deutschland, seine Bürgerinnen und Bürger haben eine Regierung verdient, die sagt, was sie tut. Und tut, was sie sagt!