Ein gutes Jahr. Das erste Jahr der grünroten Regierung in Baden-Württemberg. Warum? Alles der Reihe nach.
Zum Ersten: Keine handwerklichen Fehler. Demut im Amt, vorgelebt durch den Ministerpräsidenten. Und Demut fördert Aufmerksamkeit in der Sache. Das hat dem Ganzen gut getan. Der Kommentar der FAZ vom 12.5. spricht Bände. Sie bescheinigt Grünrot Fehlerfreiheit im ersten Jahr. Handwerkliche Leistung zählt wieder.
Zum Zweiten: Die Regierung erfreut sich großer Zustimmung. Warum? Kritiker meinen, weil sich sowieso nichts ändert. Das ist aber nicht richtig. Versuchen wir es so: Weil die Regierung nicht dauernd tut, als könne sie die Welt retten. Im Alleingang. Das kann sie nicht. Und weil sie so agiert, wie es ihrer Macht entspricht Nämlich, sie kann hin und wieder was ändern, aber letztlich war die große Leistung im ersten Schritt, ganz nüchtern und volksnah darüber zu reden, was ansteht und was nicht. Beispielsweise im Straßenbau. Zwar banal, aber erst mal sagen, was ohnehin nicht kommt, weil niemand Geld dafür hat, dazu bräuchte es eigentlich keine grünrote Regierung. Theoretisch. Praktisch aber schon.
Zum Dritten: Vielleicht kann man ja auch aus Fehlern lernen. Beispielsweise die versuchte Schlecker Rettung. Ja, eine Pleite ist tragisch für jeden einzelnen Mitarbeiter, jede Mitarbeiterin. Aber mal im Ernst: Schlecker Mitarbeiterinnen arbeiten im ganzen Land, verstreut. Der Arbeitsmarkt ist gut. Wir haben eine Bundesagentur für Arbeit, die genau dafür da ist, sich um Menschen ohne Arbeit zu kümmern. Aber was mach die Politik? Ein großes Rettungsszenario inszenieren, das medienträchtig retten soll. Da ist es wieder, der mediale Allmachtsinszenierungswahn der Politik, ein weit um sich greifender Virus. Bei jeder Partei.
Wie weiter? Nach dem Jahr ist vor dem Jahr. Was sind die nächsten Schritte? Na ja, grüne Politik muss, wie jede Politik, die was ändern und nicht nur wiedergewählt werden will, darüber nachdenken, wie es gelingt, Politik besser zu machen. Grüne Politik muss sich auf der einen Seite der Piratenkonkurrenz stellen, die frischfreifröhlich „wünsch dir was“ formuliert. Auf der anderen Seite müssen Grüne auch vermitteln können, dass sie machen können. Also nicht nur Fragen formulieren, sondern Antworten finden. Auch wenn sie derzeit ein bißchen irritiert sich selber dabei zusehen, wie sich die Identität wandelt.
Weil beispielsweise, Angela Merkel thematisch abgeräumt hat, was die „großen Unterschiede“ ausmacht, beispielsweise die Frage der Energiewende. Weil Baden-Württemberg und NRW, danke an alle, begriffen hat, dass in einem grundsätzlichen Streit wie dem Schulstreit, es wichtig ist, über die Wahlperiode hinaus zu denken, gesellschaftlich zu denken, also, wer ist besonders an der Frage Bildungspolitik interessiert (die BürgerInnnen mit Kindern, die zwar auch Chancengleichheit wollen, aber auch gute Bildung für ihre eigenen Kinder, die sie sowieso aufs Gymnasium tun) und dann eine Politik entwickeln, die gesellschaftliche Triebkräfte einbezieht, seine eigene Benchmark entwickelt.
Also reden wir doch auch mal von den schwierigen Fragen. Kein Zweifel, auch die rotgrüne Regierung dort, in NRW, macht eine gute Politik und wird hoffentlich wieder gewählt. Und mit einer eigenen Mehrheit. Weil sie intern stabil ist, weil sie die Menschen nicht belehren will, sondern mit ihnen ist, weil sie die Schulfrage abgeräumt hat mit einer ganz nüchternen, pragmatischen Politik. Aber, und da kommen wir an die heiklen Punkte. Das ganze Land lebt über seine Verhältnisse. Ja, der Finanzausgleich zwischen Bund, Land und Kommune ist unfair. Aber wir wissen, dass eine Region, die sich wieder entwickeln muss und die zuviel öffentliche Infrastruktur hat, besser aufstellen muss. Sie hat einfach zu wenig Geld für die Infrastruktur, die sie sich leisten kann. Das ist bitter, aber es ist so. Und es wird auch so bleiben, weil im weltweiten Verteilungskampf sich die aufsteigenden Länder einen größeren Teil des Kuchens abscheiden werden.
Also umbauen. Und zwar so, dass es weniger staatliche Leistungsgarantien und weniger Infrastruktur gibt. Aber dort, wo sie sie gibt, tatsächliche Leistungen erbringt. Öffentliche Dienstleistungen sollten in lebenden Organisationen erbracht werden, die ein Eigeninteresse an besseren Leistungen haben, sollen als Institution auch wieder auflösbar sein, wenn sie nicht mehr funktioniert und gebraucht wird. Öffentliche Infrastruktur als öffentliche Dienstleistung. Effektiv, also zielorientiert, aber auch effizient, mit dem optimalen Kosten-Nutzen-Verhältnis.
Ja, man kann, wie in NRW, darüber reden, dass es kurzfristig sein muss, mehr Mittel aufzunehmeen, im mittelfristig Zusatzkosten zu vermeiden, aber im Ernst: Wir wissen alle, das ist eine Formel, keine Lösung. Wie sehen also Modelle aus, in denen es darum geht, Verantwortung wieder von der Politik auf die Gesellschaft zurück zu verlagern? Die flexibel sind? Die aufgelöst werden können, wenn sie nicht mehr gebraucht werden. Oder wenn sie schlechte Leistung abliefern. Anreize, die öffentliche Institutionen besser und leistungsorientierter machen, weil sie, jetzt spreche ich es mal aus, unter echtem Konkurrenzdruck stehen. Weil bessere Schulen mehr Kinder, mehr Macht, mehr Geld erhalten, schlechtere Schulen schließen müssen (oder die Arbeitskräfte entlassen werden können). Beispielsweise, weil gesellschaftliche Funktionen privatisiert werden.
Ich weiß, das ist ein Tabu, gerade in der so auf Gerechtigkeit tickenden Epoche, aber man wird ja mal diskutieren dürfen.
Ich nehme ein Beispiel aus einem hochumstrittenen Bereich, der Privatisierung kommunaler Kliniken.
Da sind Grüne intuitiv in 80% der Fälle, vermute ich, dagegen. Und wenn sie nicht dagegen sind, tauchen sie weg.
Aufs Ganze gesehen ist es ein Fortschritt, dass Kliniken privatisiert werden. Nicht immer und nicht zu jedem Preis, aber in der Tendenz. Bis diese Tendenz, das Ganze zu sehr auf Leistung zu trimmen, zu stark dominiert. Dann muss man den politischen Rahmen wieder umdrehen. Oder einfach gut verhandeln mit den Betreibern.
Also: Im Klinikbereich ist es, trotz aller Härten, gut, wenn privatisiert wird. Auch wenn die Klinikkonzerne geldmarktgetriebene Unternehmen sind. Aber sie entwickeln eine unternehmerische Strategie, Dinge zu managen. Sie entmachten eitle Chefärzte, weil sie Prozesse definieren und durchsetzen wollen. Sie können im großen Maßstab denken, weil sie im großen Maßstab Geld akquirieren können. Sie können Institutionen umbauen, wo Politik der Mut für solche Entscheidungen fehlt.
Wenn wir ehrlich sind, finden Privatisierungen statt, weil die Politik zu schwach ist, harte Entscheidungen durchzusetzen. Zum Beispiel zu sagen, dass man in Kliniken investieren müsste, um optimale Leistungen bieten zu können, aber dass es dann eben nicht so viele Kliniken braucht, also Arbeitsplätze abgebaut werden. Und dass sie nicht langfristig genug denken, um unternehmerisch zu handeln. Dass sie zu sehr in Bürgerinteressen eingebunden sind. Weil nicht nur Lobbies Druck ausüben können, sondern auch Mitgliederorganisationen, Gewerkschaften, Sozialverbände, Ärzteverbände, alle, die Zugang zum Wählerin und Wähler haben, machen Politik im Grunde auch – erpressbar.
Politik ist oftmals zu weich. (Angestellte Manager, für sich betrachtet, übrigens auch, deshalb hat es ja dort Vollkaskoverträge auch bei Versagen). Ja, auch Privatisierungen führen zu Verwerfungen. Eine ist absehbar. Dann nämlich, wenn erstmal der Machtkampf mit großen Klinikketten ansteht, weil die Rationalisierungs- und Wachstumsreserven aufgebraucht sind und die Betreiber die Rechnung präsentieren. Dann sind harte Verhandlungen angesagt.
Privatisierungen sind gut, aber es gibt halt im Moment nur ein Modell der Privatisierung, das heißt, Privatunternehmen.
Es könnte aber auch noch andere Modelle geben.
Wenn wir die alte Staat-Markt-Diskussion mal hinter uns lassen und überlegen, wie wir das beste beider Welten, nämlich die Souveränität und Identität von Unternehmen oder unabhängigen Institutionen mit der Intention von Gemeinwohlhandeln zusammenbringen könnten. Die Stichworte sind bekannt, Sozialunternehmen, in Baden-Württemberg haben ja auch Stiftungen, beispielsweise die Robert Bosch Stiftung, gezeigt, dass es eine Perspektive jenseits der politischen Gräben links-rechts, Staat und Privat, gibt. Wie kann Langfristigkeit, die Nüchternheit von Jahresbilanzen und der Wunsch der Mitarbeiter, sich im Unternehmen einbringen zu können, miteinander in Einklang gebracht werden? Hier weiter zu denken und erste Ansätze zu machen, die Gesellschaft wieder gerechter und gleichzeitig effizienter zu machen, würde sich lohnen. Weil dann die Rolle der Grünen, über Wege in die Zukunft nachzudenken und diese dann zu ebnen und zu gehen, substanziell unterfüttert werden könnte. Klar, grün wäre dann der Antipode des „wünsch-dir-was“ der Piratenpartei, die sich weigert, einen Interessensabgleich zwischen privaten und öffentlichen Interessen zu schaffen. Klar, grün müsste dann eine ethische Orientierung auch intellektuell in Einklang (oder konstruktive Differenz) bringen, damit gute Leistungen entstehen.
Wann, wenn nicht jetzt. Wo, wenn nicht hier. Wer, wenn nicht wir sollte sich an diese Aufgabe machen. Das Gemeinwesen tatsächlich umzubauen, schwierige, aber notwendige Wege gemeinsam zu gehen, über den Tag hinaus zu denken, neue Ideen und Mit Streiter Innen zu sammeln. Eine politische Aufgabe wieder zu einer gesellschaftlichen zu machen, etc. etc. Ansatzpunkt gibt es genug.
Die Dinge besser MACHEN. Wo, wenn nicht in Baden-Württemberg, dem Land der Tüftler und Macher.
Zum Geburtstag darf man sich ja was wünschen. ….
P.S. Auf S.29 in der FAS von heute, 13.5.2012 findet sich ein bemerkenswerter Beitrag „Lob des Kommunismus“ des Buchautors David Graber „Schulden: Die ersten 5000 Jahr.“ Sehr lesenswert. Die Frage, wann und wie ethisches Handeln hergestellt werden kann, eine der wichtigsten Fragen.