Hamburg Lessons

Das Ergebnis: Ein starker Olaf Scholz kann die zurückgehende Wahlbeteiligung und die Erosion des Parteiensystems nicht aufhalten. Wenn jetzt die FDP zurück ist, zeigt das, wie schnell der Wunsch nach einer liberalen Partei die real existierende FDP vergessen lässt. Auch die AfD führt weiter zur Erosion. Sie holt ihre Wähler aus zwei Ecken: Den konzeptionell Konservativen, die nicht erkennen können, wie europäische Politik Europa stark machen soll und den rechten und populistischen Protestwähler.

Die Berliner Runde ist ein guter Spiegel des politischen Nullsummenspiels. Etwas angelaschte Generalsekretäre pflegen in Funktionärssprache das alte Hütchenspiel. Die anderen sind noch schlechter. Die anderen machen alles falsch. Berliner Runde, das ist sozusagen der Blick auf den Motorraum des politischen Geschäfts: Hauptsache, der Kopf bleibt über Wasser.

Wer nicht dem Politikbetrieb angehört, kann dieser Runde nicht entnehmen, worum es geht. Leidenschaft ist ein Fremdwort dort, auch der Sprachduktus und die repräsentierten Sozialkulturen der anwesenden Personen unterscheidet sich kaum. Es geht um die Maximierung der Sprechzeiten, kleine Scharmützel bei festgeschriebenen Frontverlauf.

Nachlassende Bindungskraft der Mitte

Die Zukunft? Was mit dem Zerfall des linken Lagers begonnen hat, setzt sich jetzt im konservativen Bereich fort. Die Bindungskraft einer Mitte-Merkel lässt nach, sobald die Konkurrenz stärker wird. Oder: Sobald ein SPD-Merkel sichtbar wird. Den Ball flachhalten ist derzeit die Devise.

Meine These: Wer in diesen Lager- und Links-Rechts-Schemen denkt, kommt nicht weiter. Ja, natürlich rückt eine SPD weiter in die Mitte, auch eine CDU wird nicht weiter konservativer werden können.

Eine Welt im Wandel erfordert Antworten für eine Welt im Wandel

Es geht, meine ich, um die Bindungskraft von Parteien in einer Welt im Wandel. Es geht darum, ob sich Parteien im laufenden Betrieb ein Stück weit neu erfinden können, ob sie Aufmerksamkeit wecken können.

Aufmerksamkeit erfordert Personen, die überzeugen, sie erfordert auch Bilder, Erklärungen über die Welt, wie sie werden wird. Und welche Rolle sich Politik dabei gibt.

Und da besteht weiter eine große Leerstelle. Die meisten politischen Debatten werden rückwärtsgewandt und unterkomplex geführt.

Beispiel Europa: Jeder weiß, dass man Länder nicht gesundsparen kann. Sparen ist nur ein erster Schritt, sich zu besinnen und das Land von innen her neu aufzustellen. Ebenso ist das Bild der Solidarität mit den darnieder liegenden Ländern falsch: Jedenfalls solange, solange man nicht den Eindruck gewinnen kann, das jeweilige Land (bzw. seine politische Elite) wäre bereit, sich selbst retten zu wollen. Aber die politischen Debatten werden um diese Scheinalternativen herum arrangiert.

Ebenso die Binnendebatte: Es herrscht, bis in die Mittelschichten hinein, große Verunsicherung. Die Auseinandersetzung mit dem radikalisierten Islam, die Faszination und Verunsicherung durch neue Technologien, die Gefährdung sozialer Sicherheit. Kontrastiert man diese multiplen Unsicherheiten mit dem politischen Normalsprech, wird einem klar, woran es fehlt: Überzeugungs- und Bindungskraft. Der vielfachen Verunsicherung begegnen Politiker mit Sprache und Reden, die suggeriert, es wäre alles ganz einfach, sie wüssten die Lösung. Dieser, im elaborierten Code vorgetragenen Rede trauen aber immer weniger Menschen.

Auch wenn die meisten Menschen Politik nicht im Detail verfolgen. Intuitiv spüren sie dieses GAP zwischen dem eigenen Denken, der eigenen Wahrnehmung und dem, wie und worüber auf der politischen Bühne gesprochen wird.

Meine These: Solange Politik in diesem Teflonsprech verharrt, wird die Erosion weiter gehen. Größere Bewegung aus der Mitte der Parteien (also CDU, SPD und Grüne) wird nur entstehen, wenn aus einer der Parteien Personen die Komplexität der Welt adressieren und klar machen können, dass sie sich der Schwierigkeit bewußt sind. Und man ihnen trotzdem vertrauen kann. Das Dilemma eines sprunghaften Gabriels, die unaufgelöste Frage, wem unter den neuen Grünen man Führung zutraut.

Bis dahin herrscht weiter das Merkel-Prinzip: Pragmatisch, analytisch, sachlich, eben unpolitisch zu agieren.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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