Aus dem Handelsblatt. Der Grundtenor ist richtig. Wir werden wir glücklich, wenn wir weniger konsumieren. Es ist auch kein Gegensatz zu Ralph Fuecks „Intelligent wachsen“ Ansatz, eher der Gegenpol. Der Korridor lässt sich so beschreiben: Wie können wir neue Produktionsmethoden, Werkstoffe etc. entwickeln, die eine suffiziente Wirtschaft entstehen lässt? Offen ist allerdings, wie man Wirtschaftswachstum von Wachstum durch weiteren Konsumismus abkoppeln kann. Da hat noch niemand eine Lösung.
Die hessischen Grünen versuchen es jetzt ja. Die schwarzgrüne Koalition ist die erste Regierung, die nur dann klappt, wenn die Bürgerinnen und Bürger wenigstens ansatzweise ein Weniger vom Mehr akzeptieren. Es ist die erste Regierung, die im Sinne der kommenden Generation auf Neuverschuldung verzichtet.
Es lohnt sich, die Presskonferenz zum Abschluss der Koalitionsverhandlungen anzuhören.
Mein erster Eindruck aus den Medien war: Auf den ersten Blick ergibt diese Koalition ja keinen Sinn, für eine Stunde mehr Schlaf der Frankfurter Flughafen-Anwohner und zwei Ministerien. Auf den zweiten Blick, und dazu muss man die Pressekonferenz anhören, wird klar, dass in Hessen das gemacht wird, was wir immer gefordert haben. Mehr Politik mit weniger Geld.
Chapeau! Das ist das erste Mal, dass die Wählerinnen und Wähler nicht bestochen oder gepampert werden. Sie müssen sich entscheiden für die Zukunft ihrer Kinder!
Insofern sollte auch Welzer mal sein Grünenbashing etwas herunterregeln.
Wir sind Diener der Produkte
Zu keiner Zeit im Jahr ist der Konsumismus ungebremster als zu Weihnachten. Psychologe und Bestsellerautor Harald Welzer rät zum Maßhalten. Warum man es tun, es aber nicht so nennen sollte.
Harald Welzer | Donnerstag, 19. Dezember 2013, 20:00 Uhr
Es liest sich schon ein wenig melancholisch: „Mit steigender Produktivität und mit der höheren Effizienz der menschlichen Arbeit werden wir einmal in eine Phase der Entwicklung kommen, in der wir uns fragen müssen, was denn eigentlich kostbarer oder wertvoller ist: noch mehr zu arbeiten oder ein bequemeres, schöneres und freieres Leben zu führen, dabei vielleicht bewusst auf manchen güterwirtschaftlichen Genuss verzichten zu wollen? Ich glaube jedoch, dass wir ,so weit’ noch nicht sind. Es wird wohl noch einige Zeit vergehen, bis wir uns mit dieser Frage ehrlich auseinanderzusetzen reif sind.“ Ludwig Erhard schrieb diese Zeilen in seinem auflagenstarken Buch „Wohlstand für alle“ vor einem halben Jahrhundert.
Heute haben wir uns vermutlich noch erheblich weiter von der Bereitschaft entfernt, uns mit Erhards Frage zu konfrontieren, wofür zum Teufel denn all der „güterwirtschaftliche Genuss“ gut sein soll, wenn die meisten Menschenrt vor lauter Arbeits- und Konsumstress zu diesem Genuss gar nicht mehr kommen und sich selbst in ihrer hochkomplexen Hyperkonsumwelt nirgendwo mehr im Weg stehen als bei dem Versuch, „eine bequemeres, schöneres und freieres Leben zu führen“.
Die „Güterwirtschaft“ hat uns zwischenzeitlich in einem damals noch unvorstellbaren Ausmaß mit einer Diversifizierung von Produkten und einer Verkürzung der Produktzyklen beglückt. Alle zehn Jahre verdoppelt sich in den reichen Gesellschaften die Menge an Textilien oder Möbeln, die gekauft werden, die Autos und Fernsehgeräte weisen ein geradezu absurdes Größenwachstum auf, und mehr als ein Drittel aller produzierten Nahrungsmittel wird schlicht und einfach weggeworfen.
Von allem, was die Menschen sich anschaffen, bleibt nur ein einziges Prozent dauerhaft im Gebrauch, 99 Prozent von all dem, wofür gearbeitet wurde, um es herstellen, verkaufen und kaufen zu können, werden früher oder später zu Müll. Viele Menschen leiden mittlerweile unter regelrechten Konsumpathologien und campieren tagelang vor Geschäften, um als Erster ein Exemplar eines neuen Smartphones erwerben zu dürfen, das schon ein paar Monate später von der nächsten Generation abgelöst wird.
Alles in allem mutiert der Konsument zum puren Käufer, der eben vieles, was er anschafft, gar nicht mehr konsumiert, sondern der nur noch als Zwischenstation fungiert, als Humandepot zwischen Herstellung und Entsorgung. Gegenüber der Zeit von Ludwig Erhard befriedigt er ja längst keine vitalen Bedürfnisse mehr, sondern führt ein gedemütigtes Dasein als Diener von Produkten. Aber er muss das nächste Auto, das nächste iPad, die nächste Nespressomaschine haben wollen, damit der ganze Laden weiter funktioniert. Das Perfide am kapitalistischen System und all seinen Wohlstands-, Gerechtigkeits-, Gesundheits- und Sicherheitsgewinnen ist ja, dass es jeden Aspekt des Daseins in Waren verwandeln kann und damit potenziell allen zugänglich macht, sofern sie nur das Glück haben, sie kaufen zu können.
Es kann alles vereinnahmen und alle gleich machen im globalen Glück des Konsums, aber weil es alles gleich, nämlich kaufbar macht, hat es auch alle Alternativen zu sich zum Verschwinden gebracht. Das Prinzip der Wachstumswirtschaft hat sich so sehr verabsolutiert, dass die Vorstellung, es könne irgendwann von allem nicht immer mehr, sondern sogar weniger geben, auf Wirtschaft, Politik und Bürger so furchterregend wirkt wie für den Junkie die Aussicht, dass ihm der Stoff ausgeht. Dumm nur, dass es selbst dabei von einem Mittel zur Erhöhung des allgemeinen Wohlstands zu einem ziellosen Zweck geworden ist, der sich selbst genügt.
Die Glücksindizes zeigen in aller Deutlichkeit, dass das subjektiv empfundene Glück mit den materiellen Möglichkeiten keineswegs wächst, sondern allenfalls konstant bleibt, weshalb es umso rätselhafter ist, dass die meisten Menschen in den reichen Gesellschaften die insgesamt „wertvollere“ Variante des schöneren und freieren Lebens nicht wählen und es umstandslos als „Verzicht“ bezeichnen, wenn man ihnen, ganz wie Ludwig Erhard, freundlich die Frage vorlegt, ob ein gewisses „Maßhalten“ nicht wenigstens eine Option für ein gutes Leben wäre.
Obwohl die planetaren Grenzen des ungebremsten Konsumismus überdeutlich sind. Jedes Jahr mit Ausnahme des Krisenjahrs 2009 war ein neues Weltrekordjahr im Energieverbrauch, und selbst das gefühlte Klimaschutzmusterland Deutschland haut 2013 wieder zwei Prozent mehr CO2 heraus als im Vorjahr. In den letzten zwanzig Jahren sind die klimarelevanten Emissionen um 100 Prozent angewachsen, aber für die nächste Verdoppelung wird es nur noch ein Jahrzehnt brauchen, wenn der Energiehunger der Industrie- und Schwellenländer weiter so schnell wächst wie im Augenblick.
Und die vielbeschworene Energiewende? Fossile Energieträger, allen voran die Kohle, stehen noch für viele Jahrzehnte reichlich zur Verfügung – und nicht zuletzt die Klimakonferenz von Warschau hat mit dem Abrücken Japans von Reduktionszielen gezeigt, dass Kohle für alle großen Industriestaaten ein Energieträger ist, auf den man um keinen Preis verzichten will. Und wenn man neben der Klimaproblematik die anderen „planetary boundaries“ nimmt – den Zustand der Ozeane, die Bodenverluste oder den Rückgang der Biodiversität –, sieht man sofort, dass die Mengen an Material und Energie, die für den beständig wachsenden Hyperkonsum erforderlich sind, die Tragfähigkeit des Planeten längst überschreiten. Jedenfalls, was die mittelfristigen Überlebensbedingungen der Menschen angeht.
Mit anderen Worten: Hyperkonsumistische Gesellschaften produzieren zwar nicht mehr Glück, aber mehr Zerstörung und damit das paradoxe Phänomen einer unökonomischen Ökonomie: Das ist eine, die ihre eigenen Voraussetzungen konsumiert. Trotz allem glaube ich nicht, dass man das Maßhalten mit apokalyptischen Mitteilungen über den Zustand der Welt attraktiv machen kann. Die lächerliche Aufregung um den ebenso lächerlichen Veggie-Day-Vorschlag der Grünen im Wahlkampf hat ja einmal mehr gezeigt, dass es vor allem die protestantisch-miesepetrigen Appelle an ein besseres Verhalten sind, die den Leuten auf die Nerven gehen. Die hören sie nämlich seit gut vier Jahrzehnten, und seither ist weder der Neuigkeitswert der apokalyptischen Meldungen gestiegen noch hat man sich die Mühe gemacht, Möglichkeitsräume eines besseren Lebens nach dem Wachstum zu eröffnen – also positiv zu begründen, weshalb man sein Leben in Richtung „weniger“ ändern sollte.
Deshalb ist es dringend erforderlich, ganz anders über das Maßhalten zu sprechen: nicht als eine Haltung, die einem durch lästige äußere Zwänge wie den Klimawandel und Ähnliches aufgezwungen wird, sondern als eine Praxis, die einem ein schöneres und freieres Leben schon deshalb offeriert, weil die Entlastung von vielen überflüssigen Dingen und dem Zwang, sie kaufen zu müssen, eben keine Einschränkung, sondern ein Mehr an Zeit, Platz, verfügbarem Einkommen und Lebensqualität bedeutet.
Ein Auto, das so groß ist, dass man es abends nicht loswird, weil es in keine Parkgarage passt, ist ja eine Einschränkung von Lebensqualität, genauso wie der Stress, den sich jemand antut, der sich für das Weihnachtsshopping in New York acht Stunden in die Holzklasse eines Fliegers quetscht, in einem überteuerten schlechten Hotel übernachtet, um mit Dingen, die er nie gebraucht hat, nach drei höchst anstrengenden Tagen die noch anstrengendere Rückreise anzutreten, und für all diese Quälerei ein Monatseinkommen aufgewendet hat, also das Äquivalent von 160 Stunden Arbeits- und Lebenszeit.
Solchem Blödsinn, der außer Schaden an sich und der Welt nichts hervorbringt, lassen sich Beispiele komfortablerer Mobilität mittels Carsharing, Bahn und einer Kurzreise im meist völlig unbekannten Nahbereich entgegenstellen und das gut marketingmäßig mit dem Argument fördern, dass jemand, der solche Alternativen wählt, nicht nur schlauer ist, weil er Geld und Aufwand spart, sondern obendrein noch erheblich an Lebensqualität dazubekommt. So betrachtet, sind nämlich der SUV und die Shopping-Flugreise die Einschränkungen und nicht der fröhliche Verzicht darauf.
Auf solche Weise kann Maßhalten, das man als Wort dann tunlichst nicht benutzt, völlig moralfrei daherkommen und Spaß machen, viel mehr jedenfalls als die freudlose Sinnsuche per Konsum, die der britische Ökonom Tim Jackson mal so beschrieben hat, dass wir mit Geld, das wir nicht haben, Dinge kaufen, die wir nicht brauchen, um Menschen zu beeindrucken, die wir nicht ausstehen können.
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