Hochmut kommt vor den Fall. Warum Harald Welzer in Sachen Pegida daneben greift.

Harald Welzer, Autor von „selbst denken“ und Schöpfer der Idee des Transformationsbewußtseins, hat über Pegida nachgedacht. Seine Schlußfolgerung. Ignoriert sie. Ressentiments sind durch Informationen nicht zu belehren. Die Haltung ist ignorant, in ihr sind die Grenzen eines hermetischen Bewusstseins linken „Besserwissertums“ gut zu studieren. Ein Gegenentwurf.

Zuerst: Ich finde es richtig, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen seiner Aufgabe nachkommt: Wenn 15.000 – 20.000 Menschen auf die Straße gehen, ist das ein öffentliches Thema, auch wenn es „uns“, und unter „uns“ verstehe ich die Linken bis Linksliberalen, absurd erscheint.

Von außen betrachtet, wirkt Pegida absurd bis reaktionär. Und dann ziehen Bilder der Weimarer Republik empor, die Steigbügelhalter Hitlers, nützliche Idioten, hinter denen dunkle Kräfte wirken.

Geschichte kann sich wiederholen, muss aber nicht. Darüber nachdenkend meine ich, Deutschlands Demokratie ist gefestigt. Trotzdem ist es richtig, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, warum es 15.000 Menschen in Dresden auf die Straße treibt, um gegen eine Islamisierung unserer Gesellschaft zu demonstrieren, eine Islamisierung, die zudem in Dresden überhaupt nicht stattfindet.

Wenn Welzer das Argument Frau Oertels, der Regenwald wäre schließlich auch nicht in Deutschland, einfach vom Tisch wischt, zeigt das die Ignoranz und Arroganz, mit der er, der Erfinder der Idee des Transformationsbewußtseins, mit der die Menschen auf den Weg in eine bessere Welt geschickt werden können, (die Menschen sind nur noch nicht so weit) sich zunehmend von der Realität verabschiedet.

Ist das Argument mit dem Regenwald tatsächlich so abwegig? Ich finde, nicht. Es geht um die Relevanz eines Themas für die eigene Situation. Da kann ich die Abholzung des Regenwaldes ebenso ins Abseits stellen wie die Veränderung des öffentlichen Raumes durch die Vielfalt der Kulturen (solange sie sich nicht, das ist der entscheidende Punkt, auf die gemeinsame Suche nach Verständigung machen).

Und muss die „Islamisierung“ tatsächlich in Dresden stattfinden, damit Dresdner sie aufgreifen „dürfen“? Nein, denn schließlich findet die Öffnung der Schleusen, so eine unterstellte Pegida Wahrnehmung, ja nicht in Dresden, sondern in Berlin statt. Oben also im System, wogegen die „Unten“ jetzt demonstrieren.

Ihr gutes Recht. Auch wenn die Welzer’sche Gesinnungspolizei sie auf dem falschen Weg wähnt.

Wenn eine, auch aus meiner Sicht völlig abstruse und realitätsverleugnende Bewegung so viel Zulauf hat, sollte man sich dennoch damit beschäftigen und sie nicht einfach wegwischen. Es könnte nämlich sein, dass man durch scheinbar abwegige Bewegungen auf Tatbestände aufmerksam wird, die man bisher übersehen hat.

Politik ist Repräsentation

Was ich beobachte, ist eine Überpolitisierung des veröffentlichten Bewusstseins. Was mit dem „Mehr Demokratie wagen“ Willy Brandts, den Grünen und einer gesellschaftlichen Öffnung, Pluralisierung und Demokratisierung am Rande der Gesellschaft begonnen hat, ist inzwischen zum unbestrittenen Mainstream geworden: Der politisch-publizistische Komplex, in dem sich Politik, NGOs und Medien bewegen. Nicht, dass ökonomische Interessen machtlos wären, aber auf der politischen Bühne haben sie längst keine Platz mehr. Hier herrscht der Konsens der „Ideale Welten Bastler“, von Links, mit Sarah Wagenknecht begonnen, bis über Harald Welzers Hassliebe zu den Grünen und einer inzwischen gemainstreamten CDU, bei der ich immer hin und her gerissen bin zwischen Dankbarkeit gegenüber einer Angela Merkel, weil sie das ewig gestrige der West-CDU, dreigliedriges Schulsystem, lebenslange Ehe und anderes mehr, vom Tisch gefegt hat, aber eben auch eine Alternativlosigkeit hinterlassen hat, die Jungpolitiker hervorbringt, die sich biographisch nicht und rhetorisch nur wenig von SPD und Grünen unterscheidet.

Es dominiert die Sozialkultur aufgeklärter Akademiker mit elaboriertem Code. Und wer sich am öffentlichen Diskurs beteiligen möchte, muss sich dieses Code bedienen. Das ist Teil der Ohnmacht, die viele „Nichtteilnehmer“ empfinden.

Jens Spahn ist ein glänzender Rhetoriker, er hat sich Oertel gestellt. Aber das Angebot, mal in seine Sprechstunde zu kommen, damit er die Politik mal richtig erklären kann, ist genau diese Hilfslosigkeit, diese alternativlose Hilflosigkeit, mit der sich die herrschende Politik mit verärgerten und verängstigten Bürgerinnen und Bürgern auseinandersetzen möchte. „Wir wollen Euch das mal richtig erklären“.

Wir lassen das Spahn’sche Gedankenexperiment mal zu. Welcher Film läuft dann vor unserem geistigen Auge ab? Der, dass einem diffusen Zorn, Ärger, Verunsicherung ein rhetorisch perfekter Jens Spahn gegenübertritt und ihnen ihre ganze Emotion rational auseinander nimmt. Vater, Kinder-Situation, Lehrer-Schüler-Situation. Klar hat Spahn ein besseres, weil geordneteres Weltbild, klar ist er rhetorisch überlegen, weil er Volksvertreter qua Beruf ist. Klar kann er Einwürfe, Emotionen, Ärger, Verängstigung einordnen und relativieren. Aber wie würden eben diese Gesprächsteilnehmer dieses Gespräch wieder verlassen?

Ich vermute, mit dem Gefühl, dass ihnen der Gesprächsfaden entglitten ist, und sie in der Gesprächssituation erneut zu einem Opfer geworden sind.

Und aus diesem Grunde ist ja niemand von ihnen auf die Idee gekommen, sich an einen Abgeordneten zu wenden. Was hat er ihnen tatsächlich zu bieten?

Nun bin ich kein Volksversteher. Ich bin zwar Diplompäagoge, bin aber gegen das Alles-und-jeden Verstehen völlig immun.

Neue soziale Bewegungen, und um eine solche handelt es sich, sollten dazu führen, dass man einerseits überprüft, ob sie einen auf Entwicklungen aufmerksam machen, die einem bisher verborgen blieben. Zum Anderen ist aber auch die Frage, wie man ihnen wirksam begegnen kann.

Meine These: Pegida greift die wachsende Verunsicherung eines Teils der deutschen Bevölkerung auf, die erschöpft ist von der dauernden Veränderung. Veränderung der Lebensverhältnisse, denn Armut, Armutsgefährdung kommt inzwischen auch in Mittelstandsfamilien an. Viele zuvor „etablierte“ Tätigkeiten, vom Bankbeamten bis hin zur Büroangestellten, sind einem wachsenden Entwertungdruck ausgesetzt. Zudem wandelt sich der öffentliche Raum. Nicht in Dresden, aber in Bochum oder in Neukölln sind Migranten zunehmend erfolgreich als Geschäftsinhaber, sie prägen den öffentlichen Raum in Form neuer Geschäfte. Läden, der Ökonomie. Dann haben wir noch die vernachlössigten Nachkommmen der Einwanderer der zweiten und dritten Generation, die NIchtintegrierten. Die dominieren die Wahrnehmung der Biodeutschen über Einwanderer. Die gelungenen Karrieren, die, ob aktiv assimilierten oder sich mit eigener Haltung Etablierten, die bisher im medial öffentlichen Leben nicht stattfinden, sind gesellschaftlich ebenfalls unrepräsentiert. Zugespitzt: Auf des Straße findet ein Nebeneinander, bisweilen Gegeneinander der Kulturen statt, in der Politik wird aber „Multikulti“ als Errungenschaft gefeiert, ohne aber auf die Herausforderungen, Konflikte, Veränderungen zu benennen, die damit zusammenhängen.

Denn auch CDU-Abgeordnete sehen Zuwanderung plötzlich als Chance. Sie schielen auf die jungen, gut ausgebildeten Südeuropäer, denen in ihren Ländern der Zugang verweigert wird.

Aus dem Nebeneinander einer glatten, nur aus Chancen bestehenden Politikerwelt und der harten, sich im Umbruch befindlichen realen Welt vieler Menschen, gerade, wenn sie die 50 überschritten haben und beginnen, die Jahre bis zu ihrer Rente zu zählen, erklärt sich die Verärgerung, das trotzige „Wir wollen auch mal auf der Bühne vertreten sein“, das „wir lassen uns nicht wegmoderieren“ (Pegida Anhänger würden das anders intonieren), das sich da zeigt.

Da ist es meines Erachtens auch egal, ob es in Dresden aufpoppt oder woanders.

Und wie also mit PEGIDA und anderen umgehen?

Wenn Politik beginnt, Wahlkämpfe nicht immer als „Wohlfühlnummern“ zu inszenieren, in denen Alles versprochen wird, insbesondere, dass alles besser wird, wäre schon viel erreicht.

In Wahlkämpfen werden ideale Welten gezeichnet, anstatt die Bürgerinnen und Bürger darauf vorzubereiten, dass Veränderung das dominierende Element der kommenden Jahre bleiben wird. Wann beginnt Politik damit, die Wahrnehmung der Menschen ernst zu nehmen? Wann beginnt sie, darüber zu reden, dass sie manchmal etwas verändern kann, aber nur manchmal, dass sie nicht chancenlos ist, aber die Welt nicht neu erschaffen kann.

Das bedeutet meines Erachtens auch, sich zu streiten, heftig und argumentativ. Denn nur, wenn gelingt, die ungeliebte, aber doch existierende Stammtischperspektive zum Gegenstand der Auseinandersetzung auf Augenhöhe zu machen, werden die Menschen beginnen, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Die allermeisten ahnen, wie die Welt ist, unruhig, unsicher, dass sie kleiner wird und das Schicksal Afrikas sehr eng mit dem unseren zusammenhängt. Nur redet niemand so darüber. Jedenfalls öffentlich. Nichts scheut Politik mehr als zuzugeben, dass sie auch keine Lösung hat. Oder, dass sie keine Instrumente hat.

Ernst nehmen, fordern und aus der Auseinandersetzung lernen, das ist die Lehre, dich ich aus dem Umgang mit Pegida ziehen würde. Und nicht oberlehrerhaft einfach wachsende Bevölkerungsgruppen, die nicht am politischen Diskurs teilnehmen, einfach als ignorante Dumpfbacken beiseite schieben.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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