Die DEBEKA Affäre verweist mich auf ein Problem, auf das ich in der Vergangenheit schon öfter gestoßen bin: Die Diskrepanz zwischen der offiziellen und der echten Welt. Die DEBEKA Zentrale hat vom Adresskauf gar nichts gewusst (nein, so etwas), das waren wieder irgendwelche schlimmen Finger. Ich kenne auch einen Fall, da ging es um systematischen Betrug bei Schadensregulierunge. Dann schilderte mir vor einigen Wochen ein Bekannter, wie Angestellte im Verkaufsbereich sich unbezahlte Überstunden abpressen lassen und mündliche Vereinbarungen oder stillschweigendes Einverständnis voraussetzen, wenn sie illegale Absprachen eingehen.
Auch die jüngst bekannt gewordenen Fälle illegaler Arbeitskräfte im Schlachthofbereich deuten ja in diese Richtung, dass es einen erheblichen Unterschied zwischen der offiziellen und der echten Welt gibt.
Wäre es vor diesem Hintergrund nicht sinnvoller, die Politik konzentrierte sich darauf, illegales Verhalten zu ahnden oder die Geltung herrschenden Rechts durchzusetzen?
Der Stein des Anstoßes aus dem Handelsblatt:
Auf Einkaufstour im Polizeirevier
Nach der Aufdeckung des Adresshandels melden sich Angestellte der Debeka zu Wort. Sie berichten, dass es bei der Versicherung für ehrliche Mitarbeiter keine Chance gegeben habe.
Sönke Iwersen, Martin Dowideit, Ozan Demircan | Düsseldorf | Montag, 4. November 2013, 20:00 Uhr
Die Verteidigungsstrategie der Debeka-Führung in der Adressen-Affäre gerät offenbar schon nach wenigen Tagen ins Wanken. Wie das Handelsblatt in der vergangenen Woche aufdeckte, kauften Mitarbeiter der traditionsreichen Versicherung über viele Jahre hinweg von Behörden Adressen von Beamtenanwärtern, um den angehenden Staatsdienern Versicherungen zu verkaufen. Mitarbeiter beschrieben dies als gängige Praxis.
Debeka dementierte nicht den Kern, sondern lediglich die Kenntnis der Dimension der Affäre. Unternehmenssprecher Gerd Benner sagte, die Debeka habe ein „solches Fehlverhalten zu keinem Zeitpunkt gewünscht, gefordert oder angewiesen“. Stattdessen weise das Unternehmen die Vertriebsmannschaft „immer wieder“ auf datenschutzrechtliche Bestimmungen hin. Jedem Mitarbeiter sei deshalb bekannt, „dass eine Datenübermittlung aus dem öffentlichen Bereich unzulässig ist“. Zwar sei nicht zu leugnen, dass Vertriebsmitarbeiter der Debeka Adressen von Beamtenanwärtern gekauft haben. Doch dieses Fehlverhalten beziehe sich auf „einige Fälle in den 1980er- und 1990er-Jahren“.
Tatsächlich aber entspricht dies mehr dem Wunsch als der Wirklichkeit. Noch am 27. Juli 2010 befasste sich das Amtsgericht Tübingen mit der Art und Weise, wie Debeka-Mitarbeiter ihre Vertragsanbahnung betrieben. Ein Organisationsleiter der Debeka-Geschäftsstelle Balingen hatte mit einem Mitarbeiter des Tübinger Regierungspräsidiums eine Vereinbarung getroffen, die die beiden als „Betreuungsvergütungserklärung“ bezeichneten.
Zwischen 2005 und 2009 übermittelte der Beamte dem Vertreter Personendaten von verbeamteten Lehramtsanwärtern. „Der Beamte erhielt 16.000 Euro“, bestätigte der Leitende Oberstaatsanwalt Walter Vollmer dem Handelsblatt. Mit den Adressen habe der Debeka-Vertreter dann Provisionen in Höhe von 19.000 Euro verdient. Beide Männer wurden zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt.
Die Folgen für die zwei Geschäftspartner waren offenbar sehr unterschiedlich. Laut Staatsanwaltschaft wurde der Beamte aus dem öffentlichen Dienst entfernt, von einer Entlassung des Debeka-Mitarbeiters sei ihm aber nichts bekannt. Die Debeka reagierte am Montag nicht auf eine Gesprächsanfrage des Handelsblatts.
Vieles spricht dafür, dass der Adressenkauf in Tübingen nur einer von zahllosen Bestechungsfällen war. Beim Handelsblatt, aber auch in Internetforen anderer Medien, die das Thema aufgegriffen haben, meldeten sich seit Freitag zahllose Mitarbeiter, Kunden und Konkurrenten der Debeka, die den munteren, wenn auch illegalen Handel mit Personendaten als absolut üblich bezeichneten – und dies seit einem halben Jahrhundert.
So berichtet ein ehemaliger Polizeibeamter aus Rheinland-Pfalz, er habe dubiose Debeka-Praktiken schon in den 1960er-Jahren erlebt: „Es gab eine Einladung zu einer Abendveranstaltung in den Räumen der Bereitschaftspolizei“, ausgesprochen von einem unserer Ausbilder. Die Veranstaltung sei für die Debeka hocheffektiv gewesen. „Ergebnis war, dass die Mehrzahl der angehenden, auf dem Gebiet der Krankenversicherung absolut ahnungslosen Beamten einen Vertrag bei der Debeka abschloss.“
Derzeit scheint es, als habe die Handelsblatt-Berichterstattung einen Damm gebrochen. „Als Debeka-Mitarbeiter muss ich Ihnen meine Anerkennung dafür aussprechen, dass endlich die Öffentlichkeit von den Praktiken erfährt, die seit Jahren im Unternehmen Debeka Standard sind“, schrieb ein Leser. Beamte seien nicht nur unter der Hand bezahlt worden, sondern zusätzlich an Provisionen für abgeschlossene Versicherungen beteiligt worden. „Als ehrlicher Mitarbeiter hat man in diesem System keinerlei Chance, auch nur ansatzweise erfolgreich zu werden. Man wird von Führungskräften sogar genötigt, entsprechende Kontakte innerhalb von Behörden zu generieren.“
Die Debeka blieb am Montag bei ihrer Darstellung, dass nicht das Unternehmen Schuld auf sich geladen habe. „Die Debeka hat zu keiner Zeit Adressen von Dritten gekauft und intern an Mitarbeiter zu Werbezwecken weiterveräußert“, schrieb der Vorstand in einem Brief an die Mitarbeiter. Zusätzlich verschickte die Führung einen Leitfaden, wie mit Kundenanfragen wegen der Affäre umzugehen sei. Wenn die Versicherten etwa wissen wollten, ob die Debeka Beamte bestochen habe, laute die Antwort: „Nein.“ Den Kunden solle mitgeteilt werden, die Debeka lege „an den Schutz Ihrer persönlichen Daten und der Daten aller anderen Kunden höchste Standards“ an.
Trotzdem sieht sich die Versicherung nun unter Zugzwang. „Um sicherzugehen, dass wir alle datenschutzrechtlichen Vorgaben bestmöglich einhalten, haben wir die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (Bafin) und eine externe Wirtschaftsprüfungsgesellschaft gebeten, unsere internen Abläufe zu begutachten“, teilte Debeka mit.
Bei der Prüfungsgesellschaft handele es sich um KPMG. Dort erwartet man einen Berg von Arbeit. „Die Unterlagen reichen ja Jahrzehnte zurück. Wir können nur schwer abschätzen, wie lange es dauert, das alles zu prüfen“, hieß es aus dem Unternehmen.
Für Debeka bedeuten die internen und externen Ermittlungen wohl die schwerste und teuerste Krise in ihrer mehr als hundertjährigen Geschichte. Nach Angaben des Landesbeauftragten für den Datenschutz in Rheinland-Pfalz kann jeder einzelne Fall von Datenschutzverletzung mit einem Bußgeld von bis zu 300.000 Euro bestraft werden.
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