Interessanter Beitrag in der FAZ, wie Niederlande ihre Arbeitsmarktpolitik organisiert. New Ways, we can believe in. ….
FAZ 20100205 Arbeitmarktpolitik Niederlande
Hartz-IV-Debatte
Holland setzt auf Devise „Arbeit vor Einkommen“
Von Michael Stabenow
Menschen in der Eigenverantwortung: Die Arbeitsakademie in Leeuwarden
05. Februar 2010 Am Anfang war die Skepsis groß in Leeuwarden. Von Zwangsarbeit, Ausbeutung und Herzlosigkeit war zur Jahreswende 2006/07 in der Hauptstadt Frieslands viel die Rede. Vier Jahre nach der Einführung der sogenannten Arbeitsakademie („Werkacademie“) hat sich die Stimmung gewandelt. Schon 2007, im ersten Jahr des Bestehens des neuartigen Modells der kommunalen Arbeitsvermittlung, gelang es, die Zahl der Bezieher der durch das Gesetz „Arbeit und Beistand“ (WWB) geregelten Grundsicherung – der niederländischen Version von „Hartz IV“ – in Leeuwarden um 600 auf knapp 3300 zu senken. Das sparte Stadtväter und Steuerzahlern gut zwei Millionen Euro.
Auch zu Jahresanfang 2010, in wirtschaftlich ungleich schwierigeren Zeiten, verbucht die Arbeitsakademie durchaus Erfolge. Auf der offiziellen Internetseite der Stadt klingt es vielversprechend: „Das Jobteam der Arbeitsakademie bietet schöne und herausfordernde Stellen an.“
Anerkennende Worte von Roland Koch
Was in Leeuwarden als Arbeitsakademie bezeichnet und in Deutschland nicht nur anerkennende Worte des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (siehe Kasten) gefunden hat, ist die friesische Spielart einer in den Niederlanden seit einer durch eine Gesetzesänderung zu Beginn des Jahres 2004 gängig gewordenen Strategie. Sie soll nicht nur an den Rand der Gesellschaft geratenen Menschen die Eingliederung in den Arbeitsmarkt ermöglichen. Verbunden ist dies mit hehren Schlagworten wie Eigenverantwortlichkeit, keine Ausgrenzung, aber auch dem Grundsatz „Arbeit vor Einkommen“. In Leeuwarden lautet die Devise: „Wir schreiben keinen ab.“
Der Paradigmenwechsel war insbesondere eine Folge der Entscheidung des Gesetzgebers, die Finanzierung der Grundsicherung – von derzeit maximal 649,52 Euro je Empfänger – beträgt, den Kommunen zu übertragen. Bis Ende 2003 betrug der Eigenanteil der Gemeinden lediglich 25 Prozent, den Löwenanteil übernahm der niederländische Staat. Die erweiterte finanzielle Verantwortung hat die Kommunalpolitiker zu neuen Ideen beflügelt. Galt früher der Grundsatz „Anspruch auf Sozialhilfe“, so ist das vierstufige Förderprogramm der Arbeitsakademie auf die Arbeitsplatzsuche ausgerichtet. „Der Kunde hat Anspruch auf Arbeit, und solange es ihm nicht gelingt, sie zu finden, hat er zeitweilig Anspruch auf ein Einkommen“, heißt es in den Leitsätzen der Arbeitsakademie. In der Praxis bedeutet dies neben allgemeinen Einführungskursen auch spezifische Schulungen, Anleitungen zu Bewerbungen oder auch Praktika. Im Regelfall dauern die Kurse 32 Stunde je Woche. Ziel ist es, nach eineinhalb Jahren einen Arbeitsplatz zu sichern – nicht unbedingt in der näheren Umgebung. Häufig geht es dabei auch um in den Niederlanden gängige Teilzeitstellen oder um zeitlich befristete Arbeitsverträge.
Jugendlichen eine Chance auf langfristige Beschäftigung geben
Auch wenn die Haager Regierung die seit 2004 geltende Neuregelung als Erfolg sieht, hat sie sich im vergangenen Jahr unter dem Eindruck der Finanz- und Wirtschaftskrise zu einer wichtigen Neuerung gezwungen gesehen. Seit dem 1. Oktober gilt ein Gesetz, das die Gemeinden zwingt, zwischen 18 und 27 Jahren alten Antragstellern eine Stelle oder eine Ausbildungsmöglichkeit anzubieten. Auch eine Kombination von beidem sei möglich, wobei die Arbeitgeber für die Entlohnung, die Gemeinden für die Kosten der Aus- oder Weiterbildung aufkommen müssten. Erklärtes Ziel der Regierung ist es nicht nur, Jugendliche von der Straße zu holen, sondern auch ihre Chancen auf langfristige Beschäftigung zu verbessern.