Der Kampf gegen den Terror hat den Zustand der Demokratien des Westens aus dem Fokus rücken lassen. Aber, so meine These, nur wenn der Westen dem Rest der Welt zeigen kann, dass Demokratie ernst ist und nicht nur das trojanische Pferd eines Einmarschs des internationalen Finanzkapitals, können westliche Ideale Widerhall finden bei Bürgern in autoritären Ländern.
Der Zustand der US-Demokratie: Erbärmlich. Auch die Süddeutsche hat das erkannt und berichtet darüber.
Ein interessanter Artikel aus der App der Süddeutschen Zeitung:
Aussenpolitik, 10.10.2014
USA
Einsamer Obama
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Von David Hesse
Mitch McConnell, Senator aus Kentucky, träumt von der Macht. Wenn seine Republikaner Kurs halten, werden sie bei den Kongresswahlen am 4. November die Mehrheit im amerikanischen Senat erobern. McConnell selber würde wohl aufsteigen, vom Sprecher der konservativen Minderheit zum Mehrheitsführer.
Neue Zeiten brächen an, nicht nur für ihn. Die Partei hätte dann beide Kammern des Parlaments unter Kontrolle und könnte Präsident Barack Obama, den Demokraten im Weißen Haus, in seinen verbleibenden zwei Amtsjahren noch kreativer sabotieren als bisher: „Wir werden sie uns vorknöpfen“, verspricht McConnell, 72, auf kürzlich aufgetauchten Tonaufnahmen den Koch-Brüdern, zwei mächtigen Geldgebern der republikanischen Partei. Umweltschutz, Obamacare, Sozialausgaben: Alles soll mit neuem Schwung blockiert werden.
Die Chancen für die Konservativen stehen gut. Fast alle bekannten Wahlprognostiker halten es für wahrscheinlich, dass sich die Mehrheitsverhältnisse im Senat ändern werden. Sechs Sitze brauchen die Republikaner dafür, und bis zu acht könnten sie schaffen, meint der Politologe Larry Sabato von der Universität Virginia, der eine viel beachtete Wahlanalyse-Plattform betreibt. Bei den Halbzeitwahlen, den „Midterms“, werden jeweils ein Drittel der 100 Senatoren sowie alle 435 Mitglieder des Repräsentantenhauses neu bestimmt.
Da niemand ernsthaft annimmt, dass die Demokraten die große Kammer zurückgewinnen, liegt dieses Jahr alles Augenmerk auf dem Senat.
Der Enthusiasmus für Obama ist verflogen
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Stärkstes Indiz für das Erstarken der Konservativen ist die niedrige Zustimmungsrate für Obama. Nur 43 Prozent der Bevölkerung sind zufrieden mit ihrem Präsidenten. In der Außenpolitik werfen seine Gegner ihm trotz des angelaufenen Krieges gegen den „Islamischen Staat“ weiterhin Mutlosigkeit vor; Obama habe zu lange gewartet, den IS zu lange gewähren lassen.
Daheim wiederum ist er seinen politischen Konkurrenten zu aktiv: Die landesweite Gesundheitsreform, die Skandale um die Steuerbehörde IRS, die gezielt politische Gegner ins Visier nahm, und die Geheimdienst-Affäre haben das Bild eines übergriffigen Präsidenten genährt.
Sogar Obamas treuste Anhänger sind enttäuscht: Dessen eher kühle Reaktion auf die Krawalle in der Kleinstadt Ferguson, wo vor fast zwei Monaten die Polizei einen schwarzen Jugendlichen erschoss, und das verschobene Machtwort zur Einwanderungsreform lassen Afroamerikaner und Latinos an Obama zweifeln.
Das Team des Präsidenten bekommt dies unmittelbar zu spüren. Senatoren werden für sechs Jahre gewählt, ihre Wahl erfolgt in Etappen, das heißt, alle zwei Jahre wird ein Drittel der Hundertschaft bestätigt oder erneuert. In diesem November ist Obamas Drittel dran – jene Demokraten, die auch von der Euphoriewelle rund um Obamas erste Wahl 2008 nach Washington getragen wurden. Der Enthusiasmus von damals aber ist verflogen. Demokratische Amtsinhaber von Alaska bis North Carolina sind im Wiederwahlkampf um Distanz zum Präsidenten bemüht.
Siege für Republikaner kein Selbstläufer
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Die Republikaner nutzen die schwindende Beliebtheit Obamas mit Lust. In New Hampshire muss die Demokratin Jeanne Shaheen um ihren Posten bangen, obwohl ihr Herausforderer Scott Brown extra aus dem Nachbarstaat Massachusetts hergezogen ist, um sie zu bekämpfen. Solche Attacken von auswärts kommen im kleinen New Hampshire sonst schlecht an. Aber Brown hat es geschafft, Shaheen als „Obamas beste Fußsoldatin“ abzustempeln: „Der Präsident selber steht nicht zur Wiederwahl“, sagte er unlängst. „Aber ihr könnt ihm eine Botschaft schicken: mich.“
Doch auch in Zeiten des Obama-Verdrusses sind Siege für die Republikaner keine Selbstläufer. Senatoren werden in den USA fast routinemäßig wiedergewählt; 2012 haben neun von zehn Kandidaten, die erneut angetreten waren, die Wahl gewonnen. Deutlich leichter sind Zugewinne, wenn Senatoren zurücktreten oder in Pension gehen. Dieses Jahr werden fünf demokratische Sitze frei, drei davon dürften sich die Republikaner sichern: South Dakota, West Virginia und Montana. „Wir holen uns unser Land zurück“, verkündet Shelley Moore Capito im armen Bergbaustaat West Virginia. Bei der Präsidentschaftswahl 2012 hatten die Republikaner in allen drei Staaten bereits klar vorne gelegen – das wollen sie nun wiederholen.
Die konservative Seite macht einiges richtig dieses Jahr. Vergeblich hofften die Demokraten, der Gegner würden sich wieder selber schwächen. Bei früheren Abstimmungen hatten die Republikaner vermeintlich sichere Sitze verloren, weil sie ultrarechte Wirrköpfe aufgestellt und so gemäßigte Wähler in die Arme der Demokraten getrieben haben. Diesen Fehler machen sie nicht noch einmal: Mehrere Tea-Party-Brandstifter sind bei den Vorwahlen gescheitert, Vertreter des wirtschaftsfreundlichen Establishments haben sich durchgesetzt. In Georgia ließ der ehemalige Reebok-Chef David Perdue gleich drei dubiose Kreationisten, religiöse Rechte, hinter sich, in Kentucky stach Mitch McConnell einen Gegner aus, der illegale Hahnenkämpfe als Kulturerbe der Appalachen schützen wollte.
Manchmal brauchte der gemäßigte Flügel etwas Hilfe: Der seit 36 Jahren amtierende Republikaner Thad Cochran hat seine Nominierung in Mississippi zuletzt nur mit Unterstützung schwarzer Demokraten geschafft, die dem Tea-Party-Herausforderer Chris McDaniel eine Lektion erteilen wollten.
Schlechtes Wahljahr für die Tea Party
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Abgesehen vom spektakulären Schlag gegen Eric Cantor, dem als Mehrheitsführer des Repräsentantenhauses die Nominierung der eigenen Partei versagt wurde, war es ein schlechtes Wahljahr für die Tea Party. Daran ist sie selber schuld: Unter ihrem Druck ist die Republikaner-Partei so weit nach rechts gerückt, dass sie offenbar nicht mehr rechts überholt werden kann.
An der Bevölkerung geht das Wahlfieber derweil häufig vorüber. Midterms locken jeweils nur ein Drittel der Wahlberechtigten an die Urne – 2010 waren es 37,8 Prozent. Wenn auch der Präsident bestimmt wird, sind es deutlich mehr, zuletzt 53,6 Prozent. Der Kongress allein aber ist einer Mehrheit der Amerikaner so zuwider, dass sie am Wahltag lieber daheim bleibt.
Gemäß Umfragen sind Kongresspolitiker weniger beliebt als Gebrauchtwagenhändler, Kakerlaken oder Rohkostdiäten. Vom Parlament erwarten die meisten Amerikaner nichts außer Parteipolitik und permanentem Wahlkampf. Eine Auswechslung des Personals erscheint sinnlos, weil auch die Neuen mit Altbekanntem verbunden werden: Ein versehentlich veröffentlichtes Strategiepapier der demokratischen Senatskandidatin Michelle Nunn aus Georgia strotzte derart vor zynischen, taktischen eigennützigen Überlegungen, dass der Autor zum Schluss kam, eine Kandidatur auf nationaler Ebene sei in den USA heute „ein seelentötendes Unterfangen“.
Politikerfrust kommt auch bei Republikanern an
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Den Politikerfrust bekommen auch die Republikaner zu spüren. Sogar McConnell muss in Kentucky erst mal seine überraschend starke, junge demokratische Herausforderin besiegen, bevor er eine siebte Amtszeit und möglicherweise die Senatsführung übernehmen kann. Und im konservativen Kansas muss der langjährige Senator Pat Roberts um seine Wiederwahl kämpfen, weil bekannt wurde, dass er keinen richtigen Wohnsitz mehr hat in dem Staat, den er in Washington vertritt; er soll jeweils bei Geldgebern übernachten.
Solche Entfremdung kommt schlecht an. Die Wähler mögen sauer sein auf die Demokraten, „doch die Republikaner scheinen kaum eine gute Alternative zu sein“, schreibt der Wahlprognostiker Nate Silver. Mit einem republikanischen Erdrutschsieg rechnet deshalb niemand; gewinnen werden sie vermutlich, aber es wird knapp.
Manche Analysten halten es gar für möglich, dass am Ende beide Parteien mit jeweils 50 Sitzen gleichauf liegen werden. Das würde den Vizepräsidenten Joe Biden vermehrt in die Pflicht nehmen: Er steht dem Senat formell vor und müsste Pattsituationen mit einer 101. Stimme entscheiden. Eine schöne Bescherung wäre das: Nach all dem bitteren Wahlkampf käme das Machtwort aus der Regierung Obama.