Eindrücke vom ersten Tag.
Ulla Schmidt hat ja den Hauptstadtkongress zu dem gemacht, was er ist. Richtungsweisung fürs Jahr, klare Kante von der Ministerin, über die Sommerpause konnten alle drüber nachdenken. Und danach wurde gezockt. Gesundheitsbazar. Später hat sie die Reformen manchmal in der Sommerpause durchgepeitscht. Statt Widerstand Strandgefühle. Und weiter gings. Sie hatte was vor.
Jetzt haben wir ein zentral administriertes Gesundheitswesen, die Politik bestellt, Jens Spahn war das, der diesen Machtanspruch der Politik gegenüber dem IQWIG gestern betont hat, die Selbstverwaltung soll liefern. Soviel zur Idee von Politik als Meinungskampf als das Ringen um die bessere Alternative. In der Gesundheitspolitik ist das Ringen dahingehend geschrumpft, dass inzwischen alle darum ringen, die Erfinder einer zentral administrierten SPD-Politik zu sein.
Und jetzt?
Die große Koalition macht einen guten Job, weil sie, im Vergleich zur Vorgängerregierung tut, was sie beschlossen hat. Berechenbarkeit hat auch ihren Wert. Herrmann Gröhe ist ein guter Politiker, weil er die Agenda der SPD-inspirierten Gesundheitspolitik hervorragend abarbeitet. Jens Spahn ist ein guter Gesundheitspolitiker, weil er mit sehr klaren Worten, diese Politik begleiten und manchmal auch rüffeln kann. Die Opposition möchte alles noch gerechter und schöner und besser haben. Dafür ist sie halt Opposition.
Aber was hilft das?
Mittwoch nachmittag, wieder im Keller. Die inzestuöse Veranstaltung der Freien Berufe habe ich wegen Selbstreferentialität schon über Twitter kommentiert, also weiter. Diskussion um den G-BA. Joseph Hecken ist ein guter Administrator. Er zieht positive Bilanz beim AMNOG und sieht Handlungsbedarf im Bestandsmarkt. Alte Arzneimittel, die in neue Anwendungsbereiche ausgedehnt werden und Unternehmen, die bei hochpreisigen Therapien neue Produkte ohne Dossiers auf den Markt bringen. Neben ein paar anderen Themen dann noch das Thema Qualität. Diagnosequalität, Strukturqualität und risikoadjustierte Kriterien für ergebnisbezogene Honorierung. Zu zwei Themen kam er gar nicht mehr. Das ist die Agenda von Herrn Hecken. Ganz schön umfangreich.
Die Politiker haben das alle mehr oder weniger belanglos kommentiert. Kein Wunder, es handelt sich längst um höchst administrative Themen, in die sich Politik da hat reinziehen lassen.
Wenn man Hecken zuhört, seine Betonung der gerichtsfesten Entscheidung, wenn man die Logik, eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus, also die Logik der Selbstverwaltung kennt, weiß man, dass Fortschritt da nicht mal ne Schnecke ist. Wass Hecken gesagt hat, ich interpretiere ihn jetzt, bedeutet, dass wir jetzt, nach langer Arbeit, zwar Qualitätsindikatoren haben, aber dass die mehr oder weniger ohne Belang für das Gesamtergebnis sind. Die Diagnosequalität, Strukturqualität und risikoadjustierte Kriterien für ergebnisbezogene Honorierung, die jetzt definiert werden sollen, das sind drei ganz große Brocken. Das muss dann durch den ganzen interessendominierten Selbstverwaltungsapperat. Mal im Ernst: Wer glaubt da eigentlich, dass in absehbarer Zeit was Vernünftiges dabei rauskommt. (Für Zuschriften und Widerspruch immer dankbar).
Im Produktbereich geht das ja so, dass unterschiedliche Unternehmen miteinander konkurrieren und die Unternehmen, auch wenn die Produkte am Markt sind, diese ständig verbessern. Weil das Produkt noch nicht den Erwartungen entspricht, weil es neue Erkenntnisse gibt, weil man der Konkurrenz was abschaut hat. Es ist ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess, der nie abgeschlossen ist.
Und in dem die Ergebnisse immer besser werden.
Die zentral definierten Qualitätswerte führen aber nur dazu, dass alle auf diese Punkte hin „ergebnisoptimieren“. So ist das mit künstlichen Qualitätsfaktoren.
Es fehlt dem Gesundheitssystem an systemrelevanten Akteuren mit einer „Haltung zum Ganzen“. Spätestens, wenn man mit Verantwortlichen Vier-Augen-Gespräche führt, ist das mit den Händen zu greifen.
Ja, ich weiß, man kann das im Gesundheitsbereich nicht so einfach machen. Aber bin nur ich der Meinung, dass das bisherige gesundheitspolitische Ordnungsmodell seine Grenzen erreicht hat. Wir brauchen einen politischen Rahmen, damit Gesundheit für alle zugängig bleibt. Wir brauchen Institutionen, die von sich aus Qualität wollen. Und wir brauchen Versicherungen, die nicht miteinander organisiert sind, sondern gegeneinander. Die Schritt für Schritt lernen, was ihre Versicherten wollen, die sich auf die Wünsche und Bedürfnisse unterschiedlicher Versicherter spezialisieren. Junge, Alte, Türken, Hausarztgläubige, High-Tech-Fans, Naturarzneimittelfans, Kostensparer. Glauben wir im 21. Jahrhundert immer noch, trotz unterschiedlicher Lebensstile in einer einheitlichen Versicherung die Lösung zu finden?
Zentrale Institutionen definieren immer (gerichtsfeste!!!) Qualitätsfiktionen, die statisch und punktuell sind und deswegen schneller veralten, als sie definiert sind. Da hilft auch kein neues Qualitätsinstitut. Weil Qualität für verschiedene Menschen (hier Versicherte/Patienten) auch etwas unterschiedliches bedeuten kann, weil sie sich verändern. Weil sich die Möglichkeiten, medizinisch, technisch, systemisch weiter entwickeln. Weil die Institutionen Luft brauchen, Neues zu entwickeln. Und, das ist für mich das größte Problem der Freien Berufe, eine Mindestgröße, um handlungsfähig zu sein.
Haben diejenigen, die von Marktwirtschaft reden, eigentlich die Leistungen von Märkten verstanden. Dass sie nicht nur Preise regulieren, sondern von sich aus dazu führen, dauernd bessere Leistungen zu entwickeln?
Könnte man aus diesen Erkenntnissen nicht auch was für das Gesundheitswesen lernen? Die Politik, und die müsste das auf dem Schirm haben, redet darüber nicht. Und der Hauptstadtkongress redet ständig von Innovation. Aber einen Stein ins Wasser wirft er nicht.
Herrmann Gröhe hat seine Rede mit einem Popper richtigen Zitat begonnen: Der Wert des Dialogs hängt von der Vielfalt der beteiligten Meinungen ab.
Was aber los ist, wenn alle einer breiigen Einheitsmeinung sind, darüber hat er leider nicht gesprochen. Das bleibt jetzt den Besuchern des Hauptstadtkongresses selbst überlassen.